Eine Nacht, ein Fluss, ein Boot, ein Ex-Autor, eine Frau und cirka sieben Freunde. Das sind die Zutaten für den Ausgangpunkt der Erzählung „Die morawische Nacht“ von Peter Handke. Eine Erzählung auf 560 Seiten, auf denen nicht viel passiert. Aber das „Nicht viel“ ist so gut, dass sich jede Seite lohnt. „Die morawische Nacht“ von Peter Handke.
Ein „ehemaliger Autor“ ruft eines Nachts seine Freunde zusammen, sechs oder sieben an der Zahl. So wichtig ist das nicht, so wichtig ist auch nicht, wie sie heißen oder wer sie sind. Wichtig ist nur, dass sie zuhören, was der „Gastgeber“ ihnen in dieser Nacht auf seinem Boot mit dem Namen „MORAWISCHE NACHT“ zu erzählen hat. Der Ex-Autor berichtet von einer Reise durch Europa. Nein, er berichtet nicht, es ist vielmehr eine Schilderung und die Reise führt ihn nicht nur durch Mitteleuropa, sondern auch durch sein Leben. Und eigentlich ist die Reise auch gar keine Reise, sondern eine Flucht, eine Flucht vor einer Frau, die ihn zu sich selbst führt. Dabei stechen immer wieder die Affinitäten zu dem Leben des realen Schriftstellers, zu Handke selbst, ins Auge.
Vertraute Ferne
Das erste Ziel der Reise ist die kroatische Insel Krk („der ehemalige Autor“ nennt sie Cordura), auf der Handke seinen Debütroman verfasst und die erste große Liebe erlebt hat, die er dort auch wiedertrifft. Die nächste Station, die spanische Stadt „Numancia“, lässt ihn als Gast an einem Symposium für Lärmgeschädigte teilnehmen. Weiter geht es in den Harz zum nicht mehr vorhandenen Grab seines Vaters. Auf dem Weg in sein österreichisches Geburtsdorf nimmt er noch an einem „Weltmaultrommeltreffen“ teil, trifft auf den toten „Zaubermärchenschreiber“ Ferdinand Raimund und begegnet einer Reihe außergewöhnlicher Gestalten auf einer„Alten Straße“. In seinem „Stammdorf“ angelangt, spricht ihn seine Mutter im Traum frei von jeglicher Schuld an ihrem Selbstmord, bevor er zurückkehren kann in sein Hausboot auf der Morawa. Auf den Stationen seiner Reise hat der „Ex-Autor“ immer wieder ein Stück Balkan gefunden. Als er nun in Porodin ankommt erkennt er jedoch seinen Balkan nicht wieder. Zu viel hat sich verändert während seiner Abwesenheit.
Detailansicht
Die Erzählung erlaubt Einblicke, Einblicke in Handkes Leben. Vom Schreiben über das problematische Verhältnis zu Frauen bis hin zu seinen politischen Verstrickungen in den ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien. Es geht um Träume und Europa, um die Liebe und die Einsamkeit. Mit teils tiefem Schmerz aber auch einer Prise Selbstironie führt der Autor durch seine Vergangenheit, die sich auf den einzelnen Stationen wiederfindet. Zwischendurch hängt die Handlung zwar ab und zu fest, der Leser wird in diesen Pausen jedoch mit so genussvollen „Großaufnahmen“ gefüttert, dass es der Erzählung nicht schadet. Sei es das kaum merkliche Winken eines Mädchens im Balkan, sei es der Schmetterlingsflug oder die Beobachtungen von Händen am Lenkrad. Nach der Lektüre der morawischen Nacht, wird man die Welt mit anderen Augen betrachten.