Wilhelm Genazino las beim NDR Literaturcafé im Pommerschen Landesmuseum. Dem Literaturhaus Vorpommern gelang als Organisator der Veranstaltung damit eine Überraschung. Zugunsten des Publikums. Denn der Georg-Büchner-Preisträger zeigte sich von seiner zeitkritischen Seite.

Bestes Wetter und eine parallele Veranstaltung im Alfried-Krupp Wissenschaftskolleg hielten Zuhörer am vergangenen Dienstag nicht davon ab, den Schriftsteller Wilhelm Genazino im Pommerschen Landesmuseum zu erleben. Und dies auch noch so kurz vor der Greifswalder Bachwoche.
Vor achtzig Besuchern stellte der Georg-Büchner-Preisträger des Jahres 2004 seinen jüngsten Roman „Mittelmäßiges Heimweh“ in der vom Literaturzentrum Vorpommern organisierten und dem NDR Literaturcafé mitgeschnittenen Veranstaltung vor. Eine beachtliche Resonanz. Denn die Veranstalter rechneten vorsichtshalber mit weniger Gästen und stellten erst fünfzig Stühle bereit. „Wir waren uns der Konkurrenzfaktoren bewusst“, sagte Organisatorin Anett Hauswald vom Literaturzentrum Vorpommern. Zudem überraschte sie, wie viele den Autor in Greifswald im Vorfeld kaum kannten. Der von Dr. Martin Haufe spannend moderierte Abend gab bereichernde Einblicke in Wilhelm Genazinos Buch „Mittelmäßiges Heimweh“ und seinen Ansichten als Schriftsteller.

Der Nase nach

Der neue Roman handelt vom gesellschaftlich zwangsweise angepassten Dieter Rotmund, der zwar beruflich überraschend aufsteigt, dessen anfangs glückliche Ehe aber unwiderruflich scheitert. Anhand seiner schrulligen Hauptfigur zeichnet Genazino eine zeitkritische Groteske. In Anlehnung an den ukrainisch-russischen Satiriker Nikolai Gogol. ?Gogol treibt es doller als ich?, bemerkte Wilhelm Genazino. ?Ich verweise auf ihn als einen literarischen Hintergrund, um damit das Entsetzen über unsere Zeit und des Erzählers auszudrücken.“ Ungewohnt offen äußerte sich der Autor nach dem Lesen aus seinem Werk zu allgemein-politischen Fragen. ?Ein Autor muss auch den Mund aufbringen?, so Genazino. ?Mein Interesse war es, die Verhältnisse in ihrer Härte darzustellen und durch diese Mittelmäßigkeit eine Distanz zu schaffen.? Beunruhigt stellte er dabei für sich fest: ?Die Konflikte unserer Gesellschaft gehen in den Einzelnen ein und tragen sich in ihm aus.? Und dies nicht allein. Kulturpolitisch sieht er leicht pessimistisch auf die heutige Zeit. „Dass die politische Ablenkung durch Unterhaltung so stark werden würde, hatte ich nicht erwartet?, gab Wilhelm Genazino zu.
Die Diskussion mit dem aufgeschlossenen Publikum blieb dabei geistreich. Eine lange Schlange bildete sich zur anschließenden Signierstunde. Bereitwillig, wenn auch leicht erschöpf, schrieb Wilhelm Genazino freundlich Widmungen in die über den Tisch gereichten Bücher. ?Das Publikum war nett und hat mich aus der Reserve gelockt?, sagte Genazino begeistert. Bereichert ging er damit aus dem Abend und meinte: ?Es hat mir gefallen.?

Geschrieben von Uwe Roßner