Da staunten die Festivalmacher nicht schlecht. Denn anders als erwartbar hatten Ragnheidur Gröndal und ihr Gitarrist Gudmundur Pétursson kein eigenes Material für ihren Auftritt am Montagabend im St. Spiritus im Koffer.
Sehr ernst nahm es isländische Sängerin mit ihrem Festivalbeitrag als würdige Vertreterin des Schirmlandes für den diesjährigen Nordischen Klang. Im bis auf dem letzten Platz ausverkauften Veranstaltungsort in der Langen Straße setzte die Künstlerin daher bewusst auf ihre Interpretation einer Auswahl der im 19. Jahrhundert von einem Mönch zu Papier gebrachten Folklore. Kein leichtes Unterfangen. Denn von den Liedern über das abgelegene Leben in Dunkelheit und Kälte, die Liebe und den prägenden Volksglauben sind allein die Melodien und die Texte überliefert. Die Freiheit, sie mit Akkorden in ein harmonisches Gerüst einzufügen, ist zugleich ein Gradmesser für die Qualität der Interpretation. Und: Ein stilbildendes Volksinstrument gibt es auf Island nicht. Allein die Kraft und die Aura der menschlichen Stimme sind gefragt.
Ragnheidur Gröndal entpuppte sich mit ihrem als Tracht durchgehendes Kleid aus einem Secondhand-Laden dabei als Interpretin erster Güte. Mit ihrem nach oben hin leicht rauchigen auslaufenden Sopran und ihrer dezent anziehenden Bühnenpräsenz zog die junge musikalische Hoffnung von der Insel der Vulkane und Gysire mühelos Augen und Ohren der mucksmäuschenstillen Zuhörer durchgehend auf sich. Dabei knüpfte sie im besten Sinne an den Geist der verjazzten Folkloreeinspielungen des in Schweden bis heute sehr hoch geschätzten Jan Johansson an. Allerdings auf ihre, bis in den Klang jedes einzelnen Tones hinein achtende Art. Dank auch des auf E-, Akustik- und Pedal Steel-Gitarre zupfenden Duopartners Gudmundur Pétursson. Als herzliche Antwort auf den großen Zuspruch des Saales spielte Ragnheidur Gröndal gekonnte die tiefen Lagen ihrer fast hypnotisierenden Stimme mit einer verzückenden Version von „Lili Marleen“ und mit einem zünftigen Blues aus.
Geschrieben von Uwe Roßner