Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern verabschiedete am 27. Juni 2006, mit großer Mehrheit aller Fraktionen, das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Fortan kann jeder Bürger in Mecklenburg-Vorpommern an öffentlichen Plätzen jederzeit durch Bild- und Tonaufzeichnungen überwacht werden.
Schon im Herbst 2001 wurde im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Linkspartei.PDS festgelegt, dass eine Novellierung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes angestrebt werden soll. Als Begründung wurde die Gefahr durch den internationalen Terrorismus angegeben, auf den die Polizei, mit ihren zur Verfügung stehenden Mitteln, nicht angemessen reagieren könne.
Durch das neue Gesetz hat die Polizei weitreichende Befugnisse zur Überwachung der Bürger bekommen, die ihre bisherigen Möglichkeiten stark erweitern.
Amtsgebäude, öffentliche Straßen und Plätze sowie öffentliche Verkehrsmittel dürfen nun sowohl mit Kameras als auch mit Mikrofonen überwacht und permanent gefilmt werden. Voraussetzung ist, dass dort bereits wiederholt Straftaten begangen wurden und auch zukünftig mit Straftaten zu rechnen ist, auch wenn es sich hierbei nur um kleinere Delikte, wie Graffitischmierereien, handelt. Dabei sieht das Gesetz eindeutig vor, dass „die Maßnahmen […] auch durchgeführt werden [dürfen], wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind“ (§ 32 III SOG M-V).
Jeder, der sich an einem der genannten Orte befindet, muss also künftig damit rechnen, dass Gespräche mit Freunden und Verwandten eine Woche lang in Bild und Ton gespeichert und ausgewertet werden. Die anschließende Löschung stellt allerdings noch ein Problem dar. Michael Silkeit von der Gewerkschaft der Polizei in MV erklärt in der OZ vom 30. Juni 2006: „Da sagt das Gesetz, Daten von unbeteiligten Dritten, die zufällig bei der Überwachung gewonnen werden, müssen gelöscht werden. Unsere Aufzeichnungsgeräte sind technisch gar nicht in der Lage, entsprechende Passagen zu löschen.“
Telefonüberwachungen sind nach dem neuen Gesetz nicht mehr auf die Strafverfolgung beschränkt, sondern können nun auch präventiv, zur Abwehr von Gefahren, für die Sicherheit des Staates oder das Leben von Menschen angewandt werden. Es werden jetzt also nicht mehr nur diejenigen überwacht, die tatsächlich etwas Gesetzeswidriges getan haben, sondern potenziell alle, die in den Augen der Polizei zukünftig etwas Gesetzeswidriges tun könnten.
Außerdem darf die Polizei künftig automatische Lesesysteme zur Erkennung und Auswertung von Kfz-Kennzeichen nutzen, wenn „eine konkrete Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben ist“ (Bundesverfassungsgericht im Verfahren 1 BvR 518/02). Zur Prävention ist eine solche Rasterfahndung nicht zulässig. Ebenso reicht eine allgemeine Bedrohung durch den internationalen Terrorismus nicht aus. Vielmehr müssen weitere Tatsachen eine konkrete Gefahr begründen.
Alle Maßnahmen sind zunächst auf fünf Jahre befristet, danach soll ihre Wirksamkeit überprüft werden.
Ob diese verschärften Maßnahmen in Hinblick auf die Terrorbekämpfung notwendig sind, erscheint sehr fragwürdig, wenn man sich den Umfang der bisher wahrgenommenen Möglichkeiten durch die Polizei ansieht: seit dem 11. September 2001 sind keine Videoüberwachungsmaßnahmen von der Polizei im Sinne von § 32 III SOG M-V durchgeführt worden. Die Kommunen führten insgesamt drei Videoüberwachungsmaßnahmen durch, wobei dem Innenministerium die Ergebnisse der Aufzeichnungen niemals vorgelegt wurden. Zusätzlich wurde zwischen 2002 und 2005 vom „Großen Lauschangriff“ nicht einmal Gebrauch gemacht. Es erfolgten also keine Einsätze von technischen Mitteln zur Erhebung personenbezogener Daten in oder aus Wohnungen. Warum jetzt ein verschärftes Gesetz verabschiedet wurde, obwohl die bisherigen Möglichkeiten kaum genutzt wurden, ist auf den ersten Blick unverständlich.
Es liegt die Überlegung nahe, dass die Novellierung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes weniger der Terrorbekämpfung als der Überwachung von Gegnern des G8-Gipfels, der nächstes Jahr in Heiligendamm stattfindet, dienen soll. In der Plenarsitzung vom 27. Juni 2006 machte der Abgeordnete Bernd Schubert (CDU) deutlich: „Ich weise noch einmal auf Pressemitteilungen hin, wie die aus dem Nordkurier vom 18. Februar 2006, wonach militante Globalisierungsgegner im Zusammenhang mit dem geplanten Gipfel Straßenkämpfe, brennende Autos, Blockaden und massive Polizeieinsätze voraussagen. Hierfür gilt es, gewappnet zu sein!“
In diesem Punkt schienen sich alle Fraktionen einig zu sein. Denn obwohl sich der Landesvorsitzende der Linkspartei.PDS und bekennende Gegner der Globalisierung, Peter Ritter, dagegen verwehrte, dass Globalisierungskritiker und Terroristen in einen Topf geworfen werden, stimmte seine Partei kurz darauf mit großer Mehrheit für den neuen Gesetzentwurf.
Geschrieben von Kerstin Zuber