Zum Titel des Theaterstückes fallen viele Assoziationen ein. Amok. Robert S., Gutenberg-Gymnasium, 2002. Kinderspiel. Spiel. Computerspiel. Counterstrike?
Mit diesen und weiteren Gedanken und der Frage im Hinterkopf, welche Gründe zusammen kommen müssen, um eine solche Tat zu begehen, geht es auf ins Theater. Klar ist, dass es kein „Amok-Gen“ gibt und niemand als Amokläufer geboren wird.
Der Autor des Stückes Thomas Freyer machte 2000 sein Abitur an einem Gymnasium in Gera und ist damit zeitlich und örtlich nah an den Ereignissen vom Gutenberg-Gymnasium. Er hat zwar auch keine allgemein gültige Antwort darauf, wie man zum Täter wird, liefert aber trotzdem einen Erklärungsversuch.
Im Mittelpunkt steht ein Generationskonflikt. Auf der einen Seite sind Eltern und Lehrer mit Stasi-Vergangenheit, die schon lange ihre Vorbildfunktion verloren haben. Insbesondere die Eltern sind nach der Wende in ein tiefes Loch gefallen, haben ihre Orientierung verloren und können mit ihren Kindern nur noch oberflächlich kommunizieren. Voller Freude erzählen sie ihrem Nachwuchs, wie toll sie doch gespart hätten, weil sie zehn Schokoladenweihnachtsmänner im Oktober gekauft hätten. Super. Die Jugendlichen auf der anderen Seite sind von ihrem Alltag und ihren Eltern frustriert. Luft machen sie ihrer Verzweiflung, indem sie sich in Arme und Beine ritzen, sich hinter dem Komposthaufen erbrechen oder Hakenkreuze an die Schulwand sprühen. Und irgendwo dazwischen entdeckt man sogar Parallelen zu seiner eigenen damaligen Pubertät. Deshalb entwickelt man erschreckender Weise bis zu einem gewissen Grad Verständnis für den Amoklauf der drei, der den Schwerpunkt im zweiten Teil des Stückes bildet. Mit Befehlen aus „Counterstrike“ feuern die drei sich während der Tat gegenseitig an.
Erstaunlicherweise kommt die Inszenierung ohne das Zeigen von Waffen und Gewalt aus. Das von den Protagonisten Gesprochene ist sehr intensiv, denn alles spielt sich in den eigenen Gedanken ab. Auf einmal sieht man sein eigenes ehemaliges Gymnasium, hat die Vorbereitungsräume der Biologie im Hinterkopf und weiß noch genau, wie der Raum 0.37 aussieht. Erschreckend. Passenderweise stammt die einzige gewählte Musik von „Radiohead“, die die dargestellte Frustration und Ausweglosigkeit unterstreicht. Der Zuschauer wird dennoch im Unklaren gelassen, ob das Gezeigte nun real oder auch nur ein Computerspiel sein soll. Nach dem Amoklauf ist es ruhig, fast beängstigend still. Das Stück ist vorbei. Und das Publikum? Sitzt nach dem Ende noch eine Weile da, sichtlich nachdenklich. Es macht was mit einem: Das Schauspiel berührt. Und man braucht nach dem Stück wieder eine Weile, um etwas wie Glück oder Freude empfinden zu können.
Von Christine Fratzke