Was am 9. November 1989 begann, wurde am 3. Oktober 1990 abgeschlossen – und dauert bis heute an
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, hatte der Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, bereits am 6. Oktober 1989 seine Genossen in der Staatsführung der DDR gewarnt. Doch die Staatsspitze erkannte die Zeichen der Zeit zunächst nicht. Dies sollte sich schlagartig ändern.
Der 40. Jahrestag der Gründung der DDR am 7. Oktober 1989 wurde auch ihr letzter. Massive Proteste wie die Montagsdemonstrationen, Flüchtlingsströme aus der DDR über Ungarn nach Österreich und in die BRD sowie der drohende Staatsbankrott zwangen die SED zunächst zu internen und schließlich auch zu äußeren Maßnahmen. Am Abend des 9. November gab das Politbüro dem Druck nach und auf einer Pressekonferenz völlig überraschend bekannt, dass alle Grenzen zur Bundesrepublik und nach West-Berlin geöffnet würden. „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“, freute sich Willy Brandt einen Tag später bei einer Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus. Doch sollte tatsächlich wieder ein Deutschland entstehen?
Reformen statt Einheit
Viele der Demonstranten in der DDR wie in der BRD wollten dies nicht. Als „traurigsten Tag in meinem Leben“ bezeichnete etwa die DDR-Bürgerrechtlerin und Mitbegründerin des „Neuen Forum“, Bärbel Bohley den Tag der Maueröffnung. Eine reformierte DDR war ihr Ziel, nicht eine Wiedervereinigung Deutschlands.
Doch die Ereignisse entwickelten eine Eigendynamik. Überraschend für die Weltöffentlichkeit gab Bundeskanzler Helmut Kohl am 28. November 1989 vor dem Bundestag einen im Kanzleramt entstandenen Zehn-Punkte-Plan zur künftigen Deutschlandpolitik bekannt. In diesem wurden bestimmte Punkte abgesteckt, in denen BRD und DDR eng zusammenarbeiten sollten. Das Ziel: eine deutsche Föderation. Die nähere Gestalt eines „wieder vereinten Deutschland“ ließ Kohl offen. Doch die DDR war wirtschaftlich am Ende und so bat der inzwischen zum Ministerpräsidenten gewählte Hans Modrow den Kanzler Anfang 1990 darum, die beiden deutschen Staaten möglichst rasch zusammenzuführen. Dazu sollte zunächst die D-Mark auch in der DDR einziges offizielles Zahlungsmittel werden, was am 1. Juli verwirklicht wurde. Der Sieg der „Allianz für Deutschland“ unter Lothar de Maizière bei den ersten freien Wahlen zur Volkskammer im März hatte die Verhandlungen über die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion noch beschleunigt. „Der Wunsch nach Wiedervereinigung und sofortiger Einführung der Marktwirtschaft sowie die Zurückweisung jeglicher Form des Sozialismus, die in dem Wahlergebnis zum Ausdruck kamen, bedeuteten zugleich den endgültigen Abschied von der DDR“, hält der Historiker Manfred Görtemaker dazu fest.
Neue Verfassung oder Beitritt?
Doch wie sollte die Vereinigung vollzogen werden? Zwei Wege standen dafür offen: Artikel 23 des Grundgesetzes besagte, dass die Verfassung außer in den bereits bestehenden Ländern der Bundesrepublik auch in „anderen Teilen Deutschlands nach deren Beitritt in Kraft zu setzen“ sei. Nach Artikel 146 hingegen sollte das Grundgesetz an dem Tage seine Gültigkeit verlieren, „an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Da sich die DDR-Volkskammer am 23. August 1990 entschied, den ersten Weg zu gehen, wurde der bundesdeutsche Rechtsrahmen also lediglich auf das Gebiet der DDR ausgedehnt. Eine neue Verfassung wurde nicht ausgearbeitet. Festgeschrieben wurde der Beitritt im „Staatsvertrag über die deutsche Einheit“, der am 3. Oktober in Kraft trat. „Unsere Einheit wurde niemandem aufgezwungen, sondern friedlich vereinbart“, erklärte Bundespräsident Richard von Weizsäcker an diesem Tag. Doch obwohl große Anstrengungen unternommen wurden und wirtschaftlich einiges erreicht ist, muss in den Köpfen der Menschen noch viel getan werden, damit der politischen auch irgendwann die mentale Einheit folgen wird.
Geschrieben von Kai Doering