Mit großem Trara stellte Germanist Walter Erhart sein jüngstes
Arndt-Buch vor – und hat dennoch nichts Neues zu sagen
Ernst Moritz Arndt? Wer ist das eigentlich? Dass das eigentlich kaum ein Student weiß, geschweige denn diesem Mann irgendeine Bedeutung zuweist, das förderte eine Umfrage schon vor neun Jahren zutage. Daran hat sich offenbar nicht viel geändert; lediglich ein kleiner, eingeschworener Zirkel beschäftigt sich heute noch mit ihm.
Arndt wurde 1769 auf Rügen geboren, studierte in Greifswald und hielt hier später Vorlesungen. 1806 verließ er Greifswald gen Westen – eine Angewohnheit, die sich unter einigen seiner professoralen Nachfolger erhalten hat. Arndt wusste mit seiner Zeit nicht viel anzufangen, Französische Revolution und Aufklärung verwirrten ihn, er begann zu pöbeln und zu poltern, gegen Juden, Franzosen, die Obrigkeit. Arndt war Antisemit und Antijudaist, das ließ er in seine Idee eines deutschen Nationalismus mit einfließen. Schließlich meinte er noch, die Irrungen seiner Zeit in einer apokalyptischen Geschichtskonstruktion aufzulösen.
Das sind alles Allgemeinplätze einer ernst zu nehmenden, geisteswissenschaftlich-historischen Wissenschaft, und genau deswegen ist Arndt das, was er heute ist: beinahe bedeutungslos. Beinahe deshalb, weil man an ihm den Beginn des höchst schwierigen deutschen Nationalismus betrachten kann. Aber diese Bedeutungslosigkeit konnte man in Greifswald noch nie gut verkraften: Denn schließlich ist die Uni nach Arndt benannt. Und wenn der bedeutungslos ist, dann ist es am Ende auch die Uni?
Nazis und Kommunisten
Wie dem auch sei, interessant ist, dass es ausgerechnet 1933 den Nazis nahe stehende Kreise waren, die der Uni nahe legten, sich nach Arndt zu benennen. Die Namens-urkunde unterschrieb Hermann Göring höchstpersönlich, damals preußischer Ministerpräsident. Der Name überlebte das Kriegsende recht unbeschadet, jedenfalls wurde er 1954 wieder offiziell eingesetzt, diesmal mit sozialistischer Begründung. Und sei es nicht schon genug, dass der Name zwei Diktaturen überlebt hat, so wurde er 1990, mit Beginn der demokratischen Bundesrepublik, auch nicht abgeschafft.
Erst acht Jahre später ging die Diskussion los, da war ein kritischer Artikel in der ZEIT erschienen, der die berechtigte Frage aufwarf, wie eine Uni in einer demokratischen Gesellschaft einen solchen Namen haben könne. Denn dieser Name hat ja eine Bedeutung und sagt etwas über das Selbstverständnis dieser Uni aus. Doch die Diskussion erstarb schnell, erst 2001 konnte man sich durchringen, ein wissenschaftliches Kolloquium zu Arndt zu organisieren.
Was dort passierte, kann man im Nachhinein nur noch als Tragödie bezeichnen, wenn es nicht alles so peinlich wäre. Die wenigen Arndt-Skeptiker sahen sich einer Armada aus Arndt-Befürwortern und Arndt-Zerredern gegenüber, die vor Gepöbel und Gepolter bis hin zur anonymen Diffamierung und Morddrohung nicht zurückschreckten. Nischenblätter wie die Pommersche Zeitung oder das Ostpreußenplatt meldeten sich zu Wort, sogar ein Artikel in der Jungen Freiheit, augenscheinlich Sprachrohr der Neuen Rechten, erschien. Ein Streit über Rechts, die Mitte und Links, über Ossis und Wessis entbrannte. Und niemand erkannte, dass hier ein ganz anderes Problem besteht, nämlich dass dieser symbolhafte Name die Demokratiefähigkeit der Uni an sich in Frage stellt und mehr ein politisches Bewusstseinsproblem denn alles andere ist.
Jetzt, sechs Jahre nach dieser Farce und anderthalb Jahre nach dem Unijubiläum 2006, erscheint also ein neuer Arndt-Sammelband, verfasst vom ehemaligen Greifswalder Germanistik-Professor Walter Erhart.
Die Gäste der Buchvorstellung im Antiquariat Rose am 12. Dezember: Ein illustrer Kreis aus älteren Herrschaften, meist gut gekleidet, auch einige bekannte Gesichter aus der Germanistik oder dem Historischen Institut, einige Studenten, auffallend gut gekleidet, vielleicht Burschenschaftler. Vor ihnen am Pult Professor Walter Erhart, ein eher kleiner Mann, glatzköpfig, mit Brille. Er redet im Plauderton, blättert ab und zu in dem grünen Buch, das vor ihm liegt.
Erhart erzählt eine Geschichte, wie er ins stockkonservative Kansas in den USA gekommen sei und dort eine Insel der Liberalität entdeckt habe, die Universität von Lawrence, Kansas. Dort habe man großes Interesse am deutschen Nationalismus und vor allem an Arndt gehabt, und man habe es überhaupt nicht nachvollziehen können, warum über den in Deutschland gestritten wird oder er dort gänzlich unbekannt ist. Nun waren aber, das ist der eigentliche Grund für Erharts Besuch in Lawrence, Briefe von Arndt aufgetaucht, und zwar genau 21 Briefe an seinen in die USA ausgewanderten Sohn. Damit war Erharts wissenschaftliche Neugier geweckt, er trommelte ein paar Germanisten und Historiker zusammen, trieb das nötige Geld für eine Tagung auf und hielt selbige in den USA ab. Das Ergebnis ist der vorliegende Sammelband.
