Europäische Forschung in Greifswald
Man könnte sie als Kinder bezeichnen, die in den Laboren von Prof. Michael Hecker forschen. Der angesehene Wissenschaftler ist dann wohl ihr Peter Pan.
Kinder sind Naturwissenschaftler in persona. „Sie ZEIGEN auf alles!“, betreiben „elementare Physik“, indem sie einfach lernen, zu leben, berichtete die Expertin für Bildung in frühen Jahren, Dr. Donata Elschenbroich, in einem Interview mit dem Deutschen Jugendinstitut im Jahre 2005. Zuerst fragen sie neugierig immer nur Warum, dann kommt plötzlich Mathematik hinzu. Und wenn sie das verstanden haben, müssen sie die plötzlich auch noch in den unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Disziplinen in Schule und eventuell auch Studium anwenden. Da brauchen sie einen langen Atem und den besitzen nicht viele – die wenigsten von ihnen finden sich dann tatsächlich beruflich in einem Labor wieder.
Wer allerdings bei Michael Hecker – im Institut für Mikrobiologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität – vorbeischaut, dann ist man plötzlich mitten unter ihnen – den groß gewordenen Kindern, die noch immer eine der grundlegendsten Fragen antreibt: Wie funktioniert das Leben?
Dieser Frage widmet sich auch der Biochemie-Student Jan Muntel in seiner Diplomarbeit. Er gehört zu einem über fünfzigköpfigen Team von Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe um Prof. Hecker, die unter anderem den Modellorganismus „Bacillus subtilis“ untersucht. Dabei konzentriert er sich auf fünf Proteine, den so genannten „Spielern des Lebens“ (1), und deren Interaktionen innerhalb von Bacillus subtilis. „Ziel war es, durch das Auffinden von Interaktionspartnern Hinweise auf die Funktionsweise zu finden. Bei einem Protein konnte ich eine Interaktion mit dem Ribosomen nachweisen“, erzählte er. Welche Auswirkungen das auf das Funktionieren des gesamten Organismus hat, davon hat er allerdings noch keine Vorstellung. Dafür hat man dank ihm nun eine Ahnung, welche Aufgaben dieses Protein erfüllen könnte.
Muntels Forschung ergänzt unter anderem weitere Experimente, bei denen Zellen durch Alkoholzugabe gestresst werden, um festzustellen welche Proteine in diesem Fall besonders aktiv sind, damit das Überleben gesichert ist. Das merkt man besonders bei Mutanten, in denen bestimmte Proteine ausgeschaltet wurden. Der Mutant ist dann unter Stressbedingungen nicht mehr lebensfähig.
Durch Vergleiche mit normal wachsenden Zellen und gestressten Zellen werden so Hinweise auf Proteine gefunden, die unter Stressbedingungen lebenswichtig sind. Diese Proteine sind von besonderem Interesse, da ihre genaue Funktion und Funktionsweise größtenteils noch unbekannt ist. Es muss also erst Licht gebracht werden ins dunkle Leben der Proteine.
Wir waschen mit Bacillus
Tatsächlich ist nur von zwei Dritteln der Proteine von Bacillus subtilis die Funktion bekannt und das, obwohl schon seit neun Jahren die 4,2 Millionen Bausteine durch ein europäisches Forschungsnetzwerk offen gelegt wurden.
Der Organismus selbst wurde be-reits in den 70er Jahren benutzt. In Waschmitteln beseitigen die mit ihm produzierten Proteasen Proteinflecken wie Ei. Überhaupt schneiden enzymhaltige Waschmittel laut einer Studie des „Bayrischen Instituts für Angewandte Umweltforschung & -technik“ (2004) in nahezu allen Wirkungskategorien deutlich besser ab als traditionelle, phosphathaltige Waschsubstanzen. Sie sind nicht nur schonend zur Umwelt, sondern verringern auch die benötigte Menge pro Waschgang.
Heutzutage lädt man circa 100 Gramm in die Maschine, vor dreißig Jahren war es beinahe das Dreifache.
