Dubiose Machenschaften in Mecklenburg-Vorpommern
Das Wohnungsangebot klingt irgendwie komisch. Von einem 20 Quadratmeter großen Zimmer für 150 Euro warm schwärmt der Eintrag auf der Homepage des AStA. Stutzig machen nur Ausstattungsmerkmale wie zwei abgetrennte Duschen, ein Urinal, Party- und Sportraum. Adresse: Eine alte Villa in der Robert-Blum-Straße. Intensiv versucht die Burschenschaft Rugia mit solchen vermeintlich attraktiven Angeboten besonders noch unbedarfte Erstsemesterstudenten anzuziehen.
Aktive NPD – Kader
Das ist vor allem bedenklich, weil neben der Markomannia vor allem der Rugia seit geraumer Zeit enge Kontakte ins rechtsextreme Milieu Vorpommerns nachgesagt werden. Als konservativ, chauvinistisch und nationalistisch gelten sie ohnehin. „Die sind rechts“, sagt Bernd Biedermann offen und gerade heraus. Er ist Mitglied des Greifswalder Bürger-forums „Freitags-runde“, das sich in der Stadt seit Jahren mit dem Problem Rechtsextremismus auseinandersetzt. Namen? „Rochow“, sagt Biedermann. Damit sind gleich zwei hochkarätige NPD-Kader gemeint. Stefan und Mathias Rochow gehören als ehemalige Studenten in den Dunstkreis der „Alten Herren“ der Rugia. Stefan Rochow stieg in der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) bis zum Bundesvorsitzenden auf und ist heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag und im NPD-Parteivorstand tätig. Bereits 2001 zog er von Greifswald nach Gießen und war auch dort bei der Dresdensia-Rugia aktiv. Nach ihm war sein jüngerer Bruder Mathias der Rugia besonders verbunden, der inzwischen zum Bundesgeschäftsführer der JN berufen wurde. Auf ihn ist auch der Internetauftritt der Rugia registriert. Dort lässt sich neben dem Sinn und Zweck der Mensur auch einiges über das Eintreten für ein „freies und ungeteiltes deutsches Vaterland“ nachlesen. Mathias Rochow ließ unlängst selbst verlauten, dass er seine Verbindung zur NPD, wie auch die seines Bruders Stefan und „anderer“ Burschenschaften für „nicht so problematisch“ halte. Dies sei eine „private politische Meinung, die nicht in die Burschenschaft getragen wird“.
Kräfte gebündelt
Aktuell werden die Kontakte zur rechten Szene „weitgehend über Lutz Giesen koordiniert“, hat Günther Hoffmann von der Initiative „Bunt statt braun e.V.“ festgestellt. Giesen sei, so Hoffmann, in Greifswald vor allem über die „Heimattreue deutsche Jugend“ sozialisiert und wohnt zudem in der Hansestadt. Der vorbestrafte, zugezogene Neonazi gilt als Kopf der gesamten Kameradschaftsszene in Vorpommern. Im Dezember 2005 trat er, auch um die rechtsextremen Kräfte zu bündeln, selbst in die NPD ein, ist aber schon sehr viel länger als Redner auf Parteikundgebungen gern gesehener Gast – egal, ob er im Namen der NPD Wahlkampf machen oder gegen Hartz IV wettern soll. Seine „Heimattreue deutsche Jugend“ lockt, ähnlich wie der „Heimatbund Pommern“, für den Giesen sich gleichfalls engagiert, besonders junge Menschen mit augenscheinlich unverfänglichen Kultur- und Sportangeboten an. Während gemeinsamer Zeltlager oder beim Volkstanz wird bei den Jugendlichen dann ein bisschen am Geschichtswissen geschraubt.
