Ob Zweifeln eine Tugend ist, kann man getrost bezweifeln. Zwar gäbe es ohne das Bezweifeln etablierter Meinung wohl kaum so etwas wie Fortschritt, denn alle würden das Gewohnte akzeptieren. Doch wenn er sich erst einmal eingenistet hat, wird der Zweifel zum Gift und alles gerät in Verdacht. Als solch destruktive Macht ist der Zweifel eher übel beleumundet.

Dem Greifswalder Philosophen Andreas Urs Sommer geht es in seinem neuen Buch um die Kunst des Zweifelns in all ihrer übel beleumundeten Radikalität. In 33 handlichen Lektionen spielt er ihre Anwendung in Alltagszusammenhängen durch. Beispielsweise die Manie des Reisens. Erweitere ich meinen Horizont, wenn ich die Begegnung mit Fremdem suche, oder fliehe ich nur vor dem Eigenen? Beraubt einen das Reisen seiner Identität, oder ist es eher so, dass wir Fremdes ohnehin stets nur so sehen, wie wir es sehen wollen? Ist der Weltbürger ein Heimatloser, und fehlt ihm damit tatsächlich etwas Essenzielles?
Aus allen Richtungen befragt Sommer seine Themen und lässt zugleich vermuten, dass man getrost noch mehr und weiter fragen könnte. Am Ende jeder Lektion steht eine kleine Übung, die dem eigenen Nachdenken auf die Sprünge helfen soll. So regt er etwa zum Thema Geld an, eine Banknote über einer Kerzenflamme zu verbrennen und dabei in sich hinein zu horchen. Welche Macht hat Geld über einen selbst, und welche hat es nicht?
In seinen Fallstudien skeptischen Denkens führt Sommer Philosophie in die Alltagswelt ein und zeigt, wie sie im eigenen Leben bereichernd wirken kann. Er will philosophisches Denken als Verunsicherungsunternehmen unter die Leute bringen. Nicht zuletzt, wie er meint, tue dies der Demokratie gut und fördere so statt der Amerikanisierung der Welt deren Verschweizerung. Ganz ohne Zweifel liegt darin letztlich das geheime Ziel des gebürtigen Schweizers Sommer.

Das Buch „Die Kunst des Zweifelns“ von Andreas Urs Sommer ist in der Beckschen Reihe als Taschenbuch erschienen und kostet 9,90 Euro.

Geschrieben von Mirko Gründer