Mit beeindruckend wertvollen Ma-schinen wird in den Räumen des Instituts für Mikrobiologie gearbeitet. Sechs Massenspektrometer, die die Zusammensetzung der Proteine aufschlüsseln, verhelfen den Studenten zu neuen Erkenntnissen.
So leisteten sie auch Jan Muntel treue Dienste und er konnte ein Protein, welches beschädigte Proteine erkennt und die Konzentration in der Zelle von Clp-Proteasen reguliert, genauer untersuchen. Jene Clp-Proteasen bauen unbenutzte und zerstörte Proteine ab und sind damit ein wichtiger Bestandteil des Organismus.
Nicht nur in Greifwald forscht man intensiv an „Bacillus subtilis“. In vielen Teilen Europas, aber auch in Japan wird er intensiv untersucht. Weltweite Datenbank wie Protecs vernetzen die Forscher und informieren sie über die neuesten Entwicklungen.
Mehr Geld für Forschung
Grundlagenforschung scheint die Basis des Fortschritts zu sein. Diese Auffassung vertritt offensichtlich auch die Bundesregierung Deutschland. Unverkennbar wurde besonders die Projektförderung für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung im Gegensatz zum vergangen Jahr um fast 30 Prozent angehoben. Damit liegt sie deutlich vor allen anderen Bereichen, obwohl sie bei den Gesamtausgaben mit gerade einmal 93,6 Millionen Euro nur Platz fünf von insgesamt sechs belegt. An oberster Spitze steht noch immer die „Innovation durch neue Technologien“ mit 554,104 Millionen Euro. Das macht beinahe ein Viertel der gesamten Gelder aus, die für Forschungsprojekte aufgebracht werden.
Neben dem üblichen Etat für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der sich dieses Jahr um 5,6 Prozent erhöht hat, stellt die Regierung zusätzlich sechs Milliarden Euro zur Verfügung. Und davon soll auch die „Grundlagenforschung profitieren“, wie Bundesministerin Annette Schavan in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Januar diesen Jahres mitteilte.
Vielleicht liegt es aber nicht nur an ihr, dass die Regierung zunehmend auf Innovation setzt. Bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrer ersten Regierungserklärung, dass die „Reform des Arbeitsmarktes“ am besten durch „Bildung und Innovation“ realisiert werden könne. Sie selbst, die mit ihrer Doktorarbeit im Bereich „Theoretische Chemie“ Grundlagenforschung be-trieb, weiß um die Bedeutung von Arbeitsgruppen wie der um Prof. Hecker.
Der Unbesiegbare – Staphylococcus aureus
Zu einer Untergruppe dieser Arbeitsgruppe gehört ebenso Stephan Fuchs.
Er beschäftigt sich mit einem besonders interessanten Krankheitserreger, der neben Wundinfektionen auch Blutvergiftung hervorrufen kann – dem Bakterium „Staphylococcus aureus“, das als erstes gegen sämtliche Antibiotika resistent geworden ist. Und das war durchaus absehbar.
Gerade in der Massentierhaltung werden Antibiotika missbraucht und selbst beim kleinsten Schnupfen verschreiben Ärzte oft jene Medikamente, obwohl Erkältungen meist virusbedingt sind. „Wir befinden uns also fast in präantibiotischen Zeiten“, umschreibt es der junge Doktorand.
Somit liegt ein enormer Druck auf der Pharmaindustrie und damit auch Mikrobiologie. Aufgabe der Forschungsgruppe ist es nun, auch neue Ziele in dem Organismus zu finden, die angreifbar sind, woraus die Pharmaindustrie wiederum Schlussfolgerungen für die Entwicklung neuer Arzneien ziehen kann. „An sich stehen wir mit unserem Verständnis dafür noch weit am Anfang“, fährt Stephan Fuchs fort.