Trotzdem teilt das Schweriner Innenministerium auf Anfrage nur kurz und knapp mit: „Burschenschaften sind kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes in MV.“ Zu revisionistisch anmutenden Geschichtsstunden laden sie dennoch ganz gerne rechte Ideologen ein. Die Rugia scheiterte im November 2005 daran, Generalmajor a.D. Gerd Schulze-Rhonhof gleich direkt und öffentlich im Audimax vortragen zu lassen. „Der Krieg, der viele Väter hatte“, hätte sein Thema lauten sollen. In seinem jüngsten Buch bestreitet der Hobby-Historiker die alleinige deutsche Kriegsschuld. Aber die Uni legte sich nach einigem Hin und Her damals gerade noch rechtszeitig quer und verriegelte das gesamte Gebäude. Eine generelle Gefahr für kleine Universitätsstädte von der Größe Greifswalds sieht Politikwissenschafter Prof. Hubertus Buchstein. „Es ist beunruhigend, wenn es Burschenschaften mit rechtsextremen Zielsetzungen gelingt, Studenten zu akquirieren und damit den demokratischen Grundkonsens am Rand zu bedrohen“, sagt er. Zwar traut Buchstein den Burschenschaftlern keine große Strategiekompetenz zu, erkennt aber, dass es ihnen gelingt, „über so triviale Dinge wie den Wohnungsmarkt, in Greifswald Fuß zu fassen und nicht in Großstädten unterzugehen“. In Rostock gibt es bisher keine Burschenschaft, der ähnliche Kontakte ins rechtsextreme Lager vorgeworfen werden.
Vital und etabliert
In der öffentlichen Wahrnehmung rechtsextremer Aktivitäten steht in Mecklenburg-Vorpommern zumeist allein die NPD im Fokus des Interesses. Besonders vor den Landtagswahlen verstärkt sich der pointierte Blick allein auf die Partei, was kaum verwunderlich ist, da der „Kampf ums Parlament“, wie es in der so genannten Drei-Säulen-Strategie der Partei heißt, ausschließlich Sache der NPD sein kann. Zudem dürfte die Berichterstattung nach dem Wahlerfolg der NPD in Sachsen und die Angst vor einem ähnlichen Szenario in Mecklenburg-Vorpommern gehörigen Anteil daran haben. Nicht zuletzt wird seit jeher, wenn rechtsextreme Aktivitäten und Strukturen beschrieben werden, zuerst die NPD genannt. Jegliche Modernisierungsprozesse, die seit den Verboten einiger rechtsextremer Gruppierungen während der 90er-Jahre stattgefunden haben, bleiben dabei jedoch völlig unterbelichtet. Zu Unrecht. Besonders in Mecklenburg-Vorpommern hat sich in jüngster Vergangenheit eine vitale, relativ verbotsresistente rechtsextreme Struktur etabliert. Statt althergebrachter Parteilaufbahnen, die für junge Leute ohnehin wenig reizvoll sind, organisiert sich das Gros der rechten Szene in freien Kameradschaften, Bündnissen und Kulturkreisen. Etwa 25 namentlich bekannte Gruppierungen dieser Art lassen sich derzeit im Land ausmachen. Die ersten Rechtsextremen, die sich als Kameradschaft organisierten, waren 1991 die „Greifswalder Nationalsozialisten“ (GNS) unter der Führung von Maik Spiegelmacher. Allerdings löste sich die Gruppe schon nach kurzer Zeit wieder auf, als Spiegelmacher sich für einen Brandanschlag verantworten musste. Auch wenn die freien Kameradschaften vorgeben, als unabhängige und freie Organisationen ausschließlich in ihrem regionalen Wirkungskreis zu agieren, sind sie in eine feste Struktur aus Bündnissen und Aktionsbüros eingebunden, die besonders für die Steuerung von überregionalen Aktionen notwendig ist.
