Prof. Dr. Hubertus Buchstein hat am Institut für Politikwissenschaft die Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte inne. Der moritz sprach mit ihm über seine Arbeiten zum Thema Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern.
moritz: Wie kommt es zu Ihrem Forschungsinteresse auf dem Gebiet des Rechtsextremismus?
Prof. Buchstein: Die Gründe sind zweierlei. Zum einen habe ich ja thematisch schon immer in Teilen in diesem Bereich gearbeitet: Ich habe Politische Theorie der Weimarer Republik, Demokratiekritik in der Weimarer Republik, Faschismustheorien sowie die Selbstbeschreibung des Dritten Reiches gemacht, und hatte insofern aufgrund dieser ideengeschichtlichen Arbeiten schon immer ein Interesse auch an rechtsextremistischen Ideologien und Demokratiekritik. Das zweite ist: Jetzt bin ich hier in der Region, da sieht man gewisse Dinge geschehen, und wenn man nun gleichsam auch ein bisschen politisch wirken möchte als Politikwissenschaftler, schaut man sich nach Themen um, die wichtig sind für diese Region. Ich habe den Eindruck, dass das Thema Rechtsextremismus hier im Bundesland, vor allen Dingen in Vorpommern, eines ist, das wissenschaftlich noch nicht adäquat genug bearbeitet wurde. Es gibt in der überregionalen Presse viele grobe, holzschnittartige Beschreibungen, es gibt bei den politischen Akteuren hier vor Ort, gerade auch in den Kommunen, eine erschreckende Hilflosigkeit, und es gibt drittens bei der politischen Regierung hier im Bundesland immer wieder beschwörende Appelle, man weiß aber nicht so recht, wo und wie man da anklopfen kann. Die Politikwissenschaft kann hier versuchen weiterzuhelfen, zusammen mit Soziologie, Erziehungswissenschaften und anderen Fächern. Insofern glaube ich, dass mit diesen beiden Strängen – der eine: wo ist tatsächlich politikwissenschaftlicher Beratungsbedarf hier im Land? und der andere von meinen eigenen theoretischen Interessen her – zwei Dinge so ein bisschen zueinander kommen.
Sie setzen also eher einen politikberatenden Schwerpunkt?
Es sind zwei Arbeiten, die wir jetzt machen. Die eine ist: Wir forschen ganz konkret über die Kommunalpolitik der NPD hier im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Das ist hervorgegangen aus einem Seminar vor zwei Jahren, in dem es sehr aktive Studierende gab, die dazu Hausarbeiten geschrieben, eigenständig geforscht, recherchiert und Interviews gemacht haben. Daraus ist dann die Idee entstanden, ein mit Studenten bestücktes Forschungsprojekt zu machen. Da ist das Ziel einerseits, wissenschaftliche Aufarbeitung überhaupt zum ersten Mal zu machen: Was macht die NPD eigentlich wirklich in den Kommunalparlamenten? Aber es gibt auch hier einen Teil, der überlegt, auch vergleichend in andere Bundesländer schauend, was die „best practices“ im Umgang mit der NPD in Kommunalparlamenten sind.
Das zweite Projekt ist genereller, es untersucht den Rechtsextremismus im ländlichen Raum. Auch hier die Antwort auf die Frage: Es ist ein Forschungsthema, und es hat eine Beratungsdimension. Das Forschungsthema ist: Es gibt viel zum Thema Rechtsradikalismus, sehr viel zum Thema Rechtsextremismus, aber sehr wenig oder fast nichts zum Thema Rechtsextremismus im ländlichen Raum – gar nicht mal ostdeutsch, sondern im ländlichen Raum. Und dazu wollen wir speziell arbeiten, aber, und das ist von der Forschung her neu und anders als bisher, wir wollen nicht nur auf den Rechtsextremismus im ländlichen Raum schauen, sondern auf die Interaktion dieser rechtsextremistischen mit den demokratischen, zivilgesellschaftlichen Strukturen: Was macht die Verwaltung, was machen Bürger? Wir betrachten das Verhältnis beider Strukturen also gleichsam als kommunikative Röhren. Und auch da ist die Idee, zunächst einmal für verschiedene ländliche Regionen, die wir uns hier ausgesucht haben, zu beschreiben, welche Strukturen Rechtsextremismus hat – wann es Parteien, wann Kameradschaften sind, wie stark sie sind, wie agieren – und daraus dann, auch hier unter Rekurs auf Dinge, die schon in anderen Bundesländern gemacht wurden, „best practices“ zu entwickeln: wo man mit den Gemeinden, mit den Kommunen vor Ort besser die zivilgesellschaftlichen Akteure stärkt, und wo man ein bisschen die politischen Akteure stützt, die doch recht hilflos agieren. Wie in Ueckermünde zum Beispiel, dort denkt die Politik, das Problem Rechtsextremismus könne sie dadurch lösen, dass sie einfach für die gesamte Innenstadt ein Demonstrationsverbot errichtet. Wir wollen also wirklich helfen, nicht einfach daneben stehen und beraten. Mit den Akteuren zusammen wollen wir diese Dinge entwickeln.
Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Wir arbeiten natürlich mit Literaturanalysen, denn man muss erstmal einiges gelesen haben, um den Stand der Forschung zu kennen. Dann aber machen wir vor allen Dingen Forschung vor Ort. In dem NPD-Projekt ist es geradezu vorbildlich, wie hier Studierende geforscht haben. Sie haben Interviews gemacht, mit NPDlern, die Kommunalparlamentarier sind, mit Personen aus den Verwaltungen, mit Bürgermeistern, mit Vertretern der anderen Parteien. Wir haben Fragebögen an sämtliche Abgeordnete in den untersuchten Kommunen ausgeteilt um zu erheben, wie sie auf die NPD reagieren, wie sie sie wahrnehmen, was sie besser und was sie schlechter finden im Umgang der eigenen Partei mit der NPD. Teilnehmende Beobachtung in Sitzungen diente dazu zu schauen, wie die Abgeordneten agieren, ob geklatscht wird, wenn ein NPDler spricht, wie er sozial wahrgenommen wird. Die vierte Quelle ist die klassische Dokumentenanalyse. Da werden Protokolle durchgearbeitet, Anträge der NPD und anderer Parteien angeschaut. Insofern: Wir betreiben empirische qualitative und quantitative Sozialforschung, denn wir werten das ganze ja auch quantitativ aus. Das Literaturstudium spielt hier eine geringere Rolle, alldieweil es zu dem Thema nicht so viel gibt.
Wie ist denn die Kooperationsbereitschaft auf Seiten der NPD?
Kooperationsbereitschaft ist vielleicht das falsche Wort. Es haben sich NPDler bereiterklärt, interviewt zu werden – ja, und das ist es.
Wie schätzen Sie generell die Situation in MV, in Vorpommern, in Greifswald ein?
Fangen wir mit dem einfachsten an: In Greifswald ist Rechtsextremismus kein großes Problem mehr. Es war ein Problem, als es hier eine starke Figur, den Maik Spiegelmacher, gab, der um sich herum Personen scharen konnte, die Mitte, Ende der 1990er die Rechtsextremisten sehr stark agieren lassen haben. Das ist gleichsam implodiert, ganz wesentlich auch aufgrund massiver Proteste, der großen „Bunt statt braun“-Demonstration, wo von der Uni-Leitung bis zum Bürgermeister alle demonstriert haben. Das hat sehr viel geholfen. Es gibt in Greifswald eine Schwachstelle bzw. eine Problemzone. Das sind zwei Burschenschaften, bei denen Einige offensichtlich Verbindungen zu NPD-Personen haben und sich nicht davon absetzen, sondern ganz im Gegenteil mit geschichtsrevisionistischen Thesen versuchen, eine Nische besetzen zu können. Das ist nicht großartig gelungen, aber ich halte das für einer Universität unwürdig und generell für einen Skandal, dass es ausgerechnet im akademischen Milieu überhaupt Schwierigkeiten mit Rechtsextremismus gibt. Ansonsten hat Greifswald als Universitätsstadt, aber auch aufgrund der zivilgesellschaftlichen Aktivitäten zurzeit kein rechtes Problem. Ostvorpommern und Mecklenburg-Vorpommern kann man gemeinsam abhandeln: In den ländlichen Räumen ist Rechtsextremismus ein Problem. Die NPD ist in einigen Regionen im Augenblick nicht gerade stark, eher ein bisschen „anverankert“. Sie hat ja nur 200 aktive Mitglieder zurzeit. Die so genannten freien Kameradschaften sind in anderen Regionen ein bisschen stärker, sie arbeiten teilweise mit der NPD zusammen. Zahlenmäßig hat sich das Potenzial nicht verstärkt, es sind nur einige tausend, teilweise einige hundert Personen im Kern. Aber unsere Sorge ist, dass über die NPD, wenn sie in den Landtag kommt, eine Art Normalisierung eintritt. Was für Mecklenburg-Vorpommern ja generell ein Problem ist, sind die 30% rechtsextremistisches Einstellungspotenzial, egal, wie sauber die nun gemessen sind. Das ist eine vergleichsweise hohe Zahl, insofern sehe ich das Land in einer Situation, in der man aufpassen soll. Und jetzt das optimistische: Ich glaube, dass Mecklenburg-Vorpommern nicht nur Krisenregion, sondern ein Bundesland ist, das sich recht gut entwickeln wird in den nächsten Jahren. Zweitens zeigt die demografische Situation, dass die Zahl der jungen Leute aufgrund des Nachwendegeburtenrückgangs gesunken ist. Ich glaube ganz fest, dass sich die Situation in den nächsten vier, fünf Jahren deutlich entspannt, wenn man es schafft, den Rechtsextremismus weiterhin zurückzudrängen . Was nicht heißt, dass es dann nicht rechtspopulistische Parteien gibt, aber das wird eher von der Bundesebene ausgehen. Also insofern: Man sollte etwas alarmiert blicken, aber keinen Alarmismus betreiben, vor allem nicht à la Spiegel oder Tagesthemenberichterstattung: Andrejewski wird vor der Kaufhalle gefilmt, zwei Alkoholiker rufen ihm etwas zu, und das wird dann als in der Mitte der Gesellschaft verankert dargestellt.
