Europaparlamentarier zu Tri-Nationalitäten und Energielücken
Für seine Doktorarbeit las Professor Alfred Gomolka (CDU) russische Fachliteratur. Heute versteht er noch genug, um Fehler bei Dolmetschern zu erkennen. Für seinen Einzug in das Europaparlament 1994 besuchte er einen Auffrischungskurs in Englisch. Seitdem pendelt der 66-Jährige zwischen Brüssel, Straßburg und seinem Wahlkreis Greifswald hin und her. moritz wollte wissen, was er außerdem macht.
moritz: Professor Gomolka, wie viel Geld haben Sie von Wilhelm Schelsky für Ihren Wahlkampf erhalten?
Professor Alfred Gomolka: Ich habe Wilhelm Schelsky erst vor knapp einem Jahr kennen gelernt. Bis dahin hatte ich weder eine Vorstellung von der Person, noch von den Aufgaben, die er wahrgenommen hat.
moritz: Sie sind Gegner des Steinkohlekraftwerkes und nehmen damit in der CDU, neben dem Kreisverband Rügen, eine Sonderposition ein. Warum?
Gomolka: Mir erscheint die Argumentation nicht schlüssig. Auf der einen Seite diskutieren wir über den Klimawandel und eine CO2-Reduzierung, andererseits würde der Bau eines Kohlekraftwerkes den CO2-Wert zwangsläufig regional erhöhen. Doch wir steuern auch auf eine Energielücke zu. Nüchtern betrachtet ist dort Kernenergie eine Alternative. Viele Einwände sind zwar ideologisch begründet, doch sachlich nicht recht haltbar. So könnten wir die Situation entkrampfen.
moritz: Was wäre eine Alternative für Lubmin?
Gomolka: Gaskraftwerke haben erheblich weniger Ausstoß. Die Kühlkapazität muss im Standortverfahren mehr Beachtung finden. Denn hier könnte eine Limitierung erreicht werden. Ein Kohlekraftwerk und zwei Gaskraftwerke bedeuten Kühlkapazitäten in einer Größenordnung, die sicherlich ans Limit gehen, wenn nicht darüber. Da der Gaspreis aber an den Erdölpreis gebunden ist und klettert, scheint das Kohlekraftwerk kurzfristig attraktiv. Der Preis ist niedrig und die CO2-Emission sei lokal verkraftbar, sagt unsere Kanzlerin.
moritz: Es scheint, als sei das Kraftwerk politisch gewollt. Werden die Verfahren nur der Form halber geführt und ist die Entscheidung nicht schon gefallen?
Gomolka: Eine Vorentscheidung erfolgte sicherlich, als politische Willensbekundung. Doch jetzt folgt die Phase, wo knochentrocken abgearbeitet wird und geltend gemachte Einwände abgewiesen oder anerkannt werden. So ein Verfahren hat schon Eigendynamik. Ich rechne damit, dass Gefährdungspotentiale und Kühlwassernutzung noch eine Rolle spielen werden.
moritz: Befürworter bringen vor allem die Baukosten von zwei Milliarden Euro, die hier umgesetzt werden, sowie die 150 bis 200 entstehenden Arbeitsplätze an.
Gomolka: Das ist teilweise zu optimistisch gesehen. Die wichtigsten Komponenten jedes Kraftwerkes kommen von bestimmten Produzenten. Es soll keiner glauben, dass die Kesselanlagen hier im Lande entstünden. Was die Arbeitsplätze betrifft, gehen die Schätzungen ein bisschen auseinander. Ein modernes Kohlekraftwerk dieser Größenordnung hat etwa 80 Beschäftigte im Schichtdienst.
moritz: Haben Sie bei der Unterschriftenaktion der Bürgerinitiative mitgemacht, um die Debatte wieder in den politischen Prozess zu führen?
Gomolka: Ich unterstütze die Initiative durchaus. Ich habe allerdings nicht unterschrieben, was nicht am Anliegen, sondern an der Begründung auf der Rückseite lag. Diese kann ich nicht voll mit tragen, insbesondere im Hinblick auf die fehlende Aussage zur Kernenergie. Das ist für mich ein schwer verzichtbarer Bestandteil einer Energieversorgungsstrategie.
moritz: Die Bürgerinitiative hat 32.000 Unterschriften an die Landtagspräsidentin eingereicht. Glauben Sie, dass sich der Landtag dadurch anders entscheiden wird?
Gomolka: Die Stimmung in der CDU ist relativ klar. Mit dem Abstand zum Standort des Kraftwerkes wächst außerdem das Desinteresse. Beim führenden Koalitionspartner gibt es konträre Meinungen, die mehr oder weniger von politischen Egoismen geprägt sind.
moritz: Inwieweit verfolgen Sie ansonsten die Landespolitik?
Gomolka: Doch sehr. Ich sehe mich in Brüssel als Vertreter des Landes und nicht in erster Linie von parteilichen Interessen geleitet. In der Hinsicht sind mein SPD-Kollege Heinz Kindermann und ich einer Meinung. Wir sehen uns fast jeden zweiten Flug und tauschen uns regelmäßig aus.
moritz: Die Zielvereinbarung zwischen Uni und Land steht 2010 wieder an. Finanzmittel gibt es vom Land nur als Inflationsausgleich. Wissenschaft und Forschung brauchen Zeit. Sollten die Landespolitiker nicht weiter als bis zur nächsten Wahl denken und mehr investieren?
