Nach neun Jahren geht das alternative Stadtmagazin „“ in den Ruhestand. Gestaltet wurde es teils bis überwiegend von Studenten oder ehemaligen Studenten. Mit 25 Ausgaben erschien das Blatt im Schnitt halbjährlich. Nach dem Ende dieses Magazins gibt es nun nur noch das Studentenmagazin Moritz sowie Kleinstzeitungen wie das P4 oder den Vorboten als alternative Medien in Greifswald. Wir sprachen mit den zwei Chefredakteuren Nico Winter (27) und Silvio Biblich.(36), und dem Projektleiter Henry Dramsch (29) über das Ende der Zeitung und Chancen für neue Projekte.
Blog: Warum habt Ihr das Zeitungsprojekt eingestellt?
Nico: Nun – wir hatten die klassischen Zeitprobleme. Zuletzt haben viele Redakteure wegen Familie, Wegzug oder Beendigung des Studiums aufgehört, sodass das feste Team auf drei Leute zusammenschrumpfte. Und auch die freien Mitarbeiten wurden immer weniger. Es war ein tolles Projekt – aber jetzt kann etwas Neues entstehen.
Blog: Wie habt ihr Euch von anderen Projekten unterschieden?
Silvio: Im Gegensatz zu den anderen Magazinen war der Likedeeler in der Stadt schon sehr bekannt und hatte eine hohe Auflage. Jetzt wo die Zeitung wegfällt, entsteht schon eine große Lücke.
Nico: Wir waren das einzige alternative Zeitungsprojekt mit einem Anspruch für die ganze Stadt. Zudem war die Aufmachung und Struktur der Produktion sehr professionell.
Blog: Fehlt Greifswald etwas ohne Eure Zeitung?
Nico: Der Likedeeler war ein wichtiges alternatives Medium für die Stadt, indem wir über Themen berichteten über die man, in anderen Medien zu wenig erfuhr. Wichtig waren etwa unsere Sonderausgaben zur Anti-Burschenschaftsdemo, zum Irakkrieg oder zuletzt zum Steinkohlekraftwerk.
Silvio: Unsere Zeitung unterschied, dass wir meinungsbildend waren und gesellschaftskritische Standpunkte vertraten.
Blog: Hat die Stadtverwaltung Themen Eurer Zeitung aufgegriffen?
Henry: Offizielle Anfragen gab es zwar nicht, aber man bekommt schon mit, dass sich Leute in der Verwaltung oder in der Bürgerschaft den Likedeeler genau angeguckt haben. Wenn wir zum Beispiel etwas über die WVG geschrieben haben, wurde ich darauf unter der Hand ab und zu angesprochen.
Blog: Was waren Eurer Meinung nach die spannendsten Storys?
Henry: Ich finde Ausgabe 18 sollte jeder Greifswalder gelesen haben. Da haben wir die Geschichte der linken Hausbesetzer-Szene in den 90zigern dargestellt.
Silvio: Von meinen Artikeln hatte vor allem der über den Universitäts-Pressesprecher Pechmann hohe Wellen geschlagen. Pechmann hatte Duschen in einem Studentenwohnheim mit Gaskammern in Auschwitz verglichen.
Nico: Mein erster Artikel über biometrische Überwachung lag mir am Herzen. Vieles von dem, was ich damals recherchierte, ist jetzt leider passiert – wenn man etwa an die Reisepässe denkt.
Blog: Wie könnte eine Zukunft aussehen?
Henry: Ich bin sehr optimistisch, dass es eine neue Zeitung oder ein neues Projekt mit neuen Leuten geben wird. Schon jetzt haben mich viele angeschrieben, die ganz entsetzt sind, dass der Likedeeler eingestellt wurde. Wir sind ja weiter da und laden jeden ein, hier etwas zu starten. Vielleicht auch eine Website?
Blog: Danke für das Interview und viel Erfolg.
Nico: Wir bedanken uns bei allen treuen Lesern.
Text: Ostseezeitung
Fotos: Ostseezeitung &
"Ich bin sehr optimistisch, dass es eine neue Zeitung oder ein neues Projekt mit neuen Leuten geben wird. Schon jetzt haben mich viele angeschrieben, die ganz entsetzt sind, dass der Likedeeler eingestellt wurde. Wir sind ja weiter da und laden jeden ein, hier etwas zu starten. Vielleicht auch eine Website?"
Ich bewundere im Rückblick deinen Optimismus, doch konnte ich bis heute keinen entsprechenden Vorstoß erkennen. Ich habe lange überlegt, welcher textliche Einwurf einen Kommentar unter diesem Beitrag rechtfertigt und bin irgendwie in euren Online-Fragmenten im Likedeeler 14 auf folgende Aussage gestoßen:
"Denn was führt stärker zu Identifikation als materieller Besitz? Und, so konnte berichtet werden, dass die eingeschlagene Richtung bereits stimmt. All jene Randgruppen, Schattenexistenzen, Gullikommunarden fangen an zu verstehen und ziehen fort aus unserer aufgeräumten Vision. Der Gestank bewohnter Schandstellen beginnt abzuwehen."
Vielleicht ist es auch genau das, was das Ende eures Projektes besiegelt hat, vielleicht war es auch nur, dass ihr nicht überall wahr genommen wurdet. Gerade mit Ausgabe 18 habt ihr euch aber selbst ein Denkmal gesetzt und diese Kombination von Qualität, Thematik und politischer Brisanz hat im deutschsprachigen Raum sicher Seltenheitswert. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass langsam die Zeit gekommen ist, dass ein neues Projekt gleich einem Phönix aus der Asche eurer Hinterlassenschaft empor steigt, vielleicht habe ich mich aber auch nur von deinem Optimismus anstecken lassen…