Beim Münchner Filmfest gibt es keine Berührungsängste zum Publikum
und hervorragendes Kino

Über 200 Filme aus 32 Ländern, 15 Leinwände, 60.000 Besucher, mehr als 1.600 akkreditierte Fachbesucher und Medienvertreter. Acht Tage voller interessanter Filme, Begegnungen und Gespräche, das sind die Zahlen des diesjährigen 23. Münchner Filmfests. Längst hat das nach Berlin zweitgrößte Filmfestival Deutschlands, das 2005 vom 25. Juni bis zweiten Juli stattfand, seinen Platz im Terminkalender der internationalen Filmbranche gefunden.

Dabei setzt man in München weniger auf Starkult und Glamour sondern vielmehr auf den direkten Kontakt von Filmschaffenden und Publikum. „Unser Etat ist zu klein, um Stars mit Privatjets aus Hollywood einfliegen zu lassen. Ich finde es nicht in Ordnung, dafür Steuermittel auszugeben. Wir würden einen Film davon abgesehen nicht spielen, nur weil jemand mitspielt, den wir gerne hier hätten. Bei uns steht nun mal die Qualität der Filme im Vordergrund.“ so Andreas Ströhl, Leiter des Filmfests im Interview mit dem Branchenblatt Blickpunkt:Film. Gäste und Besucher erwartet somit kein inszeniertes Fotoshooting, inklusive Groupies und Bodyguards sondern ein Festival in entspannter, ja fast familiärer Atmosphäre. Auch im sommerlichen München gibt es einen roten Teppich und Persönlichkeiten, aber ohne Absperrungen und Berührungsängste.
Besucht man ein Filmfestival, so stellt sich jedes mal aufs neue die Frage: Welche Filme will man sich anschauen und wie bringt man das räumlich und zeitlich am besten unter einen Hut? Die Antwort darauf fällt bei rund 200 Filmen, die in bis zu 15 parallel laufenden Vorstellungen gezeigt werden und den vielen interessanten Veranstaltungen, Diskussionsrunden und Film-Partys nicht leicht.

„Hier habe ich mich viel mehr zuhause gefühlt als auf anderen
glamourösen Festivals. München bietet reines Kino für
ein echtes Publikum.“ Claude Sautet, Regisseur

Mit Filmfestmagazin und Katalog in der einen Hand sowie Terminkalender und Stift in der anderen sitzt man den ersten Abend da und stellt sein persönliches Festivalprogramm zusammen. Vorläufig, denn jedes Jahr muss man feststellen dass für das ein oder andere Festivalhighlight binnen kürzester Zeit alle Karten vergriffen sind. Mir ging es dieses mal bei „Die Höhle des gelben Hundes“ von Byambasuren Davaa so. Auch in ihrem neuen Film kehrt die Münchner HFF-Studentin, deren letzter Film „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ sogar eine Oscar Nominierung erhielt, in ihre alte Heimat die Mongolei zurück und erzählt vom Leben der Nomaden.
Weitere Beiträge der Reihe „Neue deutsche Kinofilme“ waren unter anderem „Oktoberfest“ und „Molly‘s Way“ sowie „Falsche Bekenner“ und „Schläfer“ , die beide bereits auf dem Festival von Cannes gezeigt wurden.
Im „Internationalen Programm“ konnte man sich bereits in München von der „Reise der Pinguine“, dem zur Zeit quer durch Europa rezensierten Werk des Filmemachers Luc Jacquet, überzeugen, das zusätzlich auch in der Sparte für Kinder- und Jugendfilme lief.
Gleich drei Meister ihres Fachs treffen im Episodenfilm „Eros“ aufeinander.
Regielegende Michelangelo Antonioni, der chinesische Regisseur Wong Kar Wai und der Filmemacher Steven Soderbergh steuern je eine Geschichte zu Liebe und Sexualität bei. Die wohl originellste Umsetzung des Themas ist Soderbergh gelungen: Ein Mann beim Psychiater erzählt im Halbschlaf von den erotischen Träumen die er immer wieder von der selben Frau hat. Der Doktor hört zu, stellt Fragen. Bald sitzt er dabei jedoch nicht mehr im Sessel, sondern steht irgendwann am Fenster, um bewaffnet mit Fernglas und Papierflieger die Aufmerksamkeit einer Frau auf der anderen Straßenseite zu erregen und sich mit ihr zu verabreden.
Ein echter Geheimtipp und mein persönlicher Favorit des Festivals war der hoch politische Film „4“ des russischen Regisseurs Ilya Khryzhanovsky. (Eine Rezension folgt im nächsten moritz.)
In „Last Days“ beschreibt Gus Van Sant die letzten Tage eines Rockmusikers, der sich nach nichts als Ruhe sehnt, sich immer mehr von seiner Umgebung abschottet und sich lieber in die Natur zurückzieht. Mit meditativen Bildern und einem genau passenden Musik- und Klangkonzept hat Van Sant einen tollen Film geschaffen, den er Kurt Cobain widmete.
„Last Days“ hätte auch gut in die Reihe „American Independents“ gepasst, wegen der das Münchner Filmfest bei den aufstrebenden und unabhängigen US-Filmemachern schon lange als „home away from home“ gilt.