Bundesweit
In Mecklenburg-Vorpommern lassen sich im Wesentlichen drei Ebenen erkennen, über die die Arbeit der Kameradschaftsszene gelenkt wird. Ganz oben stehen die so genannten „Aktionsbüros“ oder „Aktionsbündnisse“. Vier gibt es davon bundesweit. Mecklenburg-Vorpommern steht sowohl unter dem Einfluss des „Nationalen und Sozialen Aktionsbüros Norddeutschland“ (NSAN) und des „Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Mitteldeutschland“ (NSAM). Während das NSAN besonders durch den Zuzug des Hamburger Rechtsextremisten Thomas Wulff nach Amholz im westlichen Teil des Bundeslandes an Relevanz gewann, steht Vorpommern stärker unter dem Einfluss des NSAM. Kontakte der dort ansässigen Kameradschaften nach Berlin und Brandenburg sowie während Demonstrationen mitgeführte Transparente und öffentlich ausgehängte Plakate deuten klar darauf hin. Unterhalb dieser Struktur kümmern sich zwei Bündnisse um die Vernetzung der Kameradschaften im Bundesland selbst. Neben der „Mecklenburgischen Aktionsfront“ (MAF) entfaltet in Vorpommern das „Soziale und Nationale Bündnis Pommern“ (SNBP) seine Aktivitäten.
„Nicht mehr zweckmäßig“
Bis zum 7. Januar 2005 nannte sich dieser regionale Dachverband mehrerer Kameradschaften „Pommersche Aktionsfront“. Auf der dazugehörigen Internetseite wurde dann kurz mitgeteilt: „Mit sofortiger Wirkung löst sich die PAF – Pommersche Aktionsfront auf. Die Gründe dafür liegen darin, dass die Agitationsform einer Aktionsfront nicht mehr zweckmäßig ist.“ Zweckmäßig erschien es den Verantwortlichen stattdessen, sich zunehmend an der Wolf-im-Schafspelz-Taktik zu orientieren, weshalb der etwas zu radikal anmutende Begriff „Aktionsfront“ durch die zeitgemäßeren Schlagworte „sozial“ und „national“ ersetzt wurde. Der Wechsel ging innerhalb weniger Wochen vonstatten. Bereits am 18. Februar vermeldete das rechtsextreme „Stoertebeker-Netz“ die Gründung des SNBP, das sich selbst als einen unabhängigen Personenzusammenschluss, der allen, „die sich zu Volk und Kultur bekennen“, als Informations- und Nachrichtenportal dienen solle, bezeichnet. Zudem strebt das SNBP eine verstärkte Zusammenarbeit mit der NPD an. Nicht nur, dass zwei Kandidaten auf der NPD-Landesliste für die Landtagswahlen, nämlich Tino Müller und Michael Gielnik (erst im Dezember 2005 traten beide in die NPD ein), führende Köpfe beim SNBP sind. Auch hat das Bündnis im gleichen Jahr alle Demonstrationen in Vorpommern zusammen mit der Partei organisiert. Zusätzlich ist die Zusammenarbeit zwischen SNBP und MAF 2005 intensiviert worden, wie einige gemeinsam unterzeichnete Demonstrationsaufrufe zeigen. Eingebunden in dieses fixe Organisationssystem agieren die freien Kameradschaften in Mecklenburg-Vorpommern erst unterhalb der Struktur aus „Aktionsbüros“, SNBP sowie MAF. In dieser Hinsicht kann Mecklenburg-Vorpommern als Modell-region gelten, wo Rechtsextremismus, zumindest in einigen Regionen, als soziale Bewegung mit vielfältigen Aktions- du Organisationsformen wahrnehmbar ist. Dagegen verfügt der NPD-Landesverband nur über zirka 200 Mitglieder. Die Partei kann hierzulande also längst nicht den Führungsanspruch innerhalb des rechten Lagers für sich reklamieren. Auch in der Kommunalpolitik ist sie bisher nicht so fest wie beispielsweise in Sachsen verankert. Noch im Jahr 2004 verfügte die Partei gar nur 100 Mitglieder und hat den sprunghaften Anstieg der Mitgliedschaften allein der Aussicht auf den möglichen Sprung in den Landtag zu verdanken, woran auch die Kameradschaftskader partizipieren wollen und deshalb Ende 2005 weniger aus politischer Überzeugung als persönlichem Kalkül massenhaft in die Partei eintraten.
Geschrieben von Benjamin Fischer