Internationale Autorentagung „Junge Literatur in Europa“ der Hans Werner Richter-Stiftung
Wie groß würde es wohl werden, wenn es heißt „Junge Literatur in Europa“? Wie groß, wenn diese im Internationalen Begegnungszentrum statt fände? Wie groß, wenn dort Autoren lesen, welche schon fast jeden Literatur-Preis gewonnen haben, den es zu gewinnen gilt? Und schließlich, ganz naiv, warum macht man das?
In der Bahnhofstraße 2/3 gibt es einen Raum, der durch nichts abzulenken versucht, etwas Stuck, der schon immer da war, kahle weiße Wände, zwei moderne eintönige Kunstwerke und eine Hand voll roter Stühle auf grauem Boden. Kaum mehr als 50 Besucher konnten so Platz finden und nicht jeder Stuhl wurde besetzt. Man war sparsam mit der Werbung umgegangen und wollte vielleicht auch gar nicht, dass die Welt an diesen drei Tagen genauer hinsieht. Wer aber mitbekam, dass Anfang November die Internationale Autorentagung statt fand, hatte eine einmalige Gelegenheit, auf Augenhöhe, manchmal Schulter an Schulter und Bein an Bein neben denen zu sitzen, welche die Welt – ihre Welt – nein, ihre Sicht in Büchern beschreiben und festzuhalten versuchen. Und das nicht nur mit Erfolg, sondern auch auf eine Weise, der man gern zuhört, der man gern lauscht, von der man mehr will.
Clemens Meyer, Gernot Wolfram oder Rein Raud sind Namen, die nicht jedem etwas sagen, vielleicht noch nicht. Es ist eine junge Literatur, die noch sucht, die eine ganz andere Generation anspricht. Zum Beispiel die Generation derer, die in der DDR aufgewachsen sind, die Wende im Sturm ihrer eigenen Jugend erlebten und sich danach zurecht finden mussten. Sie wollten nicht, sie mussten und müssen eben jene Worte erzählen. Und die Worte sind es auch, welche im Vordergrund stehen, nicht der Autor. Seine Aussage, seine Botschaft, eben das, was geschrieben werden musste.
So war es auch bei Kerstin Mlynkec. Sie machte sich zunächst einen Namen als Fotografin und Filmschaffende. Doch das schien ihr nicht zu reichen. In ihrem Buch „Drachentochter“, eine Ich-Erzählung, ein Entwicklungsroman oder auch ein Sparten- oder Randgruppenwerk, geht es um ein junges sorbisches Mädchen, welches wie durch eine Kamera in eine Welt sieht, in ein System, das, wie die Autorin sagt „sich selbst freilegte“. Bevor sie die Frage beantwortete, warum ich als Nicht-Sorbe dieses Buch lesen sollte, runzelte Kerstin Mlynkec die Stirn, fand aber doch schnell eine prägnante Antwort: „Ich habe eine Tochter, die einst in der Schule beauftragt wurde, herauszufinden, wir ihre Eltern die DDR erlebten. Doch was wissen Kinder schon über dieses Leben ihrer Eltern mehr, als jene romantischen Erinnerungen die noch übrig sind? Dieses Buch stellt eben jenes Leben so nackt und klar dar, wie es war.“ – Und nackt und klar ist auch ihr Stil, der manchmal mehr mit dem Wie, als dem Was spielt.
Um eine andere Identität geht es wiederum in dem Roman, an dem Lucy Fricke noch schreibt und der den vorläufigen Titel „Durst ist schlimmer als Heimweh“ trägt. Ein junges Mädchen von etwa 16 Jahren wird in einer WG, man könnte fast Heilanstalt sagen, aufgenommen. Sie ist ebenso distanziert wie die „Drachentochter“, lebt aber in einer ganz anderen Zeit. Mit einer Leichtigkeit, welche fast einer Kamerafahrt gleicht, beschreibt die junge Autorin das Leben Judiths, die eben jenes wieder auf die Reihe zu bekommen versucht. Ein flaues Gefühl stellt sich ein, wenn die junge Protagonistin dem Leser das normale Leben madig macht – und doch fühlt man mit, leidet und will wissen, wie es ausgeht. Schade, dass wir noch wenigstens zwei Jahre warten müssen, bevor der Roman in den Verkaufsregalen landet. Bei der Frage, warum sie selbst genau diese Geschichte schrieb, zog Lucy Fricke dann doch die Augenbrauen hoch, suchte nach Antworten in den Reihen ihrer Kollegen, wurde nervös und sagte, „dass manches eben geschrieben werden muss.“
Insgesamt waren es 14 Autoren, welche an diesen drei Tagen ihre Werke vorstellten und vielleicht ist es eben genau das, was die junge Literatur so reizvoll macht: die Autoren suchen im Kleinen nach Identität, haben Gefühle, die aufgeschrieben werden müssen, an denen wir im Kleinen teil haben dürfen und uns dann selbst die Frage stellen können, wer wir sind, und was wir leisten – im 21. Jahrhundert?
Geschrieben von Christoph Schuchardt