Silvio Dalla Torre entdeckt die kantable Seite des Kontrabasses

Wenn Silvio Dalla Torre mit sanfter Stimme von seinem „Bassetto“ spricht, dann leuchten seine Augen freundlich. Stiller Stolz liegt in den Zügen seines Gesichtes und seine Haltung strahlt Ruhe aus.


Nimmt er aber Instrument und Bogen zur Hand, weicht dieser Ausdruck einer tiefen Konzentration, ehe er seinem Streichinstrument wunderbare Töne entlockt: voll und rund, warm und sinnlich, aber auch bissig-zupackend und energisch. Dalla Torre ist Professor für Kontrabass an der Rostocker Hochschule für Musik und Theater (HMT). Drei gravierende Veränderungen hat er an seinem Instrument vorgenommen, die dem Laien auf den ersten Blick nicht auffallen: Bogen, Saiten und Fingersatz sind bei ihm gänzlich anders als beim gewöhnlichem Kontrabasses. Kleine Dinge, die aber den feinen Unterschied ausmachen. Cellisten finden in den wieselflinken Bewegungen seiner linken Hand das auf ihrem Instrument gebräuchliche Vier-Finger-System wieder. Bisher war es üblich, die Töne auf dem Griffbrett des Kontrabasses mit drei Fingern zu greifen. Dalla Torre beweist mit der neuen Technik, dass man dabei keine Kraft spart. Speziell entwickelte Saiten aus neuen Materialien und eine veränderte Stimmung sorgten für einen ganz neuen Klang. Wie beim Cello sind sie nun in Quinten gestimmt und entlocken dem Instrument dadurch ein reicheres Obertonspektrum. Der Bogen ist im Vergleich zum normalen Kontrabassbogen deutlich schwerer. Dadurch wird der Arm entspannt und ein vollerer Klang produziert.
Mit diesen Veränderungen betrat Dalla Torre Neuland, nachdem ihm seine zwanzigjährige Arbeit als Orchestermusiker die Grenzen seines Instrumentes bewusst gemacht hatte. Obwohl der Kontrabass ein vielseitiges Instrument ist, das im klassischen Orchester, in der Kammermusik, im Jazz oder im Folk verwendet wird, hatte er doch bisher einen großen Makel: Das gute Stück konnte nicht kantabel gespielt werden. Schubert, Schumann, Mendelssohn, Verdi, um nur einige zu nennen, komponierten zwar für den Kontrabass wundervoll gesangliche Passagen in ihren Werken, dennoch blickt der Orchester-Kontrabassist in Symphoniekonzerten zuweilen neidisch auf die Kollegen, die von den Komponisten mit vergleichsweise viel häufigerer Ausführung ergreifender Melodien bedacht worden sind. Der Kontrabass durfte nicht mitsingen. Zumindest bisher.
Mit seiner Erfahrung und seinem spielpraktischem Wissen machte sich Dalla Torre auf die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten seines Instrumentes. Der Kontrabass-Professor analysierte die spieltechnischen Voraussetzungen der verschiedenen Streichinstrumente sowie die dazu notwendigen physiologischen Bedingungen und gelangte nach jahrelanger Auseinandersetzung zu neuen Lösungen. Das Herumstöbern in Büchern und Archiven erbrachte außerdem Hinweise auf das historische Instrument „Bassetto“. Es war von der Musikgeschichte bislang vergessen worden. Obwohl das Instrument, das zwischen 1650 und 1720 seine Blütezeit erlebt hatte, in Quellen belegt ist, kann es derzeit nicht hundertprozentig rekonstruiert werden. Die Angaben in der Literatur geben nur vage Anhaltspunkte für seine korrekte Stimmung und Spielpraxis. Dalla Torre gilt heute als sein Wiederentdecker. Daher hat er entschieden, seinen Kontrabass als „seinen“ Bassetto zu bezeichnen – nicht etwa aus Eitelkeit, sondern einfach, um seinen Instrument, das mit einem riesigen Tonumfang von viereinhalb Oktaven und einem hinreißenden Klang zu ganz neuen Ausdrucksformen in der Lage ist.
Als erstes greifbares Ergebnis seiner Forschungen legte Dalla Torre kürzlich, als Weltersteinspielung eines Bassettos, die CD „Songs, Chansons, Elegies“ vor (Hänssler-Classic, April 2005). Diesem ersten Schritt möchte Dalla Torre noch viele weitere folgen lassen. Ein bereits fertig gestelltes Konzert für Bassetto und Orchester des Rendsburger Komponisten Bodo Reinke, der von dem neuen Instrument so begeistert war, dass er spontan eine Komposition dafür zugesagte, wartet auf seine Uraufführung. Für 2006 ist die Veröffentlichung einer Bassetto-Schule geplant. Vorträge und Konzerte füllen den Terminkalender des Rostocker Professors, der dennoch die Arbeit mit seinen Studenten an erste Stelle setzt. Mit seinem Engagement hat Dalla Torre internationale Aufmerksamkeit und fachliches Interesse geweckt. So erhielt er eine Einladung an das renommierte Royal Conservatory of Music in Toronto/Kanada, der weitere mit Sicherheit folgen werden. Dabei geht es dem Professor nur um eines: um ein neues Verständnis für sein Instrument.

Geschrieben von Uwe Roßner