„Die Farm der Tiere“ von Peter Hall und Matthias Nagatis
Wo „die Welle“ die Lehrstunde beendet, setzt „die Farm der Tiere“ (Peter Hall), nach Vorlage des Buches „Animal Farm“ von George Orwell von 1945, an. Gewiss in anderem Zusammenhang, soll in letzterem wohl nur implizit die Gefährlichkeit autokratischer Systeme deutlich werden. Beides sind politische Werke und gehören für viele zur bildenden Standardliteratur der Jugend- oder Schuljahre.
Das Theater Vorpommern hat sich dem populären Stück angenommen, in welchem Orwell „sein Jahrhundert“ als Fabel verarbeitet hat, da die „Zerstörung des sowjetischen Kommunismus wesentlich ist, wenn wir die sozialistische Bewegung wiederaufleben lassen wollen“. Das Thema, die politische und gesellschaftliche Geschichte Russlands von der Oktoberrevolution in den Stalinismus, ist jedem bekannt, der den Grundstock geschichtlichen Wissens wider der Informationsflut von Studium und Alltag erhalten konnte. Orwell war nie in Russland, wie er selber im Vorwort zur ukrainischen Buchausgabe, sagt.
Artgerecht aufgezogen
Die Gefahr einer gewissen thematischen Trivialität war Peter Hall und Matthias Nagatis (Regie und Bühne) wohl bewusst: Man enthielt sich der Vertiefung und begegnete ihr für das Theater gekonnt. So wurde aus dem Stück das Beste, das man daraus machen kann, wenn man sich breiter Zustimmung erfreuen will. Das ist durchaus eine Stärke der Inszenierung. Denn im Vordergrund stehen nicht Interessengruppen teilende Interpretationen oder Abstraktionen, der von Orwell recht plakativ aufgebauten Fabel, sondern die, für alle Zuschauergruppen verträgliche, Darstellung der Grundzüge des Buches. Es lag wohl an dem von Schneetreiben geprägten Ostersamstag, dass die Tiere auf der „Farm der (lieben) Tiere“ nur halb soviel Applaus erhielten, wie sie verdient hätten. Der Saal war nur spärlich gefüllt. Von der ganz reizenden – und für ein junges Publikum klug gewählten – Emilia Lepadatu (10 Jahre) als Erzählerin geführt, befanden sich die 15 Schauspieler fast die gesamten zwei Stunden gemeinsam auf der Bühne. Visuell und akustisch dezent als Schweine, Kühe, Schafe, Pferde, Hühner, Hunde oder Katzen kostümiert, zeigten sie dem Publikum, wie die Umsetzung großer Ideale an der gewöhnlichen menschlichen Unvollkommenheit scheitern kann.
Das Führerschwein quiekte vor Vergnügen während die anderen Tiere Beifall ernteten
Wider den tierischen Ernst des von Orwell verarbeiteten Stoffes, schafften es die Schauspieler so gut zu unterhalten, dass die 15minütige Pause lästig erschien. Der Grund ist eine lebendige und abwechslungsreiche Inszenierung. Durch viele mit Musik und geschickt formulierten Gesangsstücken (musikalische Leitung: Andreas Kohl) unterlegten Abschnitte bekommt diese zeitweise den Charakter eines Musicals. Zum Lachen regten gute Einfälle (aufgeblasene Handschuhe als Euter) und auch die vielen, sich aus der Form der Fabel ergebenden, charakterlichen Eigenheiten und Witze an. Selbst jene Schauspieler, die nicht im Mittelpunkt des Geschehens und der Aufmerksamkeit standen, stolperten nicht in eine Zuschauerrolle. Sie ließen den Spaß an ihren tierischen Rollen erkennen, indem sie diese mit lustigen Details füllten, wenn sie mal nichts zu sagen hatten. Verliebtheit zum Detail erkannte man auch am Bauch vom Führerschwein Napoleon (Sabine Kotzur), der im Laufe der Aufführung stetig wuchs – ob die Ähnlichkeit zu einem koreanischen Diktator am Ende absichtlich frappant wurde?
Preis-Leistungs-Verhältnis: Sehr gut
So lohnt sich der Besuch sowohl für junge und alte wie auch mit dem Buch vertraute und weniger vertraute Zuschauer. Bei den einen wird es zur Bildung nützen. Jene, die sie (vermeintlich) zu besitzen glauben, bekommen tolle Unterhaltung geboten. Damit ist es gut verdauliche Kost für den Kopf bei einem leichten Training für die Lachmuskeln. Man darf dankbar sein, was die Tiere der Farm hier für ihre Konsumenten produziert haben.
Geschrieben von Arik Platzek