Hans Martin Tillack, ehemaliger Brüssel-Korrespondent des Stern, über Demokratie in der EU, europäische Werte und Ethik im Journalismus
Hans Martin Tillack kam vor fünf Jahren nach Brüssel. Schnell merkte er, dass dort das „politische Drama“ fehlt.. Nichtsdestotrotz betrieb er investigativen Journalismus und löste unter anderem den Finanzskandal der EUROSTAT-Behörde aus. Die Offiziellen waren verschreckt und bezichtigten Tillack des Kaufs von Informationen, woraufhin die Polizei sowohl sein Zuhause als auch sein Büro filzte und und erst einmal alles konfiszierte. Tillack zog vor Gericht und prozessierte bis in dieses Jahr, immer mal wieder unter Verdacht stehend. moritz traf den ihn am Rande eines Vortrags, den er im Rahmen von GrIStuF im Pommerschen Landesmuseum hielt.
moritz: Während ihres Vortrags sprachen Sie von Macht und einer fehlenden Opposition in der Europäischen Union. Wie demokratische ist die EU?
Hans Martin Tillack: An dieser Stelle kann man EU-Kommissar Günter Verheugen zitieren, der – als er neu in Brüssel war – meinte, die EU wäre so undemokratisch, dass sie sich selbst nicht den Beitritt erlauben würde. Wenn die EU also ein Mitglied ihrer selbst werden würde, müsste man sie zurückweisen. Tatsächlich ist die Kommission nicht vom Parlament gewählt und das Ergebnis ist, dass es keine Kontroverse zwischen einer Regierung und einer Opposition gibt. Es gibt keine demokratische Kontroverse, die den Bürgern Europas helfen würde zu verstehen, was in ihrem Namen in Brüssel verhandelt wird.
Gibt es eine europäische Öffentlichkeit und welche Anstrengungen werden unternommen, um sie zu modellieren?
Heutzutage gibt es lediglich dann eine europäische Öffentlichkeit, wenn es Themen auf der europäischen Ebene gibt, wie beispielsweise BSE, wie den Sturz der Kommission 1999 oder die potentielle Teilnahme am Irak-Krieg. Wenn es demokratische Politik in der EU gäbe, würde es auch eine europäische demokratische Öffentlichkeit geben. Aber die europäischen Institutionen sträuben sich gegen die demokratische Auseinandersetzung und es wird wohl in der nahen Zukunft keine europäische Öffentlichkeit geben.
Sie sprachen über europäische Werte und über Pressefreiheit als ein europäischer Wert. Wie kann man Pressefreiheit zu einem solchen werden lassen?
Die europäische Gemeinschaft beruht auf der modernen Demokratie, die in Europa 1789 in Frankreich erfunden wurde. Ohne diesen Demokratieanspruch ist die EU undenkbar. Demokratie funktioniert wiederum nur mit Pressefreiheit, weil die Bürger unabhängige Informationen brauchen, um an der Debatte teilzunehmen. Pressefreiheit ist essentiell für Europa und in unserem eigenen Interesse. Außerdem kann die EU nur in anderen Ländern für Pressefreiheit kämpfen, wenn sie in sich dabei glaubwürdig ist.
Sie sprachen ebenfalls über Ethik und Moral im Journalismus. Haben sie während der täglichen Arbeit Zeit, ihr Handeln zu reflektieren?
Man muss das tun. Man kann gar nicht journalistisch arbeiten, ohne es zu tun – insbesondere wenn man attackiert und angeklagt wird, wie es mir geschah. Journalisten arbeiten nun einmal auf dem Präsentierteller. Jeder kann unsere Arbeit lesen und die Frage, wie Artikel entstanden sind, ist erlaubt und Gegenstand einer offenen Debatte.
Geschrieben von Ulrich Kötter