Glosse
Geht Mensch im „Senfladen“ auf Greifswalds Flaniermeilchen einkaufen, kann ihm folgendes passieren: Er kauft sich belustigt den so genannten Trabi- oder den Einstein-Senf.
Oder er steht leicht irritiert und sinnierend zwischen Bratwurstgeruch und Familienvätern und rätselt und rätselt. Dann nämlich hatte er gerade ein Glas mit der Aufschrift „Schlesien-Senf“ in der Hand. Schlesien? Oder den „Preußen-Senf – preußisch-scharf“. Was war noch mal mit Preußen? Spätestens aber, wenn er den guten „Sudetenland-Senf“ gesehen hat, ahnt er, woher der Wind weht.
Deutschland ist groß und Karl Jungbeck hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Oder: Deutschland hat seine Grenzen aufgedrückt bekommen und Jungbeck scheint das zu glauben. Er ist Inhaber der Altenburger Senffabrik in Sachsen, die im Franchise-System die „Senfläden“ Deutschlands betreiben lässt.
Wie kommt das nun? Ein Unternehmer nimmt ein so delikates Thema wie den Grenzverlauf im Nachkriegsdeutschland in Form von Senf in sein Produktsortiment auf? Soll eine neue deutschnationale Revolution im Sternmarsch von allen Senfläden in Richtung Berlin stattfinden? Fackelzüge mit Bratwurst? Oder Stockbrot? Was wird dann aus der Kapitalismuskritik aus nationalistischer Richtung, wenn Nazis stolz ein Glas Sudetenlandsenf aus einem Franchise-Laden erstehen? Am besten gleich mit einem Deutschländerwürstchen aus dem Kettensupermarkt. Oder will Jungbeck einfach nur den Kundenkreis völkischer Spinner abgreifen?
Wohl auch nicht, denn auf der Firmenhomepage bezieht man ein wenig Stellung. Wirklich wundervoll unseriös wird dort die Unternehmensgeschichte erzählt. Man sieht Jungbeck direkt vor sich, als grantigen Opa mit Gehstock, der seinem Enkel mal was von der Wahrheit erzählt: „Nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Teilung Deutschlands hießen die damaligen Besitzer der Senffabrik Uhleman & Koch. Die Firma hieß: „Ulko – Senf“. Durch das Diktat der neuen in der DDR wurde die Firma „Ulko-Senf“ 1953 enteignet. Ab dieser Zeit war es ein so genannter VEB Betrieb, […]“ Aber es wird noch besser: „So wurden nach der Wende bis Anfang 1992 von einstmals 180 Mitarbeitern 170 entlassen. Die restlichen 10 Mitarbeiter hatten ebenfalls die Kündigung bereits in der Tasche.“ Das geht vielleicht noch als Kapitalismuskritik durch, nachdem der Sozialismus sein Fett bereits weggekriegt hat. Am schärfsten ist jedoch das Schlusswort: „Die Gründerzeit war sehr hart, vieles ist zwischenzeitlich vergessen, manchmal müsste man sagen „leider vergessen“.“ Noch einmal zur Erinnerung: So stellt sich das Unternehmen Altenburger Senffabrik selber auf.
Ob das naiv ist oder ernst gemeint lässt sich nicht sicher sagen. Soll Mensch das jetzt in Kontext zu Senfsorten setzen? Ist Karl Jungbeck ein ganz blindes Huhn oder latent revisionistisch? Vielleicht sollte es einem schwer an die Nieren gehen. Aber der Senf schmeckt eh nicht, vielleicht löst sich das Problem ja von alleine.
Geschrieben von Stephan Kosa