Bäckerei verwechselt Spendenbüchse mit Werbetrommel – Eine Polemik
Kann so unsere chronisch unterfinanzierte Universitätsbibliothek gerettet werden? Jeder, der in der Stadtbäckerei Junge ein Schokocroissant für 95 Cent kauft, spendet davon zehn Cent der Universitätsbibliothek. Was auf den ersten Blick kreativ und wohltätig aussieht, ist auf den zweiten Blick nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Überlegt man sich, dass ein normales Lehrbuch im Schnitt 100 Euro kostet, braucht man mindestens 1000 verkaufte Schokocroissants, um damit ein einziges Buch zu finanzieren. Um sich diese Menge mal vor Augen zu führen: 1000 Croissants hintereinander gelegt ergibt eine Strecke von 184 Metern. Diese könnte man locker um die gesamte Universitätsbibliothek legen.
Wer glaubt, er tut der Bibliothek mit dem Kauf dieses Gebäcks etwas Gutes, der irrt fatal. In erster Linie profitiert die gute Stadtbäckerei davon. Sie erhöht den Umsatz der teuren Schokocroissants und kann sich gleichzeitig „ortsverbunden“ und „großzügig“ geben. Denn mit über 140 Filialen und, laut eigenen Angaben, „führender Marktstellung im Norden Deutschlands“ braucht die Bäckerkette diese „lokale Verankerung“ und „Glaubwürdigkeit“. So ist die Kampagne für die Stadtbäckerei nicht nur günstig, sondern sogar profitabel, da die eigentliche Zehn-Cent-Spende als Aufschlag voll auf den Kunden umgeschlagen wird.
Im ersten Aktionszeitraum von Mai bis Ende Juli kam die teure Schoko-Verführung trotzdem gut an. Die elf beteiligten Filialen verkauften nach Angabe Marketingchefs Herrn Hofrichter 9000 Croissants. Zur Vorstellung: Aufeinander getürmt, erreichen sie die schwindelerregende Höhe von 486 Metern und würde locker das ehemalige World Trade Center überragen. Zur feierlichen Stunde rundete man die Spende auf 1000 Euro auf und übergab sie medien- und werbewirksam in der Greifswalder Verkaufsstelle dem Bibliotheksdirektor. Seine Stellvertreterin Frau Sigrid Hornei erklärte gegenüber moritz, dass sie die Aktion prima fände. Man werde jetzt zehn Bücher davon kaufen. Ein großer Aufkleber der Bäckerei auf der ersten Innenseite natürlich inklusive. Erstaunlich ist das Bündnis trotzdem: immerhin sind jegliche Lebensmittel – inzwischen auch Wasser – in der Bibliothek verboten.
Das einzige Gute an der Kampagne ist, dass sie eindringlich verdeutlicht, wie groß die Not der Bibliothek sowie der Universität insgesamt bereits ist. Offenbar ist man inzwischen im Fundraising- und Alumnibüro bereit, für ein paar hundert Euro die Seele und den Namen der Universität für jeden Marketing-Ramsch zu verkaufen. Die nächste Studentendemonstration steht wohlmöglich unter dem Motto: „Unsere Bildung ist auf Hörnchen gebaut“. Vielleicht kann die Initiative auch andere anstiften, aktiv zu werden: Kindergärten stricken Buchumschläge, Aldi sammelt für die Stromrechnung, und für jeden verkauften Volkswagen in Harrys Autohaus wird ein neues Buch der UB geschenkt. Wie wäre es mit der AOL-Universität für 20 kostenlose Bücher pro Jahr? Schöne neue Welt!
Wer wirklich will, dass neue Bücher in der Bibliothek angeschafft werden, der sollte einfach fünf Titel ausleihen und sie nur eine Woche verspätet zurückbringen. Das kostet über zwölf Euro und entspricht bereits 120 Croissants. Denn das Geld aus Verspätungen fließt direkt dem Kauf neuer Bücher zu, ohne den Umweg durch Bäckerkassen.
Geschrieben von Sebastian Jabbusch