Am kommenden Sonntag, dem 9. November, jähren sich zum 70. Mal die Novemberpogrome von 1938, die vor allem unter dem Stichwort „Reichspogromnacht“ bekannt sind. In der Nacht auf den 10. November 1938 gab es im gesamten deutschen Reich antisemitsiche Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten, wobei zahlreiche jüdische Geschäfte und Synagogen in Brand gesteckt wurden.
Auch in Greifswald gab es in dieser Nacht Ausschreitungen. „Es wurden jüdische Geschäfte demoliert und Juden willkürlich verhaftet“, sagt der Student Benjamin Schöler, der mit zusammen mit anderen an diesem Thema geforscht hat. Eine Synagoge habe es in Greifswald nicht gegeben, sondern nur einen Gebetsraum, von dem nicht bekannt sei, ob er in der Pogromnacht verwüstet wurde.
1938 gab es in Greifswald nicht mehr viele Juden. Von den ehemals über 100 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde waren 1938 nur noch wenige in Greifswald. Viele Juden in Greifswald waren Handelstreibende und so neben dem zunehmenden Antisemitismus und der Schikanierung durch das NS-Regime auch durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise geplagt. Sie zogen vor allem in Großsstäde fort, wo das soziale Netz unter den Juden besser war.
In diesem Sommer wurden in Greifswald Stolpersteine zum Gedenken an deportierte Juden verlegt. Initiiert worden war das Projekt von der Evangelischen Studentengemeinde.
Zahlreiche Termine in Greifswald
Am Sonntag findet um 12 Uhr an der Gedenktafel in der Mühlenstraße (gegenüber der Gemäldegalerie) eine zentrale Gedenkveranstaltung statt. Sie wird ausgerichtet vom „Arbeitskreis Kirche und Judentum“ der Pommerschen Evangelischen Kirche und wird auch von Repräsentanten der Stadt besucht werden. Die Stadt selbst organisiert keine Veranstaltung. (Mehr Infos auf kulturmodul.de)
Das Theater Vorpommern veranstaltet um 16 Uhr eine Lesung mit dem Titel „Empfänger unbekannt“. Aus dem gleichnamigen Buch von Kathrine Kressmann Taylor lesen Anton Nekovar (Intendant) und Hans-Jörg Schüler (Vorsitzender des Aufsichtsrats). Die Veranstaltung wird musikalisch gestatltet von Henning Ehlert. (Mehr Infos beim Theater Vorpommern)
Im Dom gibt es um 19:30 eine Live-Vertonung des Stummfilms „Der Golem“. Solisten des Theaters Vorpommern musizieren unter Leitung von Kirchenmusikdirektor Frank Dittmer. (Mehr Infos im aktuellen Greifswalder Gemeindebrief, Seite 2, pdf-Datei)
Ebenfalls um 19:30 veranstaltet die Antifa einen Vortrag im Zentrum St. Spiritus (Lange Straße 49/51) mit dem Titel „Das ewige Vorurteil? Antisemitismus in Vergangenheit und Gegenwart“. (Mehr Infos auf der Homepage des Kulturzentrums St. Spiritus)
Der Arbeitskreis Kirche und Judentum zeigt um 20 Uhr in Kooperation mit dem CineStar-Kino den Film „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land“. Der Film dokumentiert das jüdische Leben im heutigen Deutschland und ist der zweite Teil einer Veranstaltungsreihe mit Filmen zu diesem Thema. (Mehr Infos auf kulturmodul.de)
Am Montag, dem 10. November, findet im Konferenzraum des Uni-Hauptgebäudes ein Vortrag mit dem Titel „Juden in Deutschland – Gegenwart und Zukunft“ statt. Zu Gast ist Dr. Rahel Herweg. (Mehr Inofs auf kulturmodul.de)
Haben wir Veranstaltungen vergessen? Dann bitte einen entsprechenden Kommentar hinterlassen!
