Versuch eines Resumees

Als ich vor einigen Wochen einen Kommilitonen im Ruhrgebiet besuchte, machte ich bei einem Tagesauflug auch in Köln halt. Ich war nicht allein unterwegs. Mein Kommilitone hatte mein Eintreffen genutzt, um einem Gastprofessor aus Namibia und dessen junger Tochter „deutsche Sehenswürdigkeiten“ zu zeigen. So traten wir (vier) aus dem Hauptbahnhof und standen vor einem Bau, der in symbolischer und faktischer Dimension in unseren Landen kaum einen Vergleich findet: dem Kölner Dom.

Der schwarzgraue Wald aus Strebepfeilern und Fialtürmchen wuchs in scheinbar ungreifbarer Weise in die dichten Wolken. Dies war also das „realisierte Konzept, den Himmel auf Erden darzustellen“.
Es brannte mir unter den Fingernägeln, der jungen Afrikanerin von der Bildhaftigkeit der Architektur und der langwierigen Baugeschichte zu berichten, als wir in die gigantische Halle traten. Zunächst war sie von der übersteigerten Vertikalität und der Akustik auch recht angetan, aber bald wurde ihr wieder bewusst, dass sie für das trübe, verregnete Wetter dieses Tages falsch gekleidet war. Und als ich sie frierend im Westwerk des Baus stehen sah und sie offensichtlich keine Lust mehr hatte bis zum Chor vorzugehen, traf mich eine Erkenntnis wie ein Schlag: Sollte dieses dunkle und feuchtkalte Gemäuer wirklich ein Gleichnis für „die Hütte Gottes bei den Menschen“ sein? Ist es nicht vielmehr der „Riesenkerker“ von dem Heinrich Heine berichtet? Während er darin vorrangig ein „Instrument“ der katholischen Kirche sah, tat sich mir das Problem universeller auf.
Seit ich in Greifswald studiere, habe ich mich mit der Gestalt und der Wirkung des Kirchenbaus befasst. Hinter dem Begriff der „Kirche“ (Ekklesia) verbirgt sich eigentlich die „Gemeinde“, für die der Bau nur ein Ort der Zusammenkunft sein soll. Dass dies unter bestimmten Umständen durchaus funktioniert, zeigte sich zuletzt beim Kirchentag in Hannover, wo die riesigen Messehallen für lebendige Gottesdienste genutzt wurden.
Ein Kirchenbau besitzt Eigenschaften, die sich nur begrenzt mit dem Terminus „Funktion“ fassen lassen. Der Anspruch, eine transzendente Welt erahnbar zu machen, ist eine ihrer Grundeigenschaften. Doch dass dies allein durch die statische Dreidimensionalität erreicht wird, bezweifle ich nicht erst seit diesem Besuch in der Rheinmetropole.
Die Kirche war in ihrer „mittelalterlichen“ Ausprägung die Umsetzung eines „Gesamtkunstwerkes“, dass durch die bewegten Szenerien der Liturgie, die Gesänge und den Weihrauch alle Sinne ansprach. Für einen Bauern oder Bürger war der sonntägliche Besuch in der Kirche also ein „multimediales Ereignis“. Eine Podiumsdiskussion beim Kirchentag hatte mir nochmals deutlich gemacht, dass in heutiger Zeit eine Vielzahl von Orten diese Eigenschaften übernommen haben.
Neben dem Beispiel des Fußballstadions, bei dem auch Neubauten sehr schnell „identitätsstiftend“ werden können, hat meines Erachtens vor allem der Kinofilm – oder der sich möglicherweise daraus entwickelnden dreidimensionalen Projektion – den Anspruch auf dem Weg zur „neuen Kathedrale“ zu sein. Hier wird das Großereignis mit einem persönlichen Bezug zum Akteur verwoben. Mit der digitalen Technik ist man zunehmend in der Lage, auch visuell die Dimensionen zu erreichen, die bereits von 100 Jahren in der Orchestralmusik gegeben waren.
Die Möglichkeit der persönlichen Anteilnahme, die mit dem großen Massenereignis verbunden ist, findet sich auch in der biblischen Vorlage. Die Johannesoffenbarung stellt den globalen Schreckensszenarien das Bild der Himmlischen Stadt gegenüber – die hunderttausende von Orks oder Klon-Kriegern, die sich bei Meggido abschlachten, werden vergessen, wenn man die Passage aus Offb. 21, 2 bedenkt: „bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.“ Kein „abstraktes Begriffspoem“ sondern der Nukeus des menschlichen Lebens wird hier angesprochen – ohne jeglichen „Schleier“: Das ist das Evangelium!
Wies dies nun in unseren Tagen ein Bau vermitteln kann, ist mir bis heute im Verborgen geblieben. Ich bleibe der „Wanderer über dem Nebelmeer“, der jedoch nie aufhört zu suchen…

Geschrieben von Arvid Hansmann