Theater: Bunt, laut, nachdenklich

Fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn betritt ein Fischer die Bühne und „angelt sich sein Publikum“. Die Zuschauer strömen zu ihren Plätzen, um nichts zu verpassen. Am 5. Mai 2005 sollte Henrik Ibsens „Die Frau vom Meer“ in Greifswald aufgeführt werden.

Ellida, die „Frau vom Meer“, steigt aus dem Wasser auf die Bühne. Die inszenierte Umgebung ist im Gegensatz zur literarischen Vorlage, die ein einsames und romantisches Idyll in Norwegen zeichnet, eine trostlose Industriebrache.
Die Hauptrolle der Ellida wird von Marta Dittrich in ihrer Expressivität überzeugend umgesetzt. Mit großen Affekten betonte sie die ambivalenten Seiten der sich selbst suchenden Protagonistin, die zwischen Fernweh und Heimat, Gefahr und Geborgenheit, einem unbekannten Liebhaber und ihrem Ehemann schwankt. Sie muss sich entscheiden, doch wird sie von der Liebe ihres Mannes eingeengt und durch die Normen der Gesellschaft unterdrückt.
Auch die anderen Akteure fügen sich in den vorgegebenen Rahmen ihrer Rollen ein. Dabei sticht die Figur des „Fremden“ hervor, die mit einem Balletttänzer (Daniel Morales Pérez) besetzt ist. Auf die wenigen Worte, die ihm Ibsen zugesteht, wird verzichtet und er bekommt stattdessen die Möglichkeit, durch ausdruckstarken Tanz die Projektionsfläche von Ellidas Sehnsüchten zu bilden. Wie auch in Ibsens schriftlicher Vorlage wird um den „Amerikaner“ eine mystische Aura aufgebaut, die hier allein über die Körpersprache funktioniert.
Die emotionalen Lasten der Charaktere werden durch musikalische Akzente betont. Dabei bildet der Einsatz von „Massiv Attack“ am Ende des dritten Aktes einen grotesken Höhepunkt. Zu bemerken ist ebenfalls, dass vom Publikum eine gewisse Interpretationsleistung gefordert wird, wenn die amüsante Suche der Schauspieler nach Goldfischen im Publikum beginnt.
Das Werk des 19. Jahrhunderts, rund 60 Jahre nicht mehr aufgeführt, wurde durch Knödler erneuert und modern umgesetzt. Eine Neuinterpretation ist besonders bei den attributreichen Kostümen zu erkennen. Mit Perücken, Gummistiefeln und Körperbemalungen wird die Greifswalder Fassung ein visuelles Spektakel.
Insgesamt krankt das Stück aber etwas an den dramaturgischen Vorgaben des großen Norwegers. Es stellt sich permanent die Frage, ob nun das Hauptaugenmerk auf der tragischen Handlung oder auf dem Versuch einer realistischen Schilderung menschlicher Schicksale liegen soll. Auch Carsten Knödler war sich dessen bewusst. Für ihn war es eine Herausforderung, die er durch die Reduktion des Werkes auf den Hauptstrang der Handlung gut bewältigt sieht. Überhaupt ist die Inszenierung eine Konzentration der Handlungsebenen auf Ellida.

Geschrieben von Arvid Hansmann, Cornelia Leinhos

Theater: ″Eckiges″ Theater

Der Applaus wollte und wollte nicht enden. Unter dem Jubel des begeisterten Publikums im gut gefüllten Greifswalder Theater haben sich die Schauspieler des Geistig-Behinderten-Theaters „Die Eckigen“ und Jan Bernhardt, das feste Ensemble-Mitglied des Theater Vorpommern, minutenlang feiern lassen.

