Harald Ringstorff (SPD) ist Mecklenburger durch und durch. Am 25. September 1939 in Wittenburg geboren, studierte er Chemie an der Universität Rostock. Seit dem 3. November 1998 führt er als Ministerpräsident die Geschicke des Landes Mecklenburg-Vorpommern und wird auch bei der Landtagswahl im kommenden Herbst noch einmal als Spitzenkandidat seiner Partei antreten. moritz besuchte ihn einen Tag nach seinem 66. Geburtstag in seinem Büro in der Staatskanzlei.
moritz: Mecklenburg-Vorpommern erlebt derzeit einen dramatischen Bevölkerungsrückgang. Im Jahr 2020 werden voraussichtlich 200.000 Menschen weniger hier leben als heute. Wie kann dieser Entwicklung begegnet werden?
Harald Ringstorff: Für den Bevölkerungsrückgang ist vor allem der Sterbeüberschuss verantwortlich. Aber natürlich spielt auch die Abwanderung, vor allem junger Menschen eine Rolle. Diese Entwicklung ist in ganz Ostdeutschland zu beobachten. Deshalb ist es wichtig, dass wir attraktive Arbeitsbedingungen in Mecklenburg-Vorpommern haben. In einigen Bereichen, wie etwa der Biotechnologie, sind wir da auf einem guten Weg. Auch der Tourismusbereich und die Gesundheitswirtschaft werden sich weiter entwickeln und Arbeitsplätze für junge Menschen bieten.
Sie betonen die Wichtigkeit von attraktiven Arbeitsplätzen. Im August lag die Arbeitslosenquote im Land jedoch mit 19,0 Prozent wieder deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Kann sich dies auf lange Sicht ändern?
Ja – aber dies ist ein längerer Prozess und Erfolge stellen sich nur Schritt für Schritt ein. So ist die Arbeitslosigkeit im September wieder zurückgegangen. Die Quote liegt jetzt bei 18,1 % . Die entscheidenden Fehler sind gleich nach der Wende erfolgt. Der Grundsatz „Privatisieren geht vor Sanieren“ hat einige Unternehmen komplett vom Markt verschwinden lassen. Wir haben die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass die Treuhand dies mit aller Konsequenz durchgezogen hat.
Doch wir müssen in die Zukunft schauen. Wir haben im letzten Jahr eine beträchtliche Anzahl von Firmenansiedlungen gehabt. Es bilden sich Cluster heraus und es gibt Synergieeffekte untereinander. Im Raum Vorpommern hoffen wir sehr darauf, dass durch Lubmin ein Impuls für die gesamte Region gegeben wird. Bald wird mit dem Bau des ersten Gaskraftwerks begonnen. Dies wird zwar weniger Beschäftigte haben als das ehemalige Atomkraft-werk,doch stellt es günstige Energie zur Verfügung. Ich hoffe, dass durch die Fertigstellung der A 20 der Nachteil, den der Raum Vorpommern hatte, kompensiert wird.
Vorpommern ist als strukturschwache Region bekannt. Wird dieser Teil des Landes gegenüber Mecklenburg benachteiligt?
Der westmecklenburgische Raum hat eindeutig Vorteile gehabt, weil Investoren zuerst über die vormals innerdeutsche Grenze geschaut haben. Wir bemühen uns, Investoren für Vorpommern zu begeistern. Aber man kann keinen Investor zwingen, einen bestimmten Standort auszuwählen. Wichtig ist, dass die Region Vorpommern selbst positive Signal aussendet, denn in ein Jammertal geht niemand gerne. Deshalb wünsche ich mir manchmal etwas weniger Jammer und etwas mehr Eigeninitiative.
Im Vergleich zu den Mecklenburgern jammern die Vorpommern also eher anstatt anzupacken?
Das Jammern ist in Vorpommern schon verbreitet. Immer wieder wird dort gesagt, es flössen mehr Mittel nach Mecklenburg. Das stimmt aber nicht. Umgerechnet auf die Zahl der Einwohner sind sogar mehr Mittel in den vorpommerschen als in den mecklenburgischen Raum geflossen. Die Geschichte, dass sich die Landesregierung nicht um diese Region kümmere, ist also in den Bereich der Märchen zu verweisen.
Welche Bedeutung hat die Kreisgebietsreform, die 2006 im Landtag verabschiedet werden soll?
Diese Reform ist kein Selbstzweck. Wir wollen sie zusammen mit der
Funktionalreform durchführen, in deren Rahmen Aufgaben des Landes auf die Kreise und von dort teilweise auf die Kommungen übertragen werden. Der Bürger soll alles in seinem Amt erledigen können. Bei der Kreisgebietsreform sind vier oder maximal fünf Kreise sinnvoll. Ich will Verwaltung reduzieren. Es gibt Berechnungen, dass wir Verwaltungskosten in dreistelliger Millionenhöhe einsparen können, wenn wir diese Reformen durchsetzen. Natürlich gibt es auch Widerstand, wofür ich in manchen Fällen Verständnis habe. Es gibt weniger Posten, doch ist es ja auch Sinn und Zweck, Personal einzusparen.
