Was das Wetter betraf, konnten die Berliner Medienschaffenden des Deutschlandradio Kultur nicht klagen. Die Live-Sendung in der Reihe „Deutschlandrundfahrt“ aus dem Hof des St. Spiritus ging bei strahlend blauem Himmel und hochsommerlichen Temperaturen routiniert über die Bühne. Am Abend fanden sich so viele Gäste zur „Langen Hörspielnacht“ im Obergeschoß des Koeppenhauses ein, dass beinahe die Fensterbänke als Sitzgelegenheiten herhalten mußten.
So zeigte sich Ruth Müllejans, Leiterin des Koeppenhauses, angesichts der Zuschauerzahl überrascht und bereitete die Hörer auf einen „langen Abend mit hartem Stoff“ vor.
Der Abend begann jedoch mit der Präsentation eines sehr kurzen Radioformats, der sogenannten „Wurfsendung“. Seit September 2004 streut Deutschlandradio Kultur 45-sekündige Soundschnipsel in das Programm mit ein, die literarische und radiophone Formen aufgreifen. Japanische Haikus mit Musik untermalt, Wort und Totschlag im Kurzkrimi, O-Ton-Collagen. „Trotz anfänglicher Skepsis hat sich inzwischen eine regelrechte Fangemeinde entwickelt“, berichtet Stefanie Hoster, Hörspielredakteurin bei Deutschlandradio Kultur.
Der lange und harte Stoff begann danach mit dem Hörspiel „Liebe“ der kroatischen Autorin Koraljka Mestrovic. Da wird der Sarg einer jungen Frau von ihrem Freund ausgegraben und geöffnet. Sie ist ihm förmlich unter seiner starken Liebe weggestorben. Nacheinander erzählen ein Polizist, der Freund, die Mutter der jungen Frau, die inzwischen Verstorbene und ein Arzt ihre Version der Geschichte. Schöne Hände, wortwörtlich tödliche Langeweile, Tee und Kuchen und psychosomatische Symptome. Und jeder hat seine ganz eigene Interpretation der Liebe.
Nicht weniger verstörend das zweite Hörspiel der Autorin aus Zagreb. „Die Hand“ einer Frau liegt „kurz unterhalb des Ellenbogens abgetrennt“ auf dem Tisch eines Pathologen. Und wieder gibt es einen Freund, der um eben diese Hand angehalten hat. Doch die dazugehörige junge Frau fühlte sich missverstanden, schwänzte die Hochzeit, flüchtete zur Maniküre. Und entschließt sich, ihre Hand zu verlieren.
Beide Hörspiele sind Teil einer Trilogie, das dritte Hörspiel „Dreams“ ist noch in Arbeit. Die Themen Liebe, Einsamkeit und Tod ziehen sich wie ein roter Faden durch beide Hörstücke. In „Liebe“ orakelt die Mutter den Tod ihrer Tochter aus der Hand des Freundes herbei, in „Die Hand“ attestiert eine Zigeunerin der jungen Frau, „keine Herzlinie“ zu haben.
Als letztes präsentierten die Berliner Radiomacher ein klassisches Stück in einem neuen Gewand, „Minotaurus – Eine Ballade“ von Friedrich Dürrenmatt. Der Schweizer Dramatiker nahm sich 1984 des griechischen Mythos an und schuf eine Ballade voll der Erfahrung des Labyrinths. „Das Hörspiel geht zum Teil an die Grenzen der Verständlichkeit“, warnte Stefanie Hoster vor. Nicht zu Unrecht, denn Dürrenmatts Text ging in Echo-Effekten und ekstatischer Musik beinahe unter. Die akustische Erfahrung klaustrophobischer Verzweiflung und körperlicher wie spiegelbildlicher Begegnung war dennoch eindrucksvoll.
Gegen Mitternacht war die inzwischen zweite Hörspielnacht im Koeppenhaus zu Ende. Stefanie Hoster, die kurz zuvor noch mit Ruth Müllejans ihren „guten Draht nach Greifswald“ beschwor, versprach den Zuhörern: „Wir kommen wieder!“
Geschrieben von Ulrich Kötter