Mathias Brodkorb und Thomas Schattschneider im Gespräch über Reformzwänge an den Unis, Studiengebühren und Regionalentwicklung
Mathias Brodkorb (28) ist hochschulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Von 1997 bis 2005 studierte er mit Unterbrechungen Philosophie und Altgriechisch an der Universität Rostock. Am 9. Dezember 2005 traf er in der moritz-Redaktion mit dem Greifswalder AStA-Vorsitzenden Thomas Schattschneider (23) zusammen, um mit ihm ein Streitgespräch über die geplanten Reformen im Hochschulbereich zu führen. Sie einigten sich auf das studentische „Du“.
moritz: Mathias, du hast vor kurzem gesagt, die angestrebten Reformen im Bildungsbereich seien eine strategisch richtige Entscheidung im Sinne der Hochschulen. Wie meinst du das?
Mathias Brodkorb: Ich glaube, dass man auch die Hochschulen an der Entwicklung der Landesfinanzen beteiligen muss. Deshalb ist es wichtig und richtig, die Weichen einmal konsequent zu stellen und den Hochschulen dann die Möglichkeit zu geben, sich in Ruhe zu entwickeln.
Thomas Schattschneider: Im Kern kann ich zustimmen. Wir können nicht jedes Jahr wieder in den Kürzungsstrudel geraten. Insofern ist eine verbindliche Entscheidung sinnvoll. Entscheidend ist nur, wer für neue Strukturen sorgt: Die Hochschulen oder der Landtag mit einer Änderung des Landshochschulgesetzes.
Brodkorb: Bei der Frage muss man aber auch mal zurückdenken, wie der Prozess verlaufen ist. Vor einem Jahr haben die Universitäten den Versuch gemacht, sich zu einigen. Erst als dies gescheitert ist, hat der Bildungsminister versucht, eine Einigung herbeizuführen – ebenfalls erfolglos. Erst dann kam die LHG-Änderung ins Spiel. Irgendwie muss es schließlich ein Ergebnis geben. Viel entscheidender ist jedoch die Frage, ob man eine Koordinierung unter den Hochschulen im Land für nötig hält oder nicht.
Schattschneider: Die Frage ist, ob es eine Regelung per Gesetz geben muss oder ob sich dies nicht auch mit Zielvereinbarungen umsetzen lässt. Rechtlich ist dies ohne weiteres möglich.
Brodkorb: Ich hätte es besser gefunden, wenn die Hochschulen im Frühjahr einen Kompromiss gefunden hätten. Jeder vernünftige Mensch muss für eine Hochschulautonomie sein, die den Beteiligten die Regelung wissenschaftsinterner Angelegenheiten überlässt. Kein Mensch kann alles überblicken, doch solange Hochschulen öffentlich finanziert werden, hat das Land auch die Pflicht, in gewissem Umfang Einfluss zu nehmen.
Schattschneider: Vielleicht sollten wir mal über die Praktikabilität von gemeinsamen Fachbereichen sprechen, wie sie der Vorschlag zur Änderung des Landeshochschulgesetzes vorsieht. Dies hätte in Mecklenburg-Vorpommern zur Folge, dass Studenten zwischen Rostock und Greifswald pendeln.
Brodkorb: Es kommt natürlich vor, dass Dozenten aus Rostock in Greifswald unterrichten oder umgekehrt. Hierin sehe ich auch wichtige Kooperationspotenziale, wie sie von den Theologen schon lange ausgeschöpft werden. Für Studenten kann ich mir das aber nicht sinnvoll vorstellen. Und man kann sicher auch bezweifeln, dass sich solche Fachbereiche von oben verordnen lassen.
moritz: Ende November hat die Landesregierung eine Erklärung herausgegeben, in der sie sagt, der Umstrukturierungsprozess im Hochschulbereich sei ein Erfordernis der Haushaltskonsolidierung. Darf bei der Bildung gespart werden?
Brodkorb: Wenn 50 Schüler von zwei Lehrern betreut werden und eine Lehrerstelle gestrichen wird, dann ist das inakzeptabel. Wenn sich aber die Zahl der Schüler halbiert, können auch die Lehrerstellen halbiert werden, ohne dass sich die Bildungssituation verschlechtert. Ein echter Abbau an Bildungsleistung findet dann gar nicht statt, sondern es handelt sich um eine Strukturanpassung. Zwar ist dieser Zusammenhang bei Hochschulen durch die Mobilität der Studierenden sehr viel komplizierter, aber auch hier gilt letztlich: Entscheidend ist, wie viel Geld pro Student ausgegeben wird oder wie viel Studenten auf einen Hochschullehrer kommen.
moritz: Aber zurzeit steigt die Zahl der Studierenden, was ja auch ein erklärtes Ziel der Bundesregierung ist.
