Studentenwerk registriert steigende Anfragen

„Irgendwie beginnt mein Leben im Moment aus dem Gleichgewicht zu geraten. Irgendwie verliere ich den Überblick. Was ist eigentlich los mit mir? Warum geht es mir so schlecht?“
Es gibt viele Situationen, in denen Überforderungen an der Tagesordnung sind und der Druck von außen und innen unendlich groß wird.

Da sitzt man das erste Mal in der eigenen Wohnung und fühlt sich einsam. In der Prüfungszeit kommen Versagungsängste hinzu. Freunde sind nicht erreichbar. Man kann abends nicht einschlafen. Leistungsanforderungen im Uni- oder sozialen Bereich kosten Nerven und können dazu führen, auch mal den Kopf zu verlieren.
Antworten auf Fragen, Hilfe und Trost findet man bei den Eltern und Freunden, die einem zur Seite stehen und helfen, das Chaos wieder zu ordnen. Aber gerade in der Zeit des Erwachsenwerdens gibt es oft Umstände, für die man selbst im nahen Umfeld keine Lösung finden kann, so dass letztendlich die Frage entsteht, ob externe Hilfe herangezogen werden sollte.
Das Deutsche Studentenwerk (DSW) meldet, dass immer mehr Studierende Rat in den Psychologischen und Sozial-Beratungsstellen der Studentenwerke suchen. Der Bedarf sei 2005 um 20.000 Gespräche gestiegen. Nach Angaben des DSW zählte man in den Beratungsstellen für Psychologische und Sozialberatung der Studentenwerke im Jahr 2005 130.000 Beratungsgespräche, 2004 waren es noch 110.000.
Während in Greifswald im Jahr 2001 noch 38 Studenten die psychologische Beratung aufsuchten, waren es im Jahr 2006 schon 111 Hilfesuchende, davon 82 Frauen und 29 Männer.
Das Deutsche Studentenwerk vermutet, dass die Studierenden angesichts der Vielzahl von Hochschulreformen und den damit verbundenen Änderungen in den Studiengängen häufig unter Druck stehen und begründet damit den wachsenden Anstieg der Beratungen. Studenten sehen sich angesichts von Studiengebühren und den zeitlich verdichteten Bachelor- und Master-Studiengängen einem höheren Finanzierungs-, aber auch Leistungsdruck gegenüber.
Die Mitarbeiter der Beratungsstellen verfügen als Experten für die studentische Lebenswelt und Altersphase über spezielle beraterische und therapeutische Kompetenzen. Manchmal genügt es aber auch, dass einfach zugehört wird.
Zuständig für die Beratung der Studierenden in sozialen, persönlichen und studienbezogenen Fragestellungen ist die Sozialberatung des Studentenwerkes Greifswald. Das Studentenwerk ermöglicht den Studierenden seit vielen Jahren, psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen und vermittelt bei Bedarf den Kontakt zum Psychologen.

Konkrete Ratschläge

In Greifswald hilft der Psychologische Psychotherapeut Dieter Arlt Studierenden bei Problemen indem er „einen Raum gewährt, ohne dass der moralische Zeigefinger gehoben wird und indem es – soweit möglich und sinnvoll – auch konkrete Ratschläge und Tipps gibt“. Dieter Arlt äußert sich zu der stetig wachsenden Anzahl an Beratungen mit den folgenden Worten: „Wir leben in einer hochdynamischen und hochkomplexen Gesellschaft mit komplexen Anforderungen und komplexen Belohnungen. Die Krisen- und Katastrophenanfälligkeit des menschlichen Lebens nimmt unter diesen Bedingungen vermutlich ständig zu, da auch Themen wie Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Kriegsgefahr, Terrorismus, Krankheiten und Tod unser Leben aufgrund der transparenten Mediengesellschaft mehr bestimmen als in der Vergangenheit. Es gibt kaum noch Geheimnisse, dafür aber eine Reihe vorgefertigter unterschiedlicher Lebensentwürfe. Der Mensch ist verunsichert, teilweise überlastet aufgrund vieler Optionen und Wahlmöglichkeiten, die permanent verfügbar sind und auf ihn einwirken. Selbst eine Anleitung zum Superstar ist erhältlich. Unter diesen Umständen sind Desorientierungen jeglicher Art gerade bei jungen Menschen relativ gut nachvollziehbar.“
Seit sechs Jahren steht er den Studenten mit seinem therapeutischen Angebot zur Verfügung. Zu ihm kommen Studierende aller Altersgruppen, aller Studiengänge, die die unterschiedlichsten Symptomatiken aufzeigen: Essstörungen, Depressionen, Stresssymptome und Prüfungsängste, Suchtverhalten, aber auch Partnerschaftsprobleme, Zukunftsängste oder Identitätsprobleme. Das Beratungsangebot richtet sich an Studierende mit den verschiedensten Schwierigkeiten – egal, ob akuter oder chronischer, persönlicher oder studienbezogener Art.
Der Psychotherapeut hilft Studenten bei der Suche nach Orientierung, Zielsuche und hilft dabei, das alltägliche Leben wider ins Gleichgewicht zu bringen. „Studenten kommen zu mir, da sie auf der Suche nach einem neutralen, kompetenten Fachmann sind, der wertfrei und ohne moralische Attitüde beraten kann.“ In mehreren aufeinander folgenden Einzel- oder auch Gruppengesprächen werden gemeinsam individuelle Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Jeder Klient kommt im Durchschnitt in einer Frequenz von drei bis sechs Wochen. Mal sind häufigere Treffen notwendig, mal ist schon nach einer, zwei oder drei Konsultationen der Beratungsbedarf gedeckt. Durch schnelle und zielgerichtete Vermittlung kann in vielen Fällen verhindert werden, dass sich studentische Lebenskrisen zuspitzen und zu beständigen Störungen mit Krankheitswert entwickeln.
Oft reagieren Studenten während der Sitzungen mit den folgenden Worten: „Sie haben mir geholfen, reden zu lernen.“, „So habe ich das bisher nicht gesehen.“ oder „Hier kann ich so sein wie ich wirklich bin.“ „Hier fühle ich mich aufgehoben und muss mich nicht verstellen.“ Manchmal genügt es einfach nur, dass jemand frei von Vorurteilen zuhört und als Außenstehender berät.

