1938 glückte erstmalig die Spaltung eines Urankerns, 1945 detonierte die Atombombe in Hiroshima. Im Kalten Krieg gesellte sich die permanente Angst hinzu, Europa könne auf gleiche Weise von einem Augenblick auf den nächsten verstrahlt und ausgerottet werden.
Dürrenmatts „Physiker“ waren den öffentlichen Debatten seiner Zeit auf den Fersen. Die Zeiten ändern sich, die Gefahr bleibt bestehen . Und das Stück lebt – noch immer. Jüngst sei dies bewiesen durch die Diskussion um den Genfer Teilchenbeschleuniger und die damit aufkommende Angst, es könnten schwarze Löcher entstehen.
Die klassische Inszenierung des Stücks „Die Physiker“ am Theater Vorpommern bleibt der Dürrenmatts getreu. Das Bühnenbild gleicht einer Mischung zwischen einem Hochsicherheitstrakt für Barbie und Ken und einer Hotellobby der Neureichen. Auf vertraut tragikkomische Weise wird die Kulisse genutzt, um ein ernstes, anspruchsvolles Thema in Szene zu setzen: den inneren Konflikt eines Wissenschaftlers.
In der Irrenanstalt der Aristokratin Mathilde von Zahnd, sind nur drei ehemalige Physiker untergebracht. Nun wird in ihrer Anstalt zum zweiten Mal eine Krankenschwester erdrosselt aufgefunden. Beide wurden von ihrem Physiker, den sie betreuten, umgebracht. Der Mörder steht also fest. Das Problem ist nur, dass „Irre“ nicht so leicht gerichtsbar sind und ohne Strafe weiter ihren „Unfug“ treiben dürfen. Die Oberärztin vermutet, dass die Mordlust der Physiker durch die atomare Strahlung verursacht wurde, der sie in den Jahren ihrer Forschungszeit ausgesetzt waren. Doch ist das wirklich der Grund? Die Wahrheit bleibt bis zum letzten Akt verborgen.
Die Handlung verbirgt sich hinter einem Wust aus Konstruktionen, die der Zufall geschickt hat. Das Handeln der Physiker allerdings ist alles andere als Zufall, sie ist pure Berechnung. Zugegeben, Dürrenmatts „Die Physiker“ ist ein sehr moralisierendes Stück. Es warnt, will Mahnmahl sein, dem Bewusstsein zurufen, dass jeder Einzelne verantwortlich ist gegenüber seiner Umwelt, im Extremfall gegenüber allem Leben.
Das Stück lebt von der schauspielerischen Qualität der Darsteller. Und so lebt es sich vielseitig. Hannes Rittig als Newton spielt wieder mal den Pausenclown, gekonnt trägt er den Hauptanteil zur Komödienhaftigkeit des Stückes.
Konträr dazu steht der sinnierende Möbius (Markus Voigt) als faustische Gestalt. Ein stiller, bewegter Denker. Immer im aufregenden Spagat zwischen dem inszenierten Wahnsinn und rationaler Berechnung. Ein vernunftbegabter Mensch, voll Ehrfurcht vor dem eigenen Wissen und der Dummheit der Gattung Mensch. Brillant spielt Gabriele Püttner die bucklige Irrenärztin. Nur Einstein scheint sich ein wenig zu derb in die Rolle des schläfrigen Beihelden gequetscht zu haben. Für Nostalgiker und ehemalige Deutschleistungskursler, die den Psalm Salomos schon singen konnten, ist das Stück gut geeignet. Reißende Innovation ist allerdings nicht zu erwarten. Dennoch präsentiert sich das pommersche Theater mit einer hinreißenden Besetzung. Und zu guter Letzt geht uns der Stoff doch alle an.
Von Sara Vogel