Während die Regentropfen an meiner lilafarbenen Regenjacke abperlen und ich in Richtung des 18 Tonnen schweren Kutters laufe, sehe ich niemanden. Durch Wiecks ungewohnt menschenleere Hafengegend begleiten mich nur ein paar hungrige Möwen. Es ist Samstag, kurz vor sieben Uhr. Nach einigen hundert Metern erkenne ich Ingo Ohlert, seit fast 50 Jahren Kapitän der Wieck 19, und seine Helfer. Sie stehen regungslos da und lauschen der freundlichen Computerstimme aus dem Ruderhaus. Die Wettervorhersage gibt zunächst Entwarnung und während wir nach knapper Begrüßung ins Boot steigen, geht es auch schon los.
Mit Fisch- und Ölgeruch in der Nase setzt sich das Schiff langsam in Bewegung. „Den Job wollte ich schon immer machen“, erzählt der 61-jährige Kapitän als wir unter dem schützenden Dach des Ruderhauses auf dem Schiff Platz genommen haben. Udo, der heute mithilft, sitzt neben mir. Die Augen des Rentners strahlen, als er anschließend erzählt, er sei aus purer Abenteuerlust manchmal mit an Bord, um mit anzupacken. Geld bekommt er dafür nicht, „aber man weiß ja nie was drin ist, in die Netz“. Unter dem gemächlichen Tuckern des Dieselmotors verlassen wir das Hafengebiet, um auf das Meer und zu den Aalreusen zu fahren. Monoton ist die Aussicht aus dem kleinen Fenster unseres Aufenthaltsplatzes. Schaue ich mich weiter um, fällt mir sofort das Durcheinander im Steuerhaus des elf Meter langen Kutters auf. Überall lugen Tüten und Utensilien hervor. Die Holzverkleidung trägt ein bizarres Muster aus getrockneten Fischschuppen.
Während wir Fahrt aufnehmen und Kapitän Ohlert das über 5.000 Euro teure Navigationsgerät justiert, komme ich mit Ronny ins Gespräch. Für den 25-Jährigen aus dem Ostseeviertel ist es heute die erste Ausfahrt: „Mal sehen, ob es etwas für mich ist“. Etwas anderes bleibt ihm auch nicht übrig, meint er. Arbeit muss man erst mal finden. Da sind wir auch schon beim Thema. Ich sitze mit den vier Fischern in der Kombüse und höre, dass von ehemals 4.500 Fischern in der Bundesrepublik gerade mal 292 übrig sind. „Die Kerle sind nicht mehr die jüngsten und Nachwuchs bekommt man nur schwer ins Boot“, so der besorgte Ohlert. Während der Motor warmläuft, kommen auch die Fischer auf Temperatur. „Die erlauben einem nicht das zu machen, was man gerne möchte“, ergänzt der Kapitän. Die anderen nicken. Die neuen Fangbegrenzungen sollen die Fischarten schützen, die kurz davor sind auszusterben. Unterdessen verdunkelt sich auch die Miene von Ronny, dem Nachwuchs, der sich nun auch als gefährdete Spezies fühlen darf.
Nach 90-minütiger Fahrt erreichen wir die ersten Aalreusen. Jetzt entscheidet sich, ob Geld verdient wird oder nicht. „Wenn du nichts rausholst, verdienst du nichts. So einfach ist das.“ So klingt kein zufriedener Kapitän, denke ich mir und schaue Ronny und den anderen bei ihrer Arbeit zu. Während sich Ohlert aus seinem Steuerhaus lehnt, gleichzeitig Anweisungen gibt, mit den Händen gestikuliert und das Boot manövriert, wuchten die drei Gehilfen die Reusen auf die Bootsplanken. Die Handschuhe, längst vor Fischschleim triefend, sollen ihre Hände schützen. Nach gut einer halben Stunde sind die Männer verschwitzt und atmen schwer. Eine Hand voll Aale schlängeln sich im weißen Plastikeimer während die Mannschaft pausiert. Unzufriedene Gesichter in der Kombüse. Hier glühen nur die polnischen Zigaretten – von Euphorie oder Hochstimmung kann keine Rede sein. Kurz bevor er die Kippe ausdrückt, raunt Ohlert in meine Richtung: „Wenn das so weiter geht, haben wir ja nicht mal den Diesel wieder drinnen.“ Ein paar Minuten später landen weitere Aale auf der Wieck 19. „Sonst haben wir viel mehr Aale.“ Immer wieder verfangen sich kleine Flundern in den Aalreusen und werden über Bord geworfen. Sie landen entweder in den Mäulern der Möwen oder schaffen es wieder ins Meer. Zwei Stunden mit Reusen wuchten und dem mühsamen Entwirren der Aale aus den Maschen sind vergangen. Die Männer mit den breiten Kreuzen sitzen entkräftet im Ruderhaus und rauchen. Nachdem ich die Frage, ob ich seekrank sei, verneint habe, erwidert der Kapitän, dass mir eigentlich ja auch nur vom miesen Fangergebnis schlecht werden könne. Katerstimmung. Ohlert und sein Gefolge beschließen, dass wir jetzt zu den Flundernetzen fahren. Kaum angekommen, holen die Helfer die Netze ein. Nach und nach purzeln die Flundern ins Boot. „Das Netz ist erst seit gestern draußen, also sind da auch noch nicht so viele Fische zu holen“, beschwichtigt einer der Gehilfen. Nachdem gut 30 Plattfische in der Kiste liegen, fahren wir zum Heimathafen.
Zurück am Bodden der Tatsachen
Während das Navigationsgerät den Kurs berechnet, sitzt die gesamte Mannschaft mit mir im Ruderhaus. In Windeseile wird ein Tisch aufgebaut. Im dichten Zigarettendunst öffnen die Fischer jeweils eine Bierflasche und spielen Skat. Der Kutter verwandelt sich in einen schwimmenden Pub. Auf der Rückfahrt bleibt viel Zeit zum Sinnieren, auf Fischerart versteht sich. Kapitän Ohlert macht seinem Ärger Luft. „Die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Für die Jungen ist der Berufseinstieg einfach nicht lukrativ genug. Jetzt müssen wir den Fisch sogar noch selber vermarkten. Das gab´s zu DDR-Zeiten alles nicht. Manchmal bleiben wir auf Fisch sitzen.“ Unzufrieden schüttelt er mit dem Kopf und wirft seine Karte auf den Tisch. König, Bube und Dame blicken in erschöpfte Männergesichter. Weg wollen sie dennoch nicht. Der Greifswalder Bodden hat sie fest in ihren Bann gezogen. Die Gesichter fangen an zu strahlen, wenn sie mir von kuriosen Fängen, wie einer Robbe berichten, deren Leben sie retten konnten. Im Sommer, so erzählen sie weiter, gibt es auch viele schöne Stunden auf dem Wasser und manchmal wird auch mal zum Baden ins Meer gesprungen. Im gleichmäßigen Takt des Dieselmotors und dem ständigen Vibrieren der Schiffswände, an die wir uns lehnen, erreicht die Wieck 19 am frühen Nachmittag ihren Heimathafen. Die vielen Touristen, die inzwischen das Hafengebiet säumen, beobachten das Verladen des Fisches. Den jungen Ronny frage ich, ob er immer noch Fischer werden möchte und nach kurzem Zögern sagt er: „Ja.“
Von Matthias Jügler