14h vor der post
kundgebung „gedenken an die opfer der reichspogromnacht“
Gabriel, kannst gerne auch die Seite der Antifaschistischen Aktion Greifswald (AAG) mit angeben zu der Veranstaltung am Sonntag um 19:30h: http://antifahgw.blogsport.de/ :wub:
Dort finden sich noch weitere Veranstaltungstermine, die die AAG im Rahmen ihrer „Tu Wat“-Reihe durchführt.
Auch auf der von Sebastian so oft zitierten Homepage der DKP-Gruppe Greifswald findet sich ein aktueller Flyer zum 70. Jahrestag der Pogrome: http://www.dkp-greifswald.de/downloads/reichspogromnacht.pdf :whistle:
Wie Benjamin Schöler in dem Artikel sagte, gab es in Greifswald am 9.11.1938 Angriffe und Plünderungen von jüdischen Geschäften. Es sind aber auch in Vorpommern Synagogen, nämlich in Anklam und Stralsund, von den Nazis zerstört worden, ebenso im heutigen Szeczin und Świnoujście. 1939 gab es (laut einer damaligen offiziellen Bevölkerungsstatistik) in Greifswald von den ehemals über 100 jüdischen Mitmenschen in Greifswald nur noch 24; die letzten Jüdinnen und Juden wurden im Februar 1940 in die Vernichtungslager in Ostpolen transportiert …
Heute ist die Erinnerung an die jüdische Bevölkerung und ihre systematische Vernichtung durch den NS-Faschismus im offiziellen Greifswald weitgehend vergessen. Während in anderen Städten, gerade auch Universitätsstädten, seit Jahren mit städtischen Veranstaltungen der Judenverfolgung und der Shoa gedacht wird, herrscht in der hiesigen Stadtverwaltung offensichtliches Desinteresse an einer solchen antifaschistischen Gedenkkultur. Einen Oberbürgermeister König, der am Volkstrauertag gerne mal an (deutschen) Soldatengräbern medienwirksam einen Kranz abwirft :sick: , habe ich jedenfalls in den letzten Jahren nicht am 9.11. auf der Gedenkfeier gesehen. Nur dank der sehr engagierten ESG und des Arbeitskreises um Professorin Männchen gibt es überhaupt solch eine jährliche Gedenkveranstaltung. Leider ist die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung seit vielen Jahren relativ gering – kommt also zahlreich zur Gedenkveranstaltung um 14:00h! (und natürlich auch zu den anderen themenbezogenen Veranstaltungen …)
die veranstaltung um 12h war schwach besucht…
gerade die studentenschaft bzw deren altersgruppe war enorm
unterrepräsentiert. so reflektiert die „elite“ von morgen anscheinend
die gräuel ihrer großeltern…
sonntagmittag und ihr kriegt den arsch nicht hoch – unglaublich. oder erschreckend? :angry:
An der Gedenkveranstaltung der Antifaschistischen Aktion Greifswald (AAG) um 14:00h nahmen ca. 30 Leute teil, v.a. Jugendliche. Schade eigentlich, daß es nicht hinbekommen wurde, beide Gedenkveranstaltungen zu verbinden. Von der 12:00h-Veranstaltung wußte eigentlich kaum wer, selbst die Reporterin von der OZ war nicht um 12:00h, sondern um 14:00h vor Ort und hat darüber (wie immer in der OZ schlecht und oberflächlich) berichtet (s.u.).
An der Gedenktafel wurden einige Gedichte und ZeitzeugInnenberichte verlesen sowie ein Redebeitrag der AAG gehalten.
Anschließend wurden Blumen und Kränze niedergelegt zum Gedenken an die Opfer des Faschismus, darunter Gebinde von der AAG sowie der DKP.
Im Anschluß an die Gedenkveranstaltung wurde gemeinsam zu allen kürzlich verlegten Stolpersteinen gegangen, wo jeweils ein kurzer Beitrag zum Leben und Leiden der auf den Stolpersteinen verzeichneten Personen gegeben und Blumen sowie Grablichter hinterlassen wurden. Der Rundgang dauerte ca. 90 Minuten und wurde auch nicht – wie andernorts – von Nazis gestört.
