Mediziner legen Arbeit in Greifswald und Rostock nieder

Rostock. 12. Juni, 8 Uhr irgendwas. Tosender Applaus schallt durch den Hörsaal der Inneren Medizin in der Schillingallee. Auf dem Podium: Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Das Publikum: Mediziner der beiden Universitätskliniken in Mecklenburg-Vorpommern und eine große Anzahl Studierender.

Am Verhandlungstisch

Der Ärztestreik an den beiden Universitätskliniken in Greifswald und Rostock geht in die dritte Woche. Bisher wurde sieben Tage lang gestreikt, dann eine Woche pausiert, aber die gesundheitliche Notfall-versorgung der Bevölkerung wurde gewährleistet. Während dieser Wochen verhandelte die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) unter dem Vorsitz von Hartmut Möllring mit dem Marburger Bund. Der erste Verhandlungspartner ist der Arbeitgeberverband von 14 Bundesländern. Mecklenburg-Vorpommern läßt seine Tarifverträge für den öffentlichen Dienst ebenfalls durch die TdL verhandeln. Auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sitzt der Marburger Bund als Arbeitnehmervertreter für rund 100.000 Ärzte in Deutschland. Beide Streithähne diskutieren schon seit Wochen, treten vor die Öffentlichkeit und versprechen eine schnellen Tarifabschluss für die an den Universitätskliniken angestellten Ärzte. Eine Einigung blieb aber bisher aus. Die streikenden Mediziner in M-V fahren nun einen schärferen Kurs und drohen mit der ununterbrochen Arbeitsniederlegung bis ihre Forderungen erfüllt werden. In Süddeutschland läuft der Streik an den Universitätskliniken schon seit fast drei Monaten.

Eingefordert

Montgomerys Visite in Rostock am 17. Juni sollte die anwesenden Ärzte noch mehr zusammen schweißen. „Fahren Sie einen härteren Kurs gegenüber ihrer Finanzministerin Sigrid Kehler“, forderte der Vorsitzende des Marburger Bundes, „denn nur so kann Einfluß auf den Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, Möllring, ausgeübt werden.“ Dieser soll den Forderungen des Marburger Bundes schließlich entgegenkommen. Der Streik richtet sich nicht gegen die Patienten, die rund 1.500 Medizinstudenten in Greifswald, die einzelnen Klinikchefs und den Vorstand, das Dekanat der Medizinischen Fakultät oder die nicht-akademischen Mitarbeiter. Gegner ist die TdL.
Mehrere Ziele möchte die Ärzte-gewerkschaft erkämpfen. Dazu zählt zum einen eine Verbesserung der  Arbeitsbedingungen. Jährlich fallen allein unter den Ärzten im Universitäts-klinikum Greifswald 150.000 unbezahlte Überstunden an. Außerdem soll der Verwaltungs-aufwand reduziert werden: Das Abrechnen und Dokumentieren der ärztlichen Leistungen kostet wertvolle Arbeitszeit. Des weiteren setzt sich der Marburger Bund für längerfristige Arbeitsverträge vor allem für Mediziner in der Facharztausbildung ein.
Als weiteres Ziel zählt die Anrechnung der Forschungs- und Lehrleistung der Uniärzte zu ihrer Arbeitszeit. „Der Vorbereitungsaufwand für Lehrveranstaltungen darf nicht als Privatsache abgetan werden“, fordert Dr. Wolf Diemer, Mitglied des Greifswalder Streikkomitees und Vertreter im Landesverband des Marburger Bundes. Die Gewerkschaft fordert eine signifikante Gehaltserhöhung für die Mediziner. Ein zustande kommender höhere Tarifabschluss wird aber weiterhin unterschiedliche Vergütungen an ost- und westdeutschen Universitätskliniken enthalten. Diese Unterschiede sollen aber langfristig verschwinden. Deshalb darf der für die in der TdL organisierten Bundesländer geltende Flächentarifvertrag nach Maßgabe der Interessenvertretung der Ärzte nicht aufgekündigt werden. Ansonsten wird ein Verlust von qualifizierten Mediziner aus M-V an Krankenhäuser anderer, mit besseren Tarifverträgen ausgestatteten Bundesländern, befürchtet. Das Ende des Gesundheitslandes Mecklenburg-Vorpommern?

Bezahlbare Forderungen?

Wenn die Wünsche des Marburger Bundes erfüllt werden, wie werden diese dann bezahlt? Die Kosten medizinischer Versorgung werden zukünftig nicht sinken. Schlagwörter wie der demographische Effekt und das Ungleichverhältnis zwischen in die Sozialsysteme Einzahlenden und Empfangenden sind zu nennen. „Die Gesundheitsreform ermöglicht die Verbesserung der Einnahmeseite“, hofft Diemer. Der Ärztliche Direktor des Greifswalder Universitätsklinikums, Prof. Claus Bartels, hält dagegen die Tariferhöhung für nicht finanzierbar. „Woher soll diese kommen?“, fragt er. „Viele Forderungen des Marburger Bundes, wie zum Beispiel langfristige und übertarifliche Arbeitsverträge mit Leistungsträgern haben wir schon erfüllt.“  

Unterm Strich

Die ersten beiden Streikwochen im Universitätsklinikum schlagen mit Erlöseinbüssen in Höhe von etwa 300.000 Euro zu Buche. Ungefähr 150 Mediziner beteiligten sich an den Ausständen. Dabei wurden nicht alle Kliniken bestreikt. In der Chirurgie hieß es business as usual, als wenn es keinen Ausstand gäbe.
moritz erfuhr aus der universitären Gerüchteküche, dass streikende Mediziner mit Sanktionen, wie zum Beispiel nicht gewährten Vertragsverlängerungen zu rechnen haben. Auch sollen Namenslisten der Streikenden angefordert worden sein. „Aus dem Finanzministerium kam eine Anfrage nach einer solchen. Das Klinikum wird keine Maßnahmen gegen Streikende einleiten. Dies wäre inakzeptabel“,  so Bartels. In Schwerin weiß man von einer Anfrage nichts. „Wir haben kein Gesuch nach Namenslisten gestellt“, erklärt Julius Geise, Pressesprecher des Ministeriums.
Die universitäre Ausbildung der Medizinstudenten ist durch den bisherigen Streik nicht in Gefahr gewesen. „Es sind keine Lehrveranstaltungen ausgefallen“, sagt Prof. Heyo Kroemer, Dekan der Medizinischen Fakultät. „Die Medizinstudenten sind sowohl Mitstreiter, könnten aber auch Opfer des Streiks werden. Dies würden wir aber in Kauf nehmen“, so Montgomery über die
Rolle der Studierenden.

Geschrieben von Björn Buß