Klein-Jenny verbringt ihre Ferien kurz vor der Wende bei den Großeltern auf Usedom. Sie schwimmt im Meer, sucht Bernstein und phantasiert über Matrosen und die Ferne, in die sie fahren möchte. Die erwachsene Ich-Erzählerin ist auf Reisen: Riga, New York und zuletzt ihre Geburtsstadt Greifswald. In ihren Blick auf die Umgebung mischt sich permanent die Vergangenheit ein.
Was als ein Heimat-Schmöker-Kamikaze-Unternehmen desaströs hätte scheitern können, erweist sich beim Lesen als ein rundum gelungener artistischer Akt. Die Sprache des Buches ist poetisch und bildreich. Sie schafft es trotzdem immer, die Kitschklippen zu umschiffen. Vor allem die Kindheitserinnerungen sprühen vor Lebendigkeit. Nichts ist überdehnt oder überzeichnet. Die immer wieder dem Text beigegebenen Bilder aus alten Archiven (und eventuell dem privaten Familienalbum) zeigen an: Schaut her, es sah wirklich so aus. Die beiden Erzählebenen bleiben strikt getrennt, haben aber ein gemeinsames Motivgerüst, das nach und nach ausgebaut wird. Die Vergangenheit findet über gut ein Dutzend kleine Geschichten ihren Weg in die erzählte Gegenwart, und wenn diese Historien doch mit einer Pointe aufgelöst werden, ist Vorsicht geboten – der wahre Kern verweist auf den Zeichenvorrat, der das ganze Buch zusammenhält. Was bleibt ist eine poetische Reflexion über Ferne und Heimat, bzw. das, was man dafür hält. Einziger Wehmutstropfen ist die kurze Lesezeit dieses hervorragenden literarischen Debüts.
Geschrieben von Innokentij Kreknin