Vater und Sohn
Arndts Sohn, Hartmuth Arndt, ein geplagter Bauer aus Pommern, versuchte seinerzeit sein Glück in der Neuen Welt und ließ sich schließlich in Kansas nieder. Erhart reiste heutzutage durch die Gegend; seine Augen leuchten wie die eines Kindes, als er berichtet, wie er mit einem Kollegen den halbverwitterten Grabstein Hartmuth Arndts irgendwo auf einem Acker in Kansas entdeckte. „Eine wissenschaftliche Sensation!“, strahlt Erhart und setzt seine Brille ab.
Zum Schluss der Buchvorstellung liest er noch aus den Briefen Arndts vor. Arndt redete seinen Sohn mit „Lieber Muth!“ an und verabschiedete sich mit „Dein ältester Freund“, er hielt ihn zum Bibellesen an und exerzierte ihm Schönschrift vor. Erhart schmunzelt, zupft an seiner Brille. Ach ja, Arndt habe seinem Sohn mal das Geld streichen wollen, das er ihm monatlich zusandte, als der nicht so wollte wie er. „Du bringst mich noch ins Grab!“, schrieb Arndt. Er habe eben mit seinem „ungebildeten Sohn“ kommuniziert, meint Erhart verschmitzt. Das Publikum lacht und grinst in sich hinein.
Die Fragerunde beginnt. Uli Rose will wissen, wie die Leseerfahrungen der Arndt-Arbeitsgruppe in Lawrence waren. „Da kam viel Unterschiedliches raus“, meint Erhart, „Arndt hat ja ein so breites Oeuvre.“ Andererseits sei es nicht so hitzig gewesen wie hier und es wäre ja auch sehr schwierig, Arndt als ein einheitliches Bild zu begreifen – die vielen Rollen Arndts.
Eine Frau meldet sich. Sie erzählt, sie habe ihr ganzes Leben mit Arndt verbracht – doch wer das nun war, das habe sie nie begriffen. Bis sie neulich eine Biographie gelesen habe. „Tut Arndt in seine Zeit!“, fordert sie in die Runde.
Eine zweite Frau meldet sich, redet sich in Rage. Wie man denn so schlecht über Arndt reden könne, der habe schließlich die Leibeigenschaft in Pommern abgeschafft. „Also jeder Student, der den zu kritisieren wagt, der soll erstmal die Lebensleistung von ihm vollbringen!“
Schließlich meldet sich noch Uni-Archivar Dirk Alvermann. Der moritz, poltert er, sei sehr unredlich, wenn er immer diese Arndt-Zitate veröffentliche. Und dann versucht Alvermann zu begründen, dass so etwas ja keinen wissenschaftlichen Ansprüchen genüge, und verweist dabei irgendwo auf Scientology. „Aber nicht dass dann im moritz steht, ich sei Scientologe!“, sagt er.
Bleibt das Buch. Wer es ausleihen will, muss es erst vorbestellen und darf es dann in der Alten UB einsehen. Es kommt aus dem „Giftschrank“, der extra verschlossen ist; ähnlich wird auch mit Hitlers „Mein Kampf“ verfahren. Kopien sind nicht erwünscht, teilte eine freundlich-energische Bibliothekarin moritz mit, man könne hier ja auch nicht jedes andere Buch kopieren. Und telefonieren müsse sie auch noch mal deswegen, geschlagene zehn Minuten wurden es. Und nein nein, mit Arndt habe das absolut gar nichts zu tun.
Naivität und Arroganz?
Der Sammelband liefert wenig Neues und kommt fast naiv daher. An dem von Erhart und seinem Mitherausgeber Arne Koch beschworenen Gedächtnisschwund scheint nicht nur die deutsche Gesellschaft sondern auch die Wissenschaft zu leiden. Das Urteil ist hart, aber angesichts des undeutlichen Selbstverständnisses der Autoren angemessen. Was wollen die Autoren eigentlich? Das sagen sie nicht genau und das ist in diesem Fall ein unentschuldbares Versäumnis. Außer dass sie die Debatte durch einen herbei geredeten „Inter-Nationalismus“ entkrampfen wollen, bleibt nicht viel. Man hat den Eindruck, sie wollen die Arndt-Debatte aus Angst gar nicht eröffnen oder sie einfach weiter in die Länge ziehen. Dazu kommt zum Teil haarsträubendes Unwissen über wissenschaftliche Allgemeinplätze aus der Religionssoziologie und -philosophie sowie der Politischen Wissenschaft. Mit Politik wollen die Autoren nichts zu tun haben.
Dennoch beschwören sie ihren multi-disziplinären Ansatz, als wären Germanisten und Historiker ausreichend, um dem Phänomen Arndt gerecht zu werden. Und sie wagen viel, räsonieren in ihren Aufsätzen über Nation und Nationalismus, über Zeitgeist, über „Quellen und Motive“ des Handelns Arndts. Und dass es ja endlich mal Zeit wäre, diesen „wahrlich Epoche machenden Autor“ neu zu entdecken. Was von dem Buch bleibt, ist ein fader Nachgeschmack wissenschaftlicher Selbstüberschätzung, gepaart mit vornehmer Zurückhaltung im Urteil.
Insofern mag es ganz gut sein, wenn der Arndt-Sammelband wieder in den Katakomben der Alten UB hinter Schloss und Riegel verschwindet. Da scheint er ganz gut aufgehoben.
Geschrieben von Ulrich Kötter