Probleme in Worte fassen

Besuche beim Psychologen scheinen teilweise jedoch immer noch ein Tabuthema zu sein. Groß ist oft die Angst, sich einer fremden Person gegenüber zu öffnen und über intime Themen zu sprechen. Wichtig kann aber sein, Probleme zu äußern, ihnen ein Gesicht durch Worte zu geben. Denn oftmals gestaltet es sich als sehr schwierig, eigenständig Lösungen zu finden. „Psychische Probleme sind nicht so eindeutig zu diagnostizieren wie ein gebrochenes Bein“, meint Arlt. „Manchmal möchten Studenten auch einfach nur die Versicherung bekommen, dass sie nicht „verrückt“ sind, sondern dass mitunter die Welt, das Leben als ziemlich verrückt erlebt werden kann.“
Auf die Frage, ab wann man therapeutische Hilfe aufsuchen sollte, gibt es keine eindeutige Antwort. „Wenn jemand das persönliche Bedürfnis nach therapeutischer Unterstützung hat, dann sollte er sich diese auch suchen. Jeder Mensch verfügt über unterschiedliche Sozialisationsvoraussetzungen und Bewältigungskompetenzen, die schon im Mutterleib sozusagen vorgeprägt werden. Im Laufe des Lebens werden uns von unserer Umwelt, vor allem der Familie, bestimmte Normen, Werte und Kompetenzen vermittelt, die uns formen, stabilisieren, aber auch deformieren. Dieses äußert sich dann in Stärken und Schwächen des Einzelnen. Die eine Person benötigt in bestimmten Lebenslagen einen Psychologen, die andere eben nicht. Das kann nur von der Person selbst entschieden werden.“

Anonyme Beratung

Die Beratung geht anonym und strengstens vertraulich vonstatten. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dass die Leistungen niedrigschwellig angeboten werden, womit die einfache Zugänglichkeit gewährleistet ist. Bis zu zehn Sitzungen werden jedem Studenten durch das Studentenwerk Greifswald finanziert, so dass für den Einzelnen vorerst keine Kosten entstehen. Falls erforderlich und erwünscht, leistet Dieter Arlt oder auch das Studentenwerk Unterstützung bei der Vermittlung an Therapeuten oder andere Einrichtungen. Leider ist auch Greifswald unterversorgt mit Therapieplätzen, so dass man derzeit bis zu einem Jahr auf einen Termin beim Therapeuten wartet. Aber nicht abschrecken lassen: Wer Hilfe sucht, wird auch Hilfe finden. Ein vorläufiger e-mail- Kontakt ist auch möglich. Nach Angaben des Generalsekretärs des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, wollen die Studentenwerke zukünftig insbesondere ihre Beratungsstellen für Psychologische Beratung, Sozialberatung sowie Beratung für Studierende mit Behinderung oder chronischer Krankheit weiter ausbauen. Derzeit bieten beispielsweise nur 42 der 59 Studentenwerke den Studierenden psychologische Beratungen an. „Unser Ziel ist es, den Studierenden ein professionelles, breit angelegtes und gut vernetztes Beratungsangebot im Hochschulbereich zu bieten, das sie in den unterschiedlichsten Lebens- und Studienphasen unterstützt“, betonte auf der Heyde. Es muss sich also niemand mit seinen psychischen Problemen allein herumschlagen – die Hilfsangebote existieren und sind verfügbar. Ein erstes Beratungsgespräch bringt Information und Orientierung und kann die Grundlage für oder gegen eine Fortsetzung für den Ratsuchenden bieten.

Telefonseelsorge
0800 / 111 0 111 (kostenlos)
0800 / 111 0 222 (kostenlos)
Psychosoziales Zentrum des Diakonischen Werkes
Pappelallee 1 – Haus 4
Tel.: 87 26 86
Frauen in Not
Tel.: 50 06 56
Männer in Not
Tel.: 82 99 65

Geschrieben von Ina Kubbe