Die Demografie wird also das Problem lösen?
Ich glaube, dass sich die wirtschaftliche Lage in diesem Land über die nächsten Jahre verbessern wird, und das wird einen gewissen Problemdruck nehmen. Ich glaube zweitens, dass sich die demografische Lage mit Blick auf Rechtsextremismus insofern ja weiterentwickelt, als dass die Zahl der jungen Leute, die arbeitslos werden, unter denen der Rechtsextremismus besonders starke Resonanz erzeugt hat auf dem Land, aus demografischen Gründen etwas zurückgeht, sodass sich das Problem etwas entspannen könnte. Aber ein Punkt ist noch wichtig für unser Bundesland: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es – Brandenburg ist da ganz ähnlich und eigentlich alle neuen Bundesländer – gerade auf lokaler Ebene zuweilen geballte Hilflosigkeit im Umgang mit dem Rechtsextremismus. Das gibt zusätzlich Anlass, da etwas genauer zu schauen und aus wissenschaftlicher Sicht vielleicht etwas begleitend helfen zu können.
Was sind die Ursachen dafür, dass Menschen sich dem Rechtsextremismus zuwenden?
Die Ursachen sind komplex. Was wir wissen ist, dass die subjektive wirtschaftliche Lage nicht allein entscheidend ist. Es spielen kulturelle Dinge eine große Rolle. Gerade in Lehrlingsmilieus in bestimmten Berufen gibt es sehr viel mehr Rechtsextremismus, der propagiert wird unter diesen jungen Leuten als etwa in Arbeitslosenmilieus. Insofern gibt es nicht eine Korrelation die lautet: Dort, wo die sozioökonomische Krise am stärksten ist, ist der Rechtsextremismus am höchsten. Kulturelle Faktoren spielen wie gesagt eine große Rolle, und die hängen mit verschiedenen Dingen zusammen. Zum einen, dass hier in diesem gesamten Bundesland mit dem Thema Ausländer noch keine Auseinandersetzung stattgefunden hat, es vielleicht auch nicht diese alltäglichen Erfahrungen gibt, die anderswo zu einer Normalisierung geführt haben. Dazu gibt es offensichtlich noch gewisse ethnische Vorurteile, die stärker sind als in anderen Teilen der Bundesrepublik, auch das spielt sicher eine Rolle. Ich würde es zuspitzen daraufhin, dass der Rechtsextremismus, den wir hier haben, sich aus zwei Quellen speist: Das eine ist Fremdenfeindlichkeit, und das zweite sind Sicherheits- und Ordnungsorientierungen. Diese beiden Dinge müssen nicht automatisch immer sofort bedeuten, dass jemand rechtsextremistisch sein muss. Aber das sind stark latent vorhandene kulturelle Orientierungen, und die sind mobilisierbar vom Rechtsextremismus.
Haben wir in MV denn einen Nachholbedarf im Umgang mit Ausländern?
Ich glaube, wir brauchen ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass das Konzept Bundesrepublik Deutschland nicht ethnisch definiert ist. Es geht also nicht darum, den Umgang zu üben, freundlicher, netter zu sein, sondern darum, klipp und klar in den Köpfen zu verankern, dass es keine ethnisch-völkische Definition dessen gibt, und auch laut Grundgesetz nicht gibt, wer deutsch ist.
Macht es Sie betroffen, wenn Sie inzwischen auch namentlich und mit Bild auf rechten Internetseiten auftauchen, wo gegen Rechtsextremismusforscher gehetzt wird?
Das geht nicht völlig an mir vorbei, aber ich fühle mich nicht aktuell gefährdet.
Zum Schluss: Haben Sie einen Rat an Studenten, was man als einzelner tun kann, um Rechtsextremismus zu begegnen und vorzubeugen?
Bei uns an der Universität gibt es Rechtsextremismus, soweit wir ihn als Strukturen wahrnehmen können, nur in Teilen dieser beiden Burschenschaften. Insofern die Bitte an Studierende, dass sie, wenn sie Studierende aus Burschenschaften kennen, diese zunächst einmal fragen, aus welcher Burschenschaft sie kommen, ob es vielleicht die Markomannia oder die Rugia mit den NPD-Verbindungen ist. Sollte sich herausstellen, dass es eine der beiden ist, gilt es, die Betreffenden klar zu informieren, wie stark diese beiden Burschenschaften mit der NPD vernetzt sind. Das kann man ja im Netz alles runterladen. Dann sollte man als aufrechter, wehrhafter Demokrat fragen, ob sie tatsächlich weiterhin in dieser Burschenschaft agieren wollen, oder ob sie sich nicht distanzieren wollen. Denn zur demokratischen Toleranz gehört ja nicht, dass man toleriert, wenn jemand menschenverachtende Positionen vertritt, sondern zur demokratischen Toleranz gehört, dass man die Grundwerte von Toleranz vertritt.
Geschrieben von Katja Staack