Impressionen einer Reise zwischen Vergangenheit und Zukunft
Die staubige Straße windet sich durch das karge, steinübersäte Bergland. Ein alter Bauer mit verblichener Weste und Strickmütze versucht mit einem dünnen Ast die Herde der schwarzen Ziegen zusammenzuhalten, die sich über den spärlichen Bewuchs hermacht. Der klimatisierte Reisebus bahnt sich unaufhaltsam seinen Weg. Am Abend wird er auch die engen Gassen mit extremer Hanglage meistern, um seine Passagiere wohlbehütet im Vier-Sterne-Club-Hotel mit geräumigen Appartements, Pool und einem Buffet von höchster kulinarischer Detailfreude ankommen zu lassen .
Was sich hier nach einem entspannten Pauschalurlaub anhört, war nur eine Seite der Medaille mit dem Titel „Auf den Spuren des Apostels Paulus in Kleinasien“. Die andere Seite wurde einem bewusst, wenn man im Morgengrauen von einem intensiven „Allah u akba“ aus den Lautsprechern am nicht weit entfernten Minarett geweckt wurde. Dann galt es die Sachen zu packen und das Frühstücksbuffet so gut wie möglich auszunutzen, denn um 8.00 Uhr Ortszeit ging es täglich los und dann sollten Wasser und Kekse (gelegentlich auch mal ein Eis aus einer Tankstellenkühltruhe) die einzige Nahrung bis zum nächsten Abend sein.
Das Tagesprogramm war von der Erkundung antiker Stätten bestimmt, die es oft in unwegsamen Gelände zwischen allerlei Gestrüpp zu rekonstruieren galt. Wer auf den Rat gehört hatte, geschlossenes Schuhwerk anzuziehen, war bewegungstechnisch klar im Vorteil, da er sich weniger um die fiesen Disteln kümmern musste. Aber auch wenn andernorts die mitunter 2.000 Jahre alten Steinstraßen für die Touristenscharen von der Vegetation befreit waren, gab es dennoch einen Faktor, der die Aktivität stark einschränkte: die Hitze. Die Einheimischen betrachteten es oft kopfschüttelnd, wenn sich die Gruppe aus Deutschland über verdorrte Felder und Hügel bewegte. Eine Kopfbedeckung war überaus sinnvoll.
Wenn man dann aber nach einigen Stunden auf die Mittelmeerküste traf, konnte einem nichts das Gefühl nehmen, es sich verdient zu haben. Nereiden und Tritonen gleich stürzten wir uns in die Brandung, um hinterher eine Cola-Dose für rund 3 Euro zu erwerben, was man in dem Bewusstsein, die 7 Euro für eine Liege und einen Sonnenschirm gespart zu haben, gerne tat und sich stattdessen in den brennend heißen Sand setzte, wo man den Rücken mit Sonnencreme von einer netten Kommilitonin eingerieben bekam.
Sicher hatte der Apostel Paulus im 1. Jahrhundert n. Chr. ein anderes Verhalten an den Tag gelegt, als er seine Missionsreisen durch Kleinasien unternahm. Dieses zu rekonstruieren hätte wohl mehr als die zwei Wochen der Exkursion in Anspruch genommen. Das fachübergreifende Projekt vereinte Theologen, klassische und christliche Archäologen sowie Kunsthistoriker unter dem Leitgedanken, ein plastisches Bild von der Welt der Antike und des frühen Mittelalters zu erhalten. Man bekam weit mehr als das geboten.
Die überwältigende Vielzahl archäologischer Befunde erfüllte einen oft mit Ehrfurcht, andererseits empfand man vielerorts den Erhaltungszustand und den Umgang mit den Resten vergangener Kulturen erschreckend. So fand sich dort, wo einst eine Stadt namens Derbe gewesen sein musste, nur noch ein großer Hügel, der sich vermutlich aus dem zusammen geschobenen Schutt ergab, der die Bauern über die Jahrhunderte auf den umliegenden Feldern gestört hatte. Was brauchbar war, war im eigenen Heim verbaut worden. Wem dieser Umgang mit dem kulturellen Erbe respektlos erscheint, der sei daran erinnert, daß auch viele ältere Greifswalder Gebäude teilweise aus Eldenaer Ziegeln errichtet wurden. Hier greifen Heraklits Worte „panta rhei“.
Ebenso fließend wie die Vergangenheit sind auch die kulturellen Kontraste, die sich in der heutigen Türkei zeigen. Wenn man das Land als “Normaltourist“ bereist, wird man in den Bettenburgen Antalyas, den vollgestopften Ramschläden Sides oder den Buskolonnen an den „Baumwollterrassen“ Pamukkales eine Welt vorfinden, die das durchschnittliche okzidentale Erholungsbewusstsein befriedigt. Wer es etwas abenteuerlicher haben möchte, kann sich auf verschlungenen Pfaden in eine abgeschiedene Campingatmosphäre begeben, in der er dennoch nicht auf westliche Standards verzichten muss. Doch ist das das Bild eines ganzen Landes?
Die Reise führte auch in die Großstadt Konya. Die einstige Hauptstadt des Seldschukenreiches zeigt eine Koexistenz von boomender Wirtschaft und heruntergekommener Architektur des Funktionalismus. Dem kubischen Stahlbeton stehen die glänzenden, nach einem „Schema F“ (das sich übrigens von der einstigen Hauptkirche Konstantinopels, der Hagia Sophia, ableitet) gestalteten Moscheen gegenüber. Obwohl sich der Staat strikt aus religiösen Belangen heraushält und stattdessen allerorts versucht, die große Vaterfigur Atatürk wach zu halten, wird hier offensichtlich, wo die Wertschätzung der Menschen liegt.
In der heiß geführten EU-Beitritts-Debatte steht die Frage einer wirtschaftlichen Kooperation als ein bedeutender Faktor im Raum. Kulturell und religiös gilt es die Vereinigungsversuche jedoch zu relativieren. Die hier vorhandenen Differenzen sind etwas, das man akzeptieren sollte. Sie sollten dennoch niemanden davon abhalten, dieses interessante Land kennenzulernen.
Geschrieben von Arvid Hansmann
groß IST die artemis der epheser