Gomolka: Es gibt einen schönen Spruch einer proletarischen Mutter, die mit ihrem Sohn einen Anzug kaufen geht. Der Sohn steuert auf das Billigangebot zu und die Mutter meint: „Nein so etwas Billiges können wir nicht kaufen, dafür sind wir zu arm.“ Es sollte der Mut vorhanden sein, um auch mit der Finanzierung Prioritäten zu setzen.
moritz: Was wäre eine solche Priorität für Sie?
Gomolka: Schwerpunkte sind für mich ausgewählte Gebiete der Energietechnik. Außerdem sollten Bereiche unterstützt werden, in denen wir bereits einen international bedeutenden Stand erreicht haben, wie die Mikrobiologie.
moritz: Die Universität besteht größtenteils aus Studenten, die ihre Ausbildung an der Philosophischen Fakultät genießen. Welchen Mehrwert bringen sie der Gesellschaft gegenüber einem Naturwissenschaftler?
Gomolka: Zumindest können sie ein Leben lang für die Universität Reklame laufen und damit einen langfristigen Effekt bewirken.
moritz: Die Europäische Union (EU) hat inzwischen 27 Mitglieder. Wo sind die Grenzen der EU?
Gomolka: 1994 herrschte noch die Meinung vor, zuerst die Beziehungen zwischen den Mitgliedern aus zu gestalten. Ich war vehement dagegen, weil so jeder die Erweiterung hätte blockieren können, was zu einer politischen Grauzone geführt hätte. Glücklicherweise kam es anders. Jetzt sind wir an dem Punkt, wo es für mich zwingend erforderlich ist, die Vertiefung voran zu bringen. Es heißt, die Erweiterung zurück zu fahren und stattdessen verstärkten Wert auf die Beziehungen zwischen den Partnern legen. Wenn das nicht passiert, sehe ich eine riesige Gefahr, die sich auch in den Europawahlen äußert: Die Bürger sind überfordert.
moritz: Verkauft der Parlamentarier seine Arbeit nicht richtig?
Gomolka: Mir hat sich eine Grafik eingeprägt. Dargestellt war die schematische Interessenlage der Menschen. Eine Raumachse, eine Zeitachse und in der Nähe des Nullpunktes war eine dichte Punktwolke, die nach außen ganz stark ausdünnte. Den Durchschnittsbürger interessiert nur das, was kleinräumig und kurzfristig orientiert ist. Sie interessieren sich zu 80 bis 90 Prozent was heute Abend passiert, was morgen getan werden muss …
moritz: … wie wir das Interview fertig bekommen …
Gomolka: Genau. Das ist doch logisch. Sie interessieren sich für Greifswald, Ihre Universität, auch noch für das Land, wenn es kritisch wird. Wir sind genetisch so gestrickt.
moritz: Wenn wir schon beim Menschen sind. Wir sind es gewohnt in Nationen zu denken, nicht supranational. Kann das geändert werden?
Gomolka: Wir müssen einfach hinnehmen, dass sich mit der EU und ihren großartigen Gedanken keine Bäume ausreißen lassen. Das interessiert die Leute nur selten. Deshalb brauchen wir eine direkte Verbindung zwischen der EU und den Regionen. Das ist für den einzelnen Bürger noch überschaubar. Die Euroregion Pomerania ist für Polen, Deutsche und Dänen ein Begriff. Wir müssen ganz gezielt mehr Wert auf die Regionalpolitik legen, denn diese wächst am schnellsten, auch finanziell.
moritz: Es heißt nicht umsonst Europa der Regionen.
Gomolka: Ich würde es auch nicht ein Europa der Nationen nennen wollen. Weshalb sollen wir nicht eine neue regionale Identität bekommen? Dann wären wir Tri-National, ein deutscher Pommer und ein polnischer Pommer. Das ist noch Zukunftsmusik.
moritz: Wie werden Landesinteressen in Brüssel umgesetzt?
Gomolka: Durch Unterstützung wichtig scheinender und konkreter Projekte. Ich übe zwei wichtige Nebentätigkeiten aus: Ich bin Briefträger und Türöffner. Ein Anliegen nehme ich entgegen, leite es an die richtige Stelle weiter und erlaube mir ab und zu nachzufragen.
moritz: Lässt sich die Europaidee mit den Anschauungen extremer Parteien vereinen?
Gomolka: Da wird man ziemlich gelassen. Wenn Nationalisten mit ihren Fähnchen wedeln, weiß man welche Aussage dahinter steckt. Ein paar Idioten gibt es immer.
moritz: Verfolgen Sie was die NPD im Schweriner Landtag macht?
Gomolka: Nein, da bin ich nicht scharf drauf. Ich kenne die Typen aus dem Europäischen Parlament.
moritz: Im nächsten Jahr läuft Ihre Amtszeit ab, dann werden Sie in Rente gehen. Sie sind der erste Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Europaparlamentarier und haben an der Universität promoviert und habilitiert.
Gomolka: Dafür habe ich einen Entlassungsbrief ohne Unterschrift von der Personalabteilung bekommen: „Ist maschinell erstellt.“. Das war es dann. Nur drei Bücher wurden mir noch angemahnt, die ich entliehen hatte.
moritz: Haben Sie die Bücher zurück gegeben?
Gomolka: Ich habe sie nicht gefunden. Wenn ich sie finde, gebe ich sie zurück.
Geschrieben von Björn Buß und Maria Trixa