„Das Filmfest München ist keines der üblichen Festivals.
Es ähnelt mehr einer tollen großen Party, auf der man viele
neue Freunde kennen lernen kann.“ Samuel Fuller, Filmemacher

Eine weitere traditionsreiche Reihe des Festivals ist das „Nouveau Cinema Francais“. Für den Film „Zim & CO“ von Pierre Jolivet waren leider keine Karten mehr zu bekommen, er muß aber sehr gut gewesen sein. Antony Cordiers „Douches Froides“, ein Jugenddrama um eine Dreiecksbeziehung und die Schattenseiten des Leistungssports dagegen enttäuschte maßlos. Das Drehbuch hatte zu viele Längen und wo ein gutes Bild den Zuschauer noch an den Film hätte fesseln können fanden sich nur Standardeinstellungen.
In der Reihe „Visiones Latinoamericanas“ wurde „Nordeste“ von Juan Solanas gezeigt. Die Französin Helene reist nach Argentinien um ein Kind zu Adoptieren. Im Nord-Osten des Landes wird sie inmitten einer grandiosen Landschaft mit Armut und Not der Bevölkerung konfrontiert. Ein kontrastreicher Film voller schöner Bilder und Gegensätze der zum Nachdenken anregt.
Genauso wie im Lateinamerikanischen kann man derzeit auch im Italienischen Kino eine starke neorealistische Tendenz spüren. Erstmals gibt es auf dem Filmfest unter dem Namen „Vento D‘Italia“ eine eigene Reihe für italienische Produktionen, eigentlich längst überfällig für München als „nördlichste Stadt Italiens“. Die Brüder Andrea & Antonio Frazzi zeichnen in ihrem Film „Certi Bambini“ den Werdegang eines neapolitanischen Jungen zum Mafia-Killer nach. Die Anfangs-Szene zeigt Rosario noch beim unbeschwerten Räuber und Gendarm Spiel mit seiner Clique. In der Schluß-Sequenz versucht sich Rosario nach seinem ersten Auftragsmord im Ballspiel mit Fremden zu verbergen.
Mein zweiter Favorit des Festivals ist „Tartarughe Sul Dorso“ von Stefano Pasetto. Der Film ist eine Liebesgeschichte die in Triest spielt. Die Lebenswege eines Mannes und einer Frau, beide um die 30 Jahre, haben sich Zeit ihres Lebens gekreuzt und sind manchmal parallel gegangen. In Rückblenden versuchen nun beide ihre gemeinsame Vergangenheit zu rekonstruieren. Mit atmosphärisch dichten, malerischen Bildern schafft es der Film, die melancholische Stimmung der norditalienischen Hafenstadt allgegenwärtig werden zu lassen und den Zuschauer direkt zu den Protagonisten mitzunehmen. Man muss Triest nicht kennen um von „Tartarughe Sul Dorso“ in den Bann gezogen zu werden. Kennt man die Stadt jedoch auch persönlich, so lässt einen der Film nicht mehr los.
Mit „La Febbre“ ist Alessandro D‘Alatri ein wirklich erfrischender Film über die Mühlen der italienischen Bürokratie und die Kraft von Visionen gelungen. Anstatt wie geplant mit Freunden eine Diskothek zu eröffnen, findet sich der 30 jährige Mario plötzlich unverhofft als Beamter in der Stadtverwaltung wieder. Als er dann auch noch ein Mädchen kennen lernt muss er sich entscheiden wie seine Zukunft aussehen soll.
Ein besonderer Schwerpunkt des diesjährigen Filmfests war dem Filmland Japan gewidmet. Neben der Werkschau des inzwischen verstorbenen Altmeisters Keisuke Kinoshita (1912-1998), wurden auch Werke des neueren Regisseurs Kiyoshi Kurosawa gezeigt. Wie etwa „Kairo“, in dem Kurosawa 2001 die zunehmende Vereinsamung des Menschen in einer durch virtuelle Kommunikation geprägten Welt thematisiert.