Am Abend fand dann noch im St- Spiritus eine Veranstaltung zum Thema Antisemitismus in Vergangenheit und Gegenwart statt, die sehr gut war. Aber auch hier wieder weitgehend lichte Reihen, was als breites Desinteresse in der Greifswalder Bevölkerung gedeutet werden könnte.
Somit ist die Kritik von petra_p. schon berechtigt: In Greifswald gibt es keine gewachsene antifaschistische Gedenkkultur, geschweige denn eine von der Stadtverwaltung mit getragene oder unterstützte. Kein Wunder, daß auf solch einem Boden des Verschweigens und Verdrängens Neonazis auch in Greifswald immer mehr Fuß fassen.
Um so wichtiger, am Montag, den 24. November, um 17 Uhr auf dem Mensavorplatz am Gedenken an Eckard Rütz teilzunehmen, der im November 2000 von 3 Jungnazis mit Baumstützpfählen war der Greifswalder Mensa zu Tode geprügelt wurde. Zu dieser Gedenkveranstaltung ruft wie jedes Jahr das Bündnis „Schon Vergessen? Gedenken an Eckard Rütz“ auf.
Hier der Artikel aus der OZ von heute:
Brennende Synagogen Erinnerung an 1938
Auch in Greifswald gedachte man am Sonntag mit einer Reihe von Veranstaltungen der Reichspogromnacht vom 9.11.1938.
Greifswald Siebzig Jahre ist es her, dass in Deutschland jüdische Gotteshäuser in Flammen standen, Wohnungen und Geschäfte geplündert und jüdische Männer ab dreizehn Jahren in „Arbeitslager“ deportiert wurden. Wer nicht mitmachte, schaute zu oder weg. Nur wenige solidarisierten sich aktiv mit ihren jüdischen Mitbürgern. Auch vor Greifswald machte der Wahnsinn nicht halt – brennende Bücher auf dem Markt, boykottierte und demolierte Geschäfte in der Steinbeckerstraße. In Gedenken an die zahlreichen Menschenleben, die diese Nacht forderte, fand deshalb am Sonntag auf dem Hinterhof des Markt 13 eine Gedenkveranstaltung statt.
Dort, wo auch die bronzene Gedenktafel an der Hauswand ein stilles Mahnmal bildet, brannte eine schlichte Kerze mit dem Spuch: „Diese Laterne brennt zur Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 und zum Gedenken an die jüdischen Bürger Greifswalds vom 9. bis zum 10. November“.
Neben dem Arbeitskreis Kirche und Judentum und der evangelischen Studierendengemeinde beteiligte sich ab 14 Uhr noch eine Gruppe junger Greifswalder. „Die ,Antifaschistische Aktion Greifswald’, das sind junge Leute, die zum einen an die damaligen Ereignisse erinnern wollen, zum anderen aber auch zu aktivem Engagement gegen Rechts heute aufrufen wollen“, erzählt Juliane Beyer (19). Auch ein abendlicher Vortrag im Sankt Spiritus um 19.30 Uhr war geplant. „Wir haben bisher jedes Jahr teilgenommen“, so Beyer weiter. „Doch diesmal gibt es auch einen eigenen Beitrag von uns.“ Einige Sätze eines jüdischen Autors wurden gelesen, ein Gedicht, das von dem möglichen und dem tatsächlichen Handeln erzählte, vorgetragen, und Juliane Beyer fasste die Nacht vor 70 Jahren schlicht zusammen: „Nicht nur Kristalle und Scherben gingen zu Brucht, sondern vor allem Menschenleben.“Auch Jan Steyer (34), Jurastudent aus Greifswald, bekundete mit ein paar dunkelroten Rosen Respekt und Anteilnahme: „Diese Art Gedenkkultur ist viel zu selten“, sagte er. N. GOTTSCHALK
na, da kriegt ihr ganzen schwätzer das maul plötzlich nicht mehr auf…
theorie und praxis.