Dem vorausgegangen war die ungemein gelungene und humorvolle Aufführung der Moliere-Komödie „Der eingebildete Kranke“. Dieses Prosawerk des französischen Dramatikers, im Jahre 1673 in Paris uraufgeführt, ist schon auf unzähligen Theaterbühnen gezeigt worden. In dieser neuesten Bearbeitung jedoch hat das Stück durch die Zusammenarbeit geistig behinderter und gesunder Schauspieler einen unvergleichlichen Charme erhalten.
Argan, gespielt von Jan Bernhardt, ist ein Hypochonder, der seine Mitmenschen mit eingebildeten Krankheiten tyrannisiert. All sein Denken und Fühlen, das ganz normale Leben zunehmend vergessend, ist auf seinen Körper und dessen Äußerungen gerichtet. Umgeben ist der Hypochonder von seiner Tochter, die einen jungen Arzt heiraten soll, seiner jüngeren Frau, die auf ein vorzeitiges Erbe hofft, dem arroganten Notar, der am Tod verdienen will, und schließlich den Vertretern der Medizin, die an endlosen Behandlungen profitieren. Erst am Ende erkennt Argan, welchen seiner Mitmenschen er vertrauen kann und wem nicht.
In dieser Inszenierung unter der Regie von Gerd Franz Triebenecker ist vor allem die schauspielerische Leistung des Ensemble-Mitgliedes Jan Bernhardt und der geistig behinderten Schauspieler hervorzuheben. Seit mittlerweile zehn Jahren existiert die Theatergruppe der „Eckigen“, dessen Träger das kreisdiakonische Werk in Stralsund ist. Verschiedenste Theaterstücke, wie zum Beispiel „Die Bremer Stadtmusikanten“, „Romeo und Julia“ oder „Don Quijote“, sind im Laufe dieser Zeit zur Aufführung gelangt, wobei nach Worten des Regisseurs Triebenecker „am Anfang gar nicht geplant war, an die Öffentlichkeit zu gehen“. „Von Anfang an aber waren die Resonanzen sehr positiv“, so fährt Triebenecker fort, „so dass der Weg zur Bühne unumgänglich wurde“. Als eine sehr interessante Tätigkeit beschreibt Triebenecker seine Arbeit, die er „nicht missen will“. Auch die geistig behinderten Schauspieler sind, ähnlich eng wie der Regisseur, mit ihrer Arbeit verbunden. So sagt Birgit Lutter, ein langjähriges Mitglied der „Eckigen“: „Wir sind vor jedem Auftritt immer wieder aufgeregt, aber es macht sehr viel Spaß.“
So bleibt nur zu hoffen, dass der Spaß in den nächsten Jahren weitergeht und der Theaterbesucher noch viele gelungene Aufführungen der „Eckigen“ erwarten kann.

Geschrieben von Grit Preibisch

CD: Sam Philips: A Boot and a Shoe (Nonesuch)

CD einlegen. Augen schließen und lauschen – wenn auch nur für 40 Minuten, denn Sam Phillips neuestes Album „A Boot and a Shoe“ überzeugt nicht durch Quantität sondern durch Qualität.

Die amerikanische Sängerin bleibt damit ihrem oft als „sparsam“ bezeichnetem Stil treu. Wer inhaltslose Phrasen und überflüssige instrumentelle Lückenfüller bevorzugt, wird mit dieser CD nicht glücklich werden.
Egal ob das Leben, die Liebe oder der Verlust dieser beiden, Sam Phillips’ Texte sind voller Emotionen und Geschichten ohne Happy End. „Torture-music” – wie sie selbst sagt. Und doch wirkt gerade diese Tiefe so beeindruckend.
Einprägsame Melodien und Sam Phillips’ sanfte und doch selbstbewusste Stimme ziehen den Hörer in ihren Bann. Die allgemeine Zurükkhaltung von Bass, Schlagzeug und Akustikgitarre verleiht eine besondere Note. Diese Musik lässt sich nicht in eine bestimmte Schublade stecken. Es ist ein Zusammenspiel verschiedenster Genres: ein bisschen Blues, ein bisschen Jazz, angehaucht mit alternativem Rock, der einfach ins Ohr geht. Selbst der 3/4-Takt in „Reflecting Light“ wirkt alles andere als eingestaubt. Der Mix aus Balladen mit konstantem Beat und akustischen Indierock ist einfach fesselnd. Vielleicht noch nicht beim ersten Hören, aber man muss dieser Platte einfach eine Chance geben. Es lohnt sich.

Geschrieben von Anne Schult

CD: Apocalytica: Apocalytica (Universal Music)

Das Cello hat seit Apocalyptica eine neue Stellung in der Rockmusik. Zumindest verschafften sich die auf ihren Instrumenten klassisch ausgebildeten Finnen damit gebührend Gehöhr. Gesang bestimmt ihr fünftes Album. Die hittauglichen Stücke „Bittersweet“ und „Life Burns!“ mit Ville Vallo (HIM) und Lauri (The Rasmus) oder das herzzerreißende „Farewell“ sprechen für sich. Mit ihren elf Eigenkompositionen kostet Apocalytica neben knackigen Einlagen die zarten Seiten des Cellos genüsslich aus. Hier stimmts: Cello burns! Kiitos! (finnisch: Danke!)

Geschrieben von Uwe Rißner

CD: Pepe Romero: The Rodrigo Collection (Universal Music)

Joaquin Rodrigos „Concierto de Aranjuez“ ist ein Meilenstein der spanischen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Über Nacht machte es seinen Komponisten berühmt und brachte der Gitarre als Instrument in den Konzertsälen der Welt ein hohes Ansehen ein. Einziger Witz: Der Pianist und Violinist Rodrigo (1901-1999) konnte nie Gitarre spielen. Die „Rodrigo-Collection“ gibt auf CD und DVD neben einer Aufnahme des Konzerts mit dem exzellenten Gitarristen Pepe Romero einen guten Einblick in das musikalische Schaffen und das Leben des spanischen Maestros.

Geschrieben von Uwe Roßner