Interdisziplinarer Studiengang mit wenig Betreuung

„Ich bin nicht selbst betroffen, daher nehme ich mir die Freiheit meinen Mund auf zu machen. Ich darf das tun, ohne Konsequenzen in meinem Studentendasein befürchten zu müssen.“ Eine E-Mail diesen Inhaltes landete zwei Tage nach Vorlesungsbeginn im Postfach des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA). Was war der Anlass dieses anonymen Hinweises?

Der Schreiberin war aufgefallen, dass die Erstsemesterstudenten des Studiengangs Umweltwissenschaften mit erheblichen Hindernissen auf dem Weg zu ihren Vorlesungen kämpfen müssen. Es handelt sich bei diesen Hindernissen allerdings nicht um unüberwindbare Treppenaufgänge, denn dazu hätten die Umweltwissenschaftler zunächst einmal wissen müssen, welche Aufgänge sie zu den richtigen Vorlesungen führen. Die Studenten seien mehrfach gebeten worden Vorlesungen zu verlassen, da diese nicht für sie konzipiert seien. Sie irren durch die Institute, niemand fühle sich zuständig und der Termin für die Erstsemesterveranstaltung, der auf der Homepage der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ausgewiesen war, stimme nicht. Das erfordere dringend eine bessere Organisation und Informationen für diesen Studiengang, forderte die Schreiberin.

Tatsächlich fanden sich die neuen Studenten Anfang Oktober in der falschen Einführungsveranstaltung wieder. „Wir haben bereits in der Erstsemesterwoche darauf hingewiesen und auch den richtigen Termin weitergegeben“, sagt Anne-Sophie Blaschke. Sie studiert bereits im fünften Semester und ist im Fachschaftsrat. Die Probleme sind ihr nicht neu. „Auch wir wurden am Anfang ins kalte Wasser geworfen“, sagt sie. „Andererseits haben wir so gleich mitbekommen, was es bedeutet zu studieren. Da wir in allen Instituten als Nebenfachstudenten auftreten, müssen wir uns das ganze Studium über selbst organisieren. Niemand kommt extra zu uns“, ergänzt sie.

Platzprobleme in Praktikumsgruppen

Der Grund ist der interdisziplinäre Aufbau des Studiums. „Die Umweltwissenschaften haben keinen eigenen Lehrstuhl. Sie sind zwischen verschiedenen Instituten aufgehängt. Sie hören Vorlesungen in der Mathematik, Physik, Chemie, Biochemie, Biologie, Geowissenschaften, sowie in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften“, erklärt Klaus-Dieter Salewski. Er ist der Studienberater für die Umweltwissenschaftler. „Dadurch ist die Koordination zwischen den Instituten nicht so gut, Absprachen werden zwischen Tür und Angel getroffen“, sagt Salewski. Einen eigenen Lehrstuhl, wie ihn der Fachschaftsrat gern hätte, fände er da durchaus sinnvoll. Zumal auch die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät die wachsenden Immatrikulationszahlen zu spüren bekommt. Ursprünglich war der Studiengang Umweltwissenschaften auf etwa 20 Studenten pro Jahrgang angedacht.  Für dieses Semester schrieben sich über 100 Interessierte ein, übrig blieben etwa 70. „Wir waren ziemlich schockiert in der Erstsemesterwoche“, gesteht Anne-Sophie Blaschke. Kein Wunder, dass die Plätze für Praktika mehr als überbelegt sind. „Die Kapazitäten sind endlich“, sagt auch Professor Klaus Fesser, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Von einem eigenen Lehrstuhl hält er allerdings nichts. „Der Studiengang ist nicht grundlos interdisziplinär angelegt“, sagt Fesser.

Selbst ist der Student

So sollen Bachelor der Umweltwissenschaften befähigt werden,  Umweltprobleme komplexer Natur als zentrale Leitstelle mit den einzelnen Disziplinen zu vernetzen. „Wir sind wie Enten: Wir können laufen, schwimmen und fliegen. Nur alles nicht so richtig“, sagt Sven Milewski. Er hat gerade mit seinem Studium in Greifswald begonnen. „Ich habe mich gezielt für diesen Studiengang entschieden“, sagt er. Sein Kommilitone Philipp Labisch stimmt ihm zu: „Hier ist alles drin, was mich interessiert.“ Johanna Wiedling kann die Aufregung auch nicht verstehen. Sie studiert ebenfalls seit dem Wintersemester. „Ich halte es für völlig normal, dass Studenten in den ersten Wochen noch unsicher sind und orientierungslos durch die Institute laufen. Immerhin sind wir neu hier“, sagt sie. „Wir müssen uns eben selbst kümmern, hingehen und nachfragen“, ergänzt Wiedling, die gemeinsam mit Sven Milewski zur Semestersprecherin gewählt wurde. Nun klären die beiden anfallende Fragen mit Dozenten oder dem Dekan und leiten die Informationen an die anderen Studenten ihres Jahrgangs weiter. Diese Vorgehensweise ist längst gängige Praxis.
Doch Kritik trifft nicht nur fehlende Betreuung. „Das Studium ist schlecht aufgebaut“, findet Julian Scherrer, Student im dritten Semester. „Die Module sollten verkleinert werden. Wir schreiben 90-minütige Klausuren zu je vier Vorlesungen. Da wir jeweils in den Veranstaltungen für die Hauptfächer sitzen, sind diese entsprechend umfangreich. In der Prüfung kommt dann eine Frage pro Vorlesung“, erklärt Scherrer, der auch im Fachschaftsrat sitzt. Das Studium besteht hauptsächlich aus Vorlesungen. Die sind ein unkompliziertes, finanziell wenig aufwendiges Mittel um möglichst viele Studenten mit Lehrstoff zu versorgen. Die wenigen Praktika und Übungen haben zur Folge, dass der Studiengang lediglich vorläufig akkreditiert ist. Mit unbequemen Nachwirkungen. „Ich denke gerade über einen Wechsel an eine andere Universität nach“, sagt Scherrer. Doch bisher stößt er mit seinem vorläufig akkreditierten Studiengang auf wenig Begeisterung. Auch Anne-Sophie Blaschke, die sich bereits nach einem Masterstudiengang umschaut, trifft auf Ablehnung. „Die Akkreditierung läuft noch in diesem Semester“, versichert Dekan Fesser. Daher beschäftige sich der Prüfungsausschuss momentan mit Veränderungen in Prüfungs- und Studienordnung. „Der Masterstudiengang Geosciences and Environment ist für Umweltwissenschaftler gedacht“, fügt er hinzu.

Wechseln oder Arrangieren

Den Entschluss zu wechseln hat Julian Scherrer nach einem Gespräch mit dem Studiendekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Professor Patrick Bednarski gefasst. Ihm haben die beiden Fachschaftsräte die Probleme geschildert. Bednarski wird die angesprochene Kritik in seinem Studienbericht darstellen und an den Dekan und das Rektorat weiterleiten. Das wird voraussichtlich bis Februar 2008 geschehen. Bis dahin will er sich dem moritz gegenüber nicht äußern.

Der Fachschaftsrat rät unzufriedenen Studenten: „Wem es nicht gefällt, der sollte an eine andere Universität oder in einen anderen Studiengang wechseln. Große Änderungen wird es nicht geben.“ Für alle anderen heißt es: An die Semestersprecher halten oder auf der Seite www.uwis-greifswald.de.vu nachschauen. Erstsemesterstudent Philipp Labisch bringt es auf den Punkt: „Wir haben uns untereinander richtig gut organisiert. Aber ohne das Internet wären wir aufgeschmissen.“   

Geschrieben von Maria Trixa