Hilfe durch den Hochschulpakt 2020
„Ein Dozent warf Studenten des achten Semesters raus und gab Studenten des sechsten Semesters einen Seminarplatz.“ Virginie Biahri studiert im sechsten Semester. Sie verließ dieses Seminar vor Sitzungsschluss. „Ich wollte höheren Semestern nicht den Platz wegnehmen“, begründet die Lehramtsstudentin ihren Entschluss. „Kurz bevor ich gegangen bin, forderte der Dozent, dass sich diejenigen melden sollten, die in der Zwischenprüfung eine Eins bekommen haben.“ Das wurde der Geschichtsstudentin zu bunt. Ob die Einser-Kandidaten letztlich einen Platz ergattern konnten, weiß sie nicht.
So wie Virginie Bihari ging es vielen Geschichtsstudenten zu Beginn dieses Semesters. Auch in den Instituten für Deutsche Philologie, Geografie und Anglistik haben es vor allem die Lehramtsstudenten manchmal schwer den gewünschten Seminarplatz zu bekommen. Die Dozenten sind oft überfordert von der Masse der Studenten, die in ihre Seminare strömt. Wenn 40 Studenten in einem Hauptseminar ihre Hausarbeit schreiben wollen, ist das für einen Dozenten kaum zu schaffen. „Die haben auch keinen Bock mehr. Die wollen Seminare geben und müssen dann Vorlesungen halten“, meint Germanistikstudentin Ellen.
Was fehlt, sind konkrete Richtlinien hinsichtlich des Zugangs zu Seminaren und eine konsequente Umsetzung. Doch auch das würde die Zahl derer, die nicht in ihre Wunsch- oder Pflichtveranstaltungen kommen, nicht verringern. Um allen Studenten die Möglichkeit zu bieten ihr Studium in der Regelstudienzeit abzuschließen, bedarf es zusätzlicher Lehrkräfte.
Professor Karl-Heinz Spieß, geschäftsführender Direktor des Historischen Instituts, kennt das Problem aus eigener Erfahrung und versucht nun Lösungen zu finden. „In meinem Hauptseminar hatten sich 81 Studenten eingetragen. Ich bin dann nach der Semesterzahl gegangen. Das ist auch bisher immer auf Akzeptanz gestoßen“, sagt Spieß. „Leider verspielen wir den guten Ruf der Betreuung, wenn wir so überbelastet sind. Ich hoffe im Sinne der Dozenten und Studenten, dass es bald besser wird. Der einzige Lichtblick ist der Hochschulpakt“, ergänzt der Historiker.
Finanzielle Unterstützung
Der Hochschulpakt ist eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Dieser soll es den Hochschulen durch finanzielle Unterstützung leichter machen, den steigenden Andrang von Studenten bis zum Jahre 2020 zu kompensieren. Im Gegenzug dazu werden die Hochschulen in Deutschland bis 2010 insgesamt etwa 91.370 zusätzliche Studenten aufnehmen.
Für jeden Studienanfänger wurden auf vier Jahre verteilt Kosten von 11.000 Euro berechnet. 15 Prozent der vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel erhalten die neuen Bundesländer. Als Gegenleistung verpflichten sich neben Mecklenburg-Vorpommern auch Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen dazu, die jährlichen Studienanfängerzahlen auf dem Niveau von 2005 zu halten. An der Greifswalder Universität liegt dieses bei 1939 Immatrikulationen. Der Grund für die Unterscheidung zwischen Ost und West sind Schätzungen, die besagen, dass die Zahl der Studenten in den neuen Bundesländern langfristig ab- und in den alten Bundesländern zunehmen wird. In der ersten Periode der Förderung zwischen 2007 und 2010 erhält die Greifswalder Hochschule insgesamt etwas über drei Millionen Euro. Diese Mittel sollen in erster Linie für „kapazitätserweiternde“ und „qualitätsverbessernde Maßnahmen“ verwendet werden. Das bedeutet, dass von den Geldern vornehmlich wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehraufträge finanziert, Professuren vorzeitig und flexibel besetzt und Lehrkräfte für besondere Aufgaben eingestellt werden sollen.
Erste Stellen besetzt
Im Wintersemester 2007/08 ist der Hochschulpakt angelaufen. Institute, bei denen der Bedarf besonders hoch ist, konnten auch schon, finanziert durch die Bundesmittel, erste Stellen besetzen. „Vorrangig geht das Geld an die Lehreinheiten, die deutlich mehr Studenten aufgenommen haben als sie nach den Kapazitätsberechnungen eigentlich müssten. Gegenwärtig ist das vor allem die Politikwissenschaft. Aber auch die Deutsche Philologie und die Betriebswirtschaft haben erhebliche Mittel zugesagt bekommen“, erklärt Rektor Professor Rainer Westermann.