Das liegt sicher auch daran, dass sein Forschungsprojekt erst Anfang dieses Jahres bewilligt wurde. Nun ist es Teil eines Sonderforschungsbereiches namens Transregio, welches ein deutsches Forschungsnetzwerk aufgebaut hat. Neben der hiesigen Universität beschäftigen sich auch Tübingen und zahlreiche Einrichtungen in Berlin mit „Staphylococcus aureus“.
Bis zum Jahr 2010 sind so Millionen Euro sicher, um den Mikroorganismus weiter zu untersuchen. Das BMBF, die Europäische Union aber auch die Deutsche Forschergemeinschaft haben kräftig investiert, um neue Wege gegen den Krankheitserreger zu finden.
Dabei hilft vor allem auch die Arbeit von Wissenschaftlern wie Jan Muntel, denn als Schablone dient oft der „Bacillus subtilis“.
Durch die große Ähnlichkeit zwischen dem gut untersuchten Modellorganismus und „Staphylococcus aureus“ lassen sich viele Erkenntnisse ableiten und übertragen.
Natürlich können Unterschiede auftreten, leben die beiden Mikroorganismen doch unter vollkommen verschiedenen Bedingungen. So findet man „Bacillus subtilis“ in nahezu allen Böden unserer Breiten, muss man im Gegensatz dazu den Krankheitserreger Staphylococcus in den Nasenschleimhäuten und der Haut des Menschen suchen.
Letztendlich trägt jeder „Staphylococcus“ in sich, zum Ausbruch einer Krankheit muss es aber zwangsläufig nicht kommen. Als kleine Kolonie kann er sich sogar innerhalb der Zelle mit Nahrungsmitteln versorgen und gleichzeitig alles ausschalten, was auf seine Anwesenheit hinweisen könnte. So kann er als krankheitserregender Keim Jahrzehnte im Körper nisten und dann erst zum Krieg gegen den Organismus ansetzen. Und oft wappnet er seine Waffen im Krankenhaus. „Wir arbeiten auch mit den Kliniken zusammen, von denen wir frische Bakterienstämme direkt aus den Patienten bekommen“, erzählt Stephan Fuchs.
So ist ihm und seinen fast zwanzig Mitstreitern ein Vergleich zwischen den Klinikstämmen und jenen, die sich an das Laborleben angepasst haben, möglich. Tatsächlich ist „Staphylococcus aureus“ in der Lage, ohne Sauerstoff zu leben, was für bestimmte Krankheitsbilder äußerst wichtig ist.
Auf kurze Sicht ist allerdings nicht zu erwarten, dass das Wesen von „Staphylococcus“ aber auch „Bacillus subtilis“ gänzlich aufgeklärt sein wird, handelt es sich hier doch eindeutig um Langzeitforschung.
„Ich gehe nicht davon aus, dass ich es noch erleben werde, dass man „Staphylococcus“ vollständig versteht“, schließt der Humanbiologe ab.
Es ist nur zu hoffen, dass er und all die anderen jungen Wissenschaftler dennoch ihre kindliche Begeisterung und Neugier behalten und mehr Klarheit in die Grundfragen des Lebens bringen werden.
wichtige Begriffe
Grundlagenforschung:
wissenschaftliche Aufstellung, Nach-prüfung und Diskussion der Prinzipien einer Wissenschaft; legt die Grundlagen für weitergehende Forschung
Interaktion:
wechselseitiges aufeinander Einwirken von Akteuren oder Systemen
Mikrobiologie:
Teilgebiet der Biologie, Wissenschaft und Lehre von Lebewesen, die als Individuen nicht mit bloßem Auge erkannt werden können, u.a. Bakterien und Viren.
Modellorganismen:
Pilze, Pflanzen oder Tiere, die mit einfachen Methoden gezüchtet und untersucht werden können und deshalb von großer Bedeutung für die Forschung sind
Protease:
bauen unbenutzte und beschädigte Proteine ab
Proteine (auch Eiweiße genannt):
aus zig Tausenden Bausteinen bestehendes Molekül, das zu den Grund-bausteinen aller Zellen gehört; Pro-teine geben der Zelle die Struktur
Geschrieben von Anke Hanisch