Ein Blick hinter die Kulissen eines Deutsch-Thailändischen Hilfsprojekts

Bang Sak war ein Dorf der Morgans. Sieben Kilometer nördlich von Khao Lak gelegen, wurde es am 26. Dezember 2004 so gut wie vollständig zerstört. Von der unvorstellbaren Kraft des Tsunamis ist in den westlichen Medien nur noch wenig zu finden.

Wiradech „Willi“ Kothny landete am 27. Dezember in Phuket. Zunächst half er als Übersetzer in verschiedenen Krankenhäusern, was ihm bald aber sinnlos erschien.
Die Morgans sind ehemalige Seezigeuner, die sich vor ungefähr 100 Jahren in Bang Sak niedergelassen haben. Sie werden von der thailändischen Regierung eher geduldet als geachtet, gelten als New-Thais, eine Minderheit. Am 05. Januar kam Willi Kothny ins Dorf, redete mit dem Dorfältesten und um 18 Uhr stand das „Project“.
Womit fängt man an, wenn man vor riesigen Bergen angeschwemmter Trümmer steht? Selbst in Katastrophenzeiten geht nichts ohne eine Baugenehmigung, alle Behörden sind denkbar ausgelastet, große Hilfsorganisationen verwenden gespendete Gelder für organisatorischen Krimskrams. Überall Chaos, Wirrwarr, Durcheinander – und es ist nicht die Rede von unaufgeräumten Schreibtischen, sondern von Autorwracks, Baumstämmen und Schlimmerem.
Das „Project“ wuchs aus sich selbst heraus. Nicht von oben herab, sondern zusammen mit den Morgans entwickelte sich ein Konzept, das seinesgleichen sucht. Die Baupläne eines Architekten der Universität Bangkok kosteten nichts, wurden ohne den Behördenumweg abgestempelt und entsprachen den Wünschen der Dorfbewohner. Der „Willi hilft e.V.“ wurde gemeinnütziger Verein innerhalb weniger Tage gegründet und kommt mit einer Verwaltungsstruktur von ehrenamtlichen Helfern aus. Das kostet praktisch nichts, wodurch die kompletten Spendengelder – derzeitiger Stand: 450.000 Euro – direkt den Menschen und der Region zukommen.
Andere offizielle Organisationen benötigen einen großen und damit teuren Verwaltungsapparat. Sie müssen ihre Projekte über Umwege gestalten, es gibt immer irgendwelche Vermittler oder Behörden. Dadurch ist Korruption durch Dorfälteste, Landlords und thailändische Beamte gegeben. Geld versickert, bleibt stecken und keiner will es gewesen sein.
Ungefähr 70 Morgans waren in Bang Sak am Bau ihrer eigenen Häuser beteiligt und erhielten dafür den üblichen Tageslohn – finanziert aus dem Spendentopf. So wurde ihnen, die zumeist bis auf das eigene Leben nichts retten konnten, gleich doppelt geholfen. Helfen mochten aber auch andere. Insgesamt 14 Nationen versammelten sich, um dem „Project“ mit Fachwissen und Ausdauer zur Seite zu stehen. Vor allem aus Deutschland reisten Maurer, Zimmerleute, Feuerwehrmänner, Kriminalbeamte und Studenten auf eigene Kosten an. Familienväter, die ihren Jahresurlaub opferten und Selbstständige, die ihren Betrieb einfach mal für einen Monat schlossen. Mit dem Risiko Kunden, Aufträge und damit die eigene Existenzgrundlage zu verlieren. Sie riskierten sogar Leib und Leben. Seit Dezember gab es immer wieder neue Seebeben mit Tsunami-Warnungen, das Dorf musste mehrmals evakuiert werden.
Frauen wie Männer arbeiteten zusammen mit den Morgans über zehn Stunden täglich, sechs Tage die Woche, mit dem Ziel, den Dorfbewohner den Auszug aus den fensterlosen Holzbaracken zu ermöglichen. Dabei lernten sie gegenseitig voneinander: Wakkeligen Gerüsten mit „Thai-TÜV“ wurden Querverstrebungen hinzugefügt und als Metermaß reichte zur Not ein einfacher Strick mit zwei Knoten.