Filmfest Munich is unique in that it continually breaks down
the formal barriers between filmmaker and audience.“
Tom DiCillo, Filmemacher

Darüber hinaus wurde ein weiter Überblick über das gegenwärtige japanische Kino gegeben. Dieser reichte von der Klassischen Samurai- Geschichte in Yoji Yamadas „The hidden blade“, über Takashi Miikes „IZO“, einer gesellschaftskritischen Collage, die von einem sich durch die Jahrhunderte mordenden Dämon handelt, bis hin zu „A stranger of mine“, mit dem dem jungen Filmemacher Kenji Uchida eine gekonnte Kombination von Episodenfilm, Komödie und Gangsterfilm gelang und der aufgrund seines Könnens bereits mit Quentin Tarantino verglichen wird.
Zu einem echten Filmfestival gehören natürlich auch Preise. Mario Adorf wurde für seine Verdienste um den Film mit dem Cine Merit Award ausgezeichnet.Zusätzlich wurde ihm zu Ehren eine Auswahl seiner Kinofilme gezeigt. Darüber hinaus wurden unter anderem der mit 60.000 Euro dotierte Förderpreis Deutscher Film und der mit 25.000 Euro dotierte VFF TV MOVIE AWARD für die besten Fernsehfilme vergeben.(siehe Kasten) Den mit 10.000 Euro dotierten „Bernhard Wicki Filmpreis – Die Brücke – Der Friedenspreis des Deutschen Films“ erhielt Marc Rothemunds Film „Sophie Scholl – die letzten Tage“.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch das 23. Münchner Filmfest wieder viele interessante und tolle Filme zu bieten hatte. Hoffentlich werden viele von ihnen auch den Weg in das heimische Kinoprogramm finden. Das Filmfest, das traditionell im Juni oder Juli stattfindet, ist jedenfalls immer eine Reise nach München wert.
Einziger Wermutstropfen für Studenten: Es liegt zeitlich genau vor den Prüfungen. Apropos Studenten, vom 19. bis 26 November findet in München das 25. Internationale Festival der Filmhochschulen statt.

Preise unter anderem

VFF TV MOVIE AWARD: Carl Bergengruen und Martin Bach für „In Sachen Kaminski“

Lobende Erwähnung: „Re-Inventing the Taliban“ von Sharmeen Obaid (Pakistan/USA)

Bayern-3-Publikumspreis: „Die Höhle des gelben Hundes“ von Byambasuren Davaa

FFA Short Tiger Awards: „Chaim“ von Jonathan Greenfield, „Christina ohne Kaufmann“ von Sonja Heiss

Shocking Shorts Award: „Marco und der Wolf“ von Kilian von Keyserlingk

Förderpreis Deutscher Film

Regie: Byambasuren Davaa für „Die Höhle des gelben Hundes“
Drehbuch: Esther Bernstorff und Emily Atef für „Molly‘s Way“
Schauspielerin: Maria Kwiaktkowsky für „Liebe Amelie“
Schauspieler: Constantin von Jascheroff für „Falscher Bekenner“

Geschrieben von Maximilian Fleischmann