Ensemble ?Scholae Stralsundensis Cantor? begeisterte mit wiederentdeckter Musik des 16. Jahrhunderts in der Stralsunder Kirche St. Nikolai
?Das Konzert wird eines der besondersten sein?, begrüßte Kantor Matthias Pech die Zuhörer im Altarraum von St. Nikolai. Und dies nicht zu Unrecht. Denn das Ensembles ?Scholae Stralsundensis Cantor? stellte am vergangenen Donnerstagabend eine Auswahl von Werken berühmter und lokaler Meister des 16. Jahrhunderts aus der von der Antonie Schlegel im Stralsunder Stadtarchiv wiederentdeckten Motettensammlung des Matthaes Rubachy vor.
?Ich bin sehr beeindruckt, so viele Leute hier begrüßen zu dürfen?, sagte Maurice van Lieshout angesichts des starken Regens. Das Konzert bildete zugleich den Abschluss eines mehrtägigen Workshops in St. Nikolai. ?Vor 450 Jahren erklang hier eine wundervolle Musik?, so der niederländische Dozent für Alte Musik und abendlicher Leiter des sechszehnköpfigen Ensembles. ?Sie passt zur Kirche und klingt sehr wohl.?
Die Stralsunder Musikhandschrift des heute unbekannten Unterzeichners Rubachy enthält über 100 Motetten für fünf oder sechs Stimmen und weist eine reiche Stilvielfalt der darin gesammelten Kompositionen der alten Meister auf. Zwar sind darin nicht alle Stimmbücher vorhanden, doch enthält sie musikalische Berühmtheiten wie Heinrich Isaac, Josquin Despréz oder Orlando di Lasso. Doch zeugt die Handschrift auch erst durch den Fund von Antonia Schlegel wiederentdeckte Komponisten die unter anderem in Stralsund und Danzig wirkten, bisher aber überhaupt nicht bekannt waren. Wie die Handschrift entstand ist ebenso unklar wie der Anlass, zudem sie in der Zeit der Hanse angefertigt worden ist.
Anlässlich des Projektes ?Stralsunder Handschrift 1585? gründete sich ?Scholae Stralsundensis Cantor? aus Vokalsolisten und Instrumentalisten. Der sich auf den historisch verbürgten Namen gehen die jungen Musiker verschiedenster Nationalitäten der frühen Musik des Abendlandes mit historischen Instrumenten und aus Chor- und Stimmbüchern musizierend nach. Selbst die Aufstellung der Vortragend erfolgt gemäß der Sitte der Zeit, wenn auch nicht im ganz Konzert durchhaltend.
Den Festen des Kirchenjahres entsprechend erklang Musik von Advent bis Ostern. Zwei Werke der Gregorianik fügten sich darin ein. Vom Stralsunder Kantor Eucharius Hoffmann (1563 – 1582) erklang ?Veni in hortum? für den Advent. Herrlich weich und farbenreich ertönten Orlando di Lassos (1532 – 1594) ?Sicut mater consolatur? (Wie die Mutter ihre Kinder tröstet), Leonhard Pamingers allein vokal vorgetragenes ?Exiit edictm à Caesare Augusto? Weihnachtsstück oder ?Christ lag in Todesbanden? des Antonio Scandello (1517 – 1580). Mit ergreifender Ruhe und Wachheit spielte das Ensemble ihren vorbereiteten Ausschnitt der Stralsunder Motettensammlung vor. Ein wahrlich seltenes Ereignis. Dennoch verspürten die Zuhörer selbst nach einer Zugabe den dringenden Wunsch nach mehr Musik dieser Art. Selbst Gäste aus Bochum fanden sich unter den andächtig Lauschend des Abends. Die Motettensammlung ist zweifellos ein musikalischer Schatz für Forschung und Musiker. Denn die Handschrift umfasst zwanzig Stunden Musik, bei der es noch manches zu heben gilt. Eine für den Herbst geplant CD des Konzertes und anschließende Konzerte außerhalb Stralsunds dürfen die Attraktivität des Fundes über die Stadtgrenzen hinaus dank des Ensembles bekannt machen. Doch wenn bereits nach dem Konzert in St. Nikolai Zuhörer und Musiker in einen regen Austausch vor dem Notenpult angeregt diskutieren, ein historisches Instrument begutachten oder ins zwanglose Gespräch treten, dann sind die Stücke der Handschrift wieder spielend ins Leben gerufen worden.
Geschrieben von Uwe Roßner