Ohnehin beschränkte sich das technische Arsenal auf ein Minimum. Eine größere Bohrmaschine, zwei Flexgeräte und eine Kreissäge. Hierzulande kaum denkbar, damit 30 Häuser zu bauen. Aus dem Trümmerfeld wurde wieder das Dorf Bang Sak. Es wurde viel improvisiert, aber nirgends geschludert. Immer wieder kamen neue Menschen mit neuen Ideen. „Die Leute fühlten, dass in diesem Projekt viel Herz steckt, auch wenn viele die Baustelle als das am besten organisierte Chaos ansehen“, so Willi Kothny.
Alles wurde darauf ausgelegt, nach Abschluss des Projektes möglichst selbstständig zu funktionieren. So bekam jedes Haus ein komplettes Abwassersystem anstelle eines einfachen Tanks. Das dauerte zwar länger und war aufwendiger, aber später wird es nicht nötig sein, die Anlagen leerzupumpen und es entstehen keine Folgekosten.
Auch wurde ein Wasserturm aufgestellt, der genügend Druck erzeugt, um die gesamte Region mit frischem Trinkwasser aus 30 Metern Tiefe zu versorgen. Bisher schöpften die Einheimischen aus zwei Meter tiefen Brunnen trübes Brauchwasser.
Am 9. April war es dann endlich soweit. Um die bösen Geister zu vertreiben, wurde das Dorf mit einem ohrenbetäubenden Knallfeuerwerk seinen Bewohnern übergeben. Gerade einmal drei Monate nach dem Tsunami und damit das erste fertiggestellte Projekt.
Die Häuser sind fertig, weiter geht es mit der Arbeit. Da es genügend Schulen gibt, die finanziell getragen werden, haben sich die Dorfbewohner für eine Nachhilfeschule entschieden. Mit dem Bau sieben weiterer Häuser außerhalb des Dorfes für soziale Härtefälle ist begonnen worden. Backpacker sollen die Gelegenheit haben, mit den Einheimischen auf Fischfang und Dschungeltour zu gehen, übernachten werden sie im geplanten Ressort. Ein Tsunami Tower wird Blickfang, Aussichtspunkt, Gaststätte und vor allem Rettungsmöglichkeit werden. 20 Boote werden auf Kiel gelegt. Es bleibt also spannend.
Nach und nach gehen alle Aufgaben in die Verantwortung der Morgans über. „Viele von den Dorfbewohnern haben sich inzwischen eine Existenz aufgebaut. Einer betreibt eine Möbelschreinerei, ein zweiter bekommt ein Zertifikat als Bootsbauer, ein dritter wird mit der Putzmaschine auf anderen Baustellen aushelfen. Schließlich wird es in Schule und Ressort weitere Jobs geben“, berichtet Eric Kothny, der Vater von Willi. Eigenverantwortung und Selbstständigkeit wiederherzustellen ist jetzt das Wichtigste. Das Hilfsprojekt selbst wird sich in den Hintergrund zurückziehen, ohne die Dorfbewohner alleine zu lassen.
Mit Blumen geschmückte Erdhügel zeugen davon, dass der Tsunami am 26. Dezember viel fortgerissen und Unheil gebracht hat. Er hat aber auch gezeigt, dass Menschen zusammenarbeiten und mit den einfachsten Mitteln etwas bewegen können. Für alle die daran teilhaben durften, ist es eine unvergessliche Erfahrung, die sich auf ihr weiteres Leben auswirken wird. Für alle anderen ist es ein Aufruf: Es gibt noch viel zu tun, an vielen Orten.

Mit Säberl und Schaufel

Wiradech „Willi“ Kothny. Als Säbelfechter zweifacher Bronzemedaillengewinner von Sydney. Welt-, Asien- und Europameister. Als Aufbauhelfer 30 Wohnhäuser in drei Monaten, Nachhilfeschule, Infrastukturgebäude und Boote im Bau, Tsunami-Tower und Ressort geplant.
Und sonst: Deutsch-/Thailänder, 25 Jahre, Studium der Kommunikationswissenschaft an der Bangkok International University – für Hilfsaktion unterbrochen. Übersetzter und Vermittler, mag die kleinen gelben Reclambändchen nicht.
Auf seiner Homepage www.kothny.de lassen sich neben aktuellen Berichten, weiteren Hintergründen und Aussichten auch Informationen zum Säbelfechten finden. In einem Archiv helfen Bilder, Briefe und Geschichten, einen tieferen Einblick in das „Project“ zu bekommen.

Geschrieben von Matthias Stiel