Seit über einer Woche tobt eine erbitterte Debatte zwischen Greifswalds Kommunalpolitikern und der Landesregierung über die geplante Kreisgebietsreform. Bereits seit längerem ist bekannt, dass Greifswald im Zuge dieser Reform vermutlich seine Kreisfreiheit verlieren würde und Teil des neuen Landkreises „Südvorpommern“ würde.
Jetzt kam es für die Greifswalder aber knüppeldick: Aus der Landesregierung verlautete, dass man derzeit Anklam als Sitz der Kreisverwaltung („Kreisstadt“) favorisiere, weil es zentraler in dem neuen Landkreis läge. Unter Greifswalds Kommunalpolitikern löste das einen Aufschrei der Empörung aus, der sich in seltener Einmütigkeit quer durch die Parteien zog.
Für die CDU droht die Debatte allerdings, peinlich zu werden. Im Landtagswahlkampf 2006 hatte die CDU kräftig mit der Position geworben, Greifswalds Kreisfreiheit müsse erhalten bleiben („HGW ade, Danke SPD“). Nun ließ Innenminister Lorenz Caffier (CDU) durchblicken, er bevorzuge Anklam. Wie die Ostsee-Zeitung berichtet, hatte er die Parteifreunde aus Greifswald bei ihrer Forderung im Wahlkampf noch „vorbehaltlos unterstützt“.
Gegen diesen Wortbruch polterte in altbekannter Weise Bürgerschaftspräsident Egbert Liskow (CDU), der die Pläne Schwerins als „Kriegserklärung“ bezeichnete.
Dass der Landkreis Südvorpommern zum Zankapfel bei der Kreisgebietsreform wird, ist kaum verwunderlich, da er nicht alle von der Regierung vorgebenen Kriterien erfüllt: So überschreitet er die gewünschte Maximalgröße von 4000 km² um 83km² (und damit deutlich weniger als der neue Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) und degradiert außerdem den Status der viertgrößten Stadt im Land von „kreisfrei“ zu „Stadt im Landkreis“. Die Situation wäre kurios, denn Anklam hat gerade einmal ein Viertel der Größe von Greifswald zu bieten.
Die anderen großen Städte im Land wären weniger hart von der Reform getroffen: Rostock bliebe als einzige Großstadt ohnehin, wie es ist, und auch Schwerin soll kreisfrei bleiben. Stralsund wäre als unangefochtene Kreisstadt des Landkreises „Nordvorpommern“ auch weniger stark betroffen als Greifswald.
Greifswald aus den beschrieben Gründen nun aber aus der Reform herauszulösen, wäre auch nicht ohne Risiko: Zwar würde der neue Kreis Südvorpommern so um etwa 50 km² näher an die favorisierte „Maximalgröße“ von 4000 km² herankommen (mit Greifswald hätte er gut 4080 km²), allerdings würde dann Stralsund (etwas größer als Greifswald) vermutlich auch auf Beibehaltung der Kreisfreiheit pochen. So würde die Reform schnell verwässern. Denn auch das (noch) kreisfreie Wismar mit 45.000 Einwohnern könnte sich mit ähnlichen Forderungen zu Wort melden.
Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), der selbst in Greifswald wohnt, ließ inzwischen durchblicken, dass er Greifswald als Kreisstadt favorisiert.
Links zum Thema:
- OZ-Bericht zum Thema (u.U. kostenpflichtig)
- mv-regio.de
Bilder: Archiv/Wikipedia.de
Also, der mögliche Kreis Südvorpommern würde eine Fläche von 4.369 km² haben und die gesetzte Flächengröße um ca. 10 % überschreiten. Hinzu kommt ein weiterer Fakt: Zielgröße des Landtages für die Einwohnerzahl war 175.000. Ein künftiger Kreis Südvorpommern hätte jedoch derzeit ca. 270.000 Einwohner, den Prognosen nach im Jahr 2020 immer noch über 250.000 (alle Zahlen entstammen dem vorl. Gesetzentwurf)!
Lösen könnte man all diese Probleme, wenn man das tatsächlich fast schon exterritorial zu diesem neuen Großkreis liegende Greifswald samt dem direkten Umland kreisfrei ließe. Dann würde der Landkreis die gewünscht Fläche und Einwohnerzahl erreichen und es gäbe keinen Streit über die Frage des Kreissitzes mehr. Greifswald könnte zusammen mit dem unmittelbaren Umland ca. 70.000 Einwohner erreichen.
Wer den Vortrag des Geographen Prof. Klüter am Mittwoch im Rathaus besucht hat, wird dort erfahren haben, dass eine solche Größe allemal ausreichend für den Statur der Kreisfreiheit ist. In Rheinland-Pfalz und in Bayern beispielsweise gibt es lebensfähige kreisfreie Städte mit unter 40.000 Einwohnern.
Bei der Enstscheidung für den Kreissitz sollten meines Erachtens nicht nur Lage und Bevölkerung der Stadt ausschlaggebend sein. Auch die generelle Bedeutung der Stadt innerhalb des neuen Landkreises sollte nicht vernachlässigt werden. Was hat Anklam zu bieten?
Nun zunächst einmal bevölkerungsmäßig etwas mehr als 10000 Einwohner, ein Otto Lilienthalmuseum, eine Zuckerfabrik und eine interessante Eisenbahnbrücke über den Peensetrom.
Und was hat Greifswald zu bieten?
Bevölkerungsmäßig 53000 Einwohner, zählt man die Zweitwohnsitze hinzu, kommt man sogar auf 60000. Ansonsten hat Greifswald das Pommersche Landesmuseum und das Pommersche Landestheater, sowie die EMAU. Des weiteren hat hier das Max Planck Institut für Plasmaphysik ihren Sitz. Das einzige, was Greifswald nicht hat, ist ein Otto Lilienthalmuseum, eine Zuckerfabrik und eine technisch interessante Hebebrücke über den Peenestrom, der ja auch woanders fließt :).
Greifswald teilt sich mit Stralsund die Funktion eines Oberzentrums. Anklam erfüllt nur aufgrund der Tatsache, dass es dort ein Gymnasium gibt und den Kreissitz hat, die Aufgabe eines Mittelzentrums (ein MZ muss mindestens 35000 Ew in Stadt und Umland haben).
Mit Greifswald als Kreisstadt würde man die ganze Stadt Anklam quasi aufgeben – die brauchen wirklich jeden Arbeitsplatz und jeden Euro, der dort ausgegeben wird. Und warum muss denn ein Kreissitz unbedingt repräsentativ sein?
"Nun ließ Innenminister Lorenz Caffier (CDU) durchblicken, er bevorzuge Anklam" (3. Absatz) – ließ ER wirklich durchblicken, oder geht es noch um den Referentenentwurf?
Vielleicht ist ein Gedankenansatz, dass Greifswald wegen der von Marco Wagner genannten Argumente "stark" genug ist und auch ohne Kreissitz zu sein auskommt. (Man vgl. z.B. Brasilien, Kanada, Australien o.ä., wo wohl bewusst nicht die größten Städte/Ballungsräume Hauptstadt sind)
Die Formulierung "Kriegserklärung" von Herrn Liskow ist taktlos und daneben, v.a. angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage.
In Schwerin scheint man vorpommersche Besonderheiten unverändert zu ignorieren. Vorpommern sollte sich Brandenburg anschließen.