Brodkorb: Da hat die Bundesregierung auch Recht. In Westdeutschland wird die Anzahl der jungen Menschen im studierfähigen Alter bis 2020 steigen, bei uns wird sie sich jedoch halbieren. Wir können nicht auf Dauer als finanzschwaches Land für die anderen Bundesländer das Studium ihrer Abiturienten bezahlen. Wir haben eine Halbierung der Zahl potenzieller Studierender, reduzieren die Finanzierung aber „nur“ um 18 Prozent.
moritz: Wäre es für das Land denn nicht attraktiv, Studenten aus anderen Bundesländern anzuziehen?
Brodkorb: Ja, aber langfristig nur dann, wenn wir kostendeckende Studiengebühren von 10.000 Euro pro Jahr hätten. Das will ich nicht.
Schattschneider: Ich denke, dass es doch attraktiv wäre. Sicher hängt es von den angebotenen Studiengängen ab, doch sollten über den Länderfinanzausgleich und die Steuervolumina der Hinzugezogenen sowie den erzeugten Umsatz so viele Mittel in des Land fließen, dass es volkswirtschaftlich durchaus lukrativ sein kann – und dies auch ohne Studiengebühren!
Brodkorb: Erstens gleicht der Länder-finanzausgleich leider nur etwa 2.300 Euro der Kosten aus. Zweitens frage ich mich, ob diese Ökonomisierungsdebatte bei Wissenschaft wirklich angemessen ist – gerade wenn sie von Studieren-denvertretern geführt wird.
Schattschneider: Das tue ich gar nicht! Viele Städte arbeiten so, dass sie junge Menschen an ihre Universität holen und das mitgebrachte Geld in die Region fließt.
Brodkorb: Dagegen habe ich auch nichts. Aber wenn man das konsequent ge-stalten wollte, müsste man alle teuren Studiengänge wie Medizin oder Naturwissenschaften abschaffen und nur noch Betriebswirte und Juristen ausbilden. Das kann doch keine ernsthafte Option sein! Wir müssen eine auch inhaltlich ausgeglichene Entwicklung erreichen. Das muss die Hochschulpolitik leisten.
Schattschneider: Die übergreifende Frage lautet: Sind Hochschulen nicht entscheidende Standortfaktoren?
Brodkorb: Natürlich. Greifswald ohne Uni kann sich niemand vorstellen. Doch kann ich die Struktur einer Hochschule nicht allein davon abhängig machen. Was die Geisteswissenschaften angeht, finde ich die Position von Rektor Westermann hoch plausibel. In kaum einem Bereich geht die Anzahl der Studenten und die der Absolventen so sehr auseinander. Dabei geht es keinesfalls immer nur um Geld. Bei den Geisteswissenschaften war die Auslastung in Greifswald 2002 nur halb so groß wie in Rostock. Bei keiner anderen „Doppelung“ gibt es diese extremen Unterschiede.
Schattschneider: Es geht aktuell aber nicht um eine Qualitätsverbesserungsoffensive des Landes, sondern um die Exekution von Kürzungen. Es ist für mich bedenklich, die Absolventenquote durch Streichungen verbessern zu wollen. Weder breite Vernetzung in Forschung noch Kombinationsfähigkeit in Lehre werden die Folge sein. Ist es also logisch für Greifswald bei den Geisteswissenschaften nur noch auf Baltistik und Slawistik zu setzen?
Brodkorb: Eine politisch und ökonomisch globalisierte Welt braucht kulturelle Vermittlung. Das wird häufig unterschätzt. Wenn die Geisteswissenschaften ihre Effizienz steigern, können sie ihre Bedeutung gerade in Zeiten der Globalisierung auch stärken.
Schattschneider: Eine solche Einstellung ist ein kulturelles Armutszeugnis für unser Land!
Brodkorb: Ich denke, unser Hauptproblem ist derzeit nicht die mangelnde spirituelle Fitness. Unsere Probleme liegen vor allem in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Germanisten und Philosophen allein können Mecklenburg-Vorpommern nicht voranbringen.
Geschrieben von Kai Doering