Sprung zum Thema Bildung. Zu Anfang haben sie eine Menge Stärken des Landes aufgezählt. Wo ordnen sie den Bildungssektor ein?
Dieser Bereich ist sehr wichtig für unser Land. Deshalb ist er auch der einzige, der Zuwächse im Haushalt erfährt. Die finanziellen Aufwendungen können sich wahrlich sehen lassen. Was die Fächer angeht, gilt für die Hochschulen, dass weniger manchmal mehr sein kann. Wenn wir an jedem Standort in jeder Disziplin in der ersten Bundesliga spielen wollen, werden wir bald überall nur noch in der Regionalliga sein. Um wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir größere Einheiten schaffen. Universität heißt für mich nicht, dass jede Hochschule heute den gesamten Fächerkanon bereithalten muss, sondern es muss Kooperationen und schlagkräftige Forschungsteams geben.
Wie wird der Bildungssektor dann im Schicksalsjahr 2020 aussehen?
Wir werden nach wie vor zwei Universitäten haben, die mit den Fachhochschulen kooperieren. Sie sind dann in einen Wissenschaftsraum eingebettet, der über die Grenzen unseres Bundeslandes hinausgeht. Besonders wichtig ist hierbei der Ostseeraum. Der Bildungssektor wird wesentliche Impulse für die Entwicklung des Landes geben.
Werden Studiengebühren eine Rolle spielen?
Wir sind mit der Forderung in den Wahlkampf gegangen, keine Studiengebühren für das Erststudium zu erheben. Diese Linie vertreten wir weiter. Das Einkommen der Eltern darf nicht den Ausschlag geben, ob die Kinder studieren oder nicht.
Noch ein paar Fragen zu Bundestagswahl. NPD und Linkspartei haben hier gut abgeschnitten. Wenden sich die Wähler von den etablierten Parteien ab?
Nein. Außerdem würde ich NDP und PDS nicht in einen Topf werfen. Die PDS hatte bei der letzten Wahl ein schlechtes Ergebnis. Allerdings fehlte da ein Gregor Gysi, der die halbe Miete bedeutet. Das Ergebnis für die PDS ist in Ostdeutschland ein normales Ergebnis. In unserem Bundesland sieht man, dass die PDS durchaus in der Lage ist, Realpolitik zu machen. So setzt Arbeitsminister Holter von der PDS die Arbeitsmarktreformen, die seine Partei kritisiert, vorbildlich um.
Sehr viel ernster nehme ich das, was am rechten Rand passiert. Die NPD-Leute müssen wissen, dass sie dazu beitragen, Arbeitsplätze zu vernichten oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Fremdenfeindlichkeit schadet unserem Land, das sich im Export noch steigern will, extrem.
Rechte Parteien engagieren sich zunehmend im flachen Land – dort, wo sich der Staat zurückzieht. Was wollen Sie als Landesregierung konkret dagegen tun?
Wir wollen das Civitas-Programm weiter unterstützen und setzen auf unsere mobilen Gruppen, die Bürgermeister im Umgang mit rechten Parteien beraten. Die Rechten haben ihr Erscheinungsbild geändert, kommen im Schafspelz daher, organiseren Kinderfeste oder verbreiten ihre Ideen über Musik. Es ist also eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, den Rechtsradikalismus zu bekämpfen.
Wie beurteilen Sie die Situation in Mecklenburg-Vorpommern nach der Bundestagswahl?
Ich bin froh über den Ausgang der Bundestagswahl und es hat sich hier im Land gezeigt, dass die SPD weiterhin die stärkste Partei ist – auch nach den Reformen der Bundesregierung. Wir wollen auch weiterhin stärkste Kraft bleiben. Das Wachstum im verarbeitenden Gewerbe in unserem Bundesland ist hoch, die Zahl der Arbeitslosen geht zurück.
Werden das die entscheidenden Themen im Landtagswahlkampf werden?
Es wird um die weitere wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes, um Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und die Umsetzung von Reformen gehen. Natürlich auch um die Bildungspolitik. Ich bin sicher, dass die CDU das Thema Bildungspolitik aufgreifen wird, weil es gerade bei den Hochschulstrukturen noch Meinungsunterschiede gibt.
Fühlen Sie sich nach 7 Jahren Regierungstätigkeit noch wohl im Land oder würden Sie sich inzwischen als „frustrierten Ostdeutschen“ bezeichen?
Ich gehöre keinesfalls zu den „frustrierten Ostdeutschen“, sondern fühle mich nach wie vor fest mit dem Land verwurzelt. Ich könnte mir relativ schwer vorstellen, irgendwo anders hin „verpflanzt“ zu werden. Auch in der Bundespolitik würde ich mich weniger wohl fühlen.. Ich spreche gern Plattdeutsch und bin ein Mensch, der auch mit der Stille in unserer herrlichen Natur etwas anfangen kann.
Was wäre ihr Motto?
Es ist schwer, Ewigkeitsgrundsätze abzuleiten, insbesondere als Politiker. Mein politisches Motto wäre vielleicht „Daut wat du wullt, de Lüd snackt doch.“
Geschrieben von Kai Doering, Stephan Kosa, Ulrich Kötter