So werden in der Politikwissenschaft insgesamt zehn halbe Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter aus dem Hochschulpakt finanziert. Diese sollen bis zum Oktober alle besetzt sein und werden ausschließlich für die Lehre eingesetzt. Um den organisatorischen Aufwand so gering wie möglich zu halten, wurden die Stellen größtenteils mit Mitarbeitern des Instituts besetzt. Auch im Studiengang Betriebswirtschaftslehre können mit Hilfe der Mittel aus dem Hochschulpakt überfüllte Veranstaltungen doppelt angeboten werden. „Im Sommer kommen dann noch Kräfte für die Korrekturen der Klausuren hinzu, um dies schneller über die Bühne zu bringen“, berichtet Sabine Hosemann, die Geschäftsführerin des Dekanats der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät.
Das Institut für Deutsche Philologie konnte im vergangenen Wintersemester drei halbe Stellen besetzen, die in erster Linie eingesetzt werden, um die Grundkurse zu entlasten. So können Veranstaltungen geteilt werden, womit sich die Zahl der Studenten in einigen Seminaren von zuvor um die 80 auf 40 Studenten verringert. „Wir haben noch je eine halbe Stelle für Fachdidaktik und Mediävistik beantragt. Diese sind aber nicht genehmigt worden, aus mir nicht ganz verständlichen Gründen“, berichtet Professor Jürgen Schiewe, der stellvertretende Direktor des Instituts für Deutsche Philologie. Trotzdem ist durch den Hochschulpakt eine Erweiterung des Lehrangebots erreicht worden. Schiewe lobt vor allem die unkomplizierte Entscheidung über die Stellen im letzten Herbst und die schnelle Abwicklung der Verträge. „So stelle ich mir das Reagieren der Universitätsleitung auf den erhöhten Bedarf an Seminaren vor.“
Lösungsversuche
Trotz dieser positiven Effekte des Hochschulpaktes muss bedacht werden, dass die Hochschulen in der Regel erheblich unterfinanziert sind. Das wurde in den Berechnungen zur Vereinbarung jedoch nicht berücksichtigt. „Die Mittel aus dem Hochschulpakt sind insgesamt viel geringer als die Kürzungen in den letzten Jahren. Sie sind ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Westermann. Auch die Hochschulrektorenkonferenz sieht die Möglichkeiten des Paktes realistisch. Auf der Internetseite heißt es: „Es muss zudem darauf hingewiesen werden, dass eine deutlich verbesserte Betreuungsqualität im Rahmen der gestuften Studienstruktur mit diesen Finanzmitteln nicht erreicht werden kann.“
Der Leiter des Historischen Instituts hat jetzt einen Numerus Clausus für den Lehramtsstudiengang beantragt, der die Zahl der neuen Studenten auf 120 begrenzen soll. „Die Welle, die in den letzten Jahren immatrikuliert wurde, muss erstmal abgebaut werden“, erklärt Spieß diesen Entschluss. Für diese Maßnahme haben sich die Verantwortlichen für den Studiengang Geografie schon vor zwei Jahren entschieden. Im Moment könne es zwar in den oberen Semestern noch zu Problemen kommen, aber durch den NC seien schon Verbesserungen spürbar. So stehen die jüngeren Semester nicht mehr vor verschlossenen Seminartüren oder müssen feststellen, dass die Einschreibefristen im vergangenen Semester waren. Spieß möchte zudem Stellen beantragen, die durch den Hochschulpakt finanziert werden. Außerdem wurde eine neue Lehrkraft für die Fachdidaktik bewilligt. Eine grundlegende Verbesserung kann in diesem Bereich jedoch nicht erwartet werden. Der Rektor regt die Studenten trotzdem an, die Probleme nicht für sich zu behalten: „Massive Unzulänglichkeiten in der Lehre sollten die Betroffenen unverzüglich mit dem Studiendekan der betreffenden Fakultät besprechen. Die Fakultäten sind dafür verantwortlich, dass jeder Student alle notwendigen Pflichtveranstaltungen tatsächlich auch zum vorgesehenen Zeitpunkt besuchen kann.?
Geschrieben von Alina Herbing