… und von alten Studententraditionen

Vor kurzem war es endlich soweit: Pünktlich zum Feiertag am ersten Mai zeigte sich das Wetter von seiner besten Seite und bescherte uns hochsommerliche Temperaturen. Ideale Bedingungen also, um in der Walpurgisnacht gemäß der langjährigen Tradition den alten Herrn Mai zu begrüßen.

Aber Moment mal: Wen begrüßen? Wann, wieso, wo, und was soll das Ganze?
Vielleicht gehört Ihr ja auch zu den ?Neulingen?, die mit diesem schönen Brauch gar nichts mehr anfangen können.
Bis letztes Jahr war dies jedenfalls ein alljährlich wiederkehrendes gesellschaftliches ?Großereignis?. Gegen 23.30 Uhr versammelten sich in der Nacht zum ersten Mai hunderte Studenten und Ehemalige auf der Rubenowbrücke, der Wall war unpassierbar, man kam bis maximal 200m vor der Brücke durch, fand sich gegenseitig vor lauter Menschenmassen nicht wieder, und allein nach meinem Fahrrad musste ich vor zwei Jahren etwa zwei Stunden suchen.
Bei Bier und Kerzenschein wurden dann studentische Lieder aus dem ?Blauen Würger? gesungen, und pünktlich um 24.00 Uhr erschien ein als ?alter Herr Mai? verkleideter Professor und feierte mit allen die Biermesse. Und wer die nicht kennt, dem kann ich auch nicht helfen.
Ja. So war das bisher. Ich weiß nicht, wann dieses Mai-Singen das erste Mal stattfand und wer es initiierte, in den letzten Jahren sorgte Gerüchten zufolge immer der Mensaclub dafür, dass es einen alten Herrn Mai (und Bier) gab, dieses Jahr jedoch war das Ganze wohl zu kurzfristig geplant, keiner schien sich zuständig zu fühlen.
Obwohl ich nirgends etwas gehört hatte, wollte ich den pessimistischen Stimmen meiner Freunde nicht recht glauben, die keine Lust hatten, umsonst zur Brücke zu marschieren, da es schon im letzten Jahr keinen alten Herrn Mai gegeben habe. Ich war im Ausland gewesen, konnte mir aber nicht vorstellen, dass der schöne Brauch des Studentensingens innerhalb nur eines Jahres vergessen worden war. Denn ein erster Mai ohne Mai-Singen auf der Brücke…?
So machte ich mich auch in diesem Jahr gegen 23.30 Uhr frohen Mutes auf den Weg zur Rubenowbrücke, die nötige Ausrüstung (Kerzen, Würger, Alkohol) im Gepäck, und -angesichts des zu erwartenden Gedränges und aufgrund zu naher Bekanntschaft meiner Jacke mit Kerzenwachs – in alten Klamotten.
Auf dem Weg traf ich drei Mädels, die zufällig am selben Tag überhaupt zum ersten Mal etwas von diesem Mai-Singen gehört hatten. Da auf der Brücke nur drei (!) weitere Leute standen, wurden die Mädels anscheinend schnell abgeschreckt und waren kurz darauf verschwunden.
Glücklicherweise kamen noch ein paar andere – alteingesessene Greifswalder, die sich sogar extra ein Taxi genommen hatten um nur ja pünktlich zu sein -, so dass sich zumindest ein ?Vorsänger? für die Biermesse fand. Einen alten Herrn Mai gab es nämlich nicht.
Wohin soll das führen? Wären die etwa 15 Leute einer Studentenverbindung nicht gewesen, hätten wir wohl nicht mal Liederbücher gehabt, mal ganz abgesehen davon, dass einige textmäßig reichlich schwach auf der Brust waren.
In der letzten Zeit gab es kaum eine Woche ohne Studentenversammlung, Protestkundgebung, Staffellauf oder einer sonstigen Demonstration der studentischen Verärgerung angesichts Schweriner Kürzungspläne. Die meisten von uns haben wahrscheinlich öfter einen ?Protestmoritz? als eine Tageszeitung gelesen!
Aber sollten wir uns nicht mal überlegen, wofür wir eigentlich demonstrieren? Geht es wirklich um den Erhalt des studentischen Lebens und der Uni in Greifswald oder wollen wir einfach nur ein technisch und personell bestausgestatteter Massenabfertigungsbetrieb à la Berlin oder München werden?
Versteht mich nicht falsch: Ich denke auch, dass wir alle mit (fast) allen Mitteln für das Fortbestehen unserer Uni, für bessere Studienbedingungen und gegen den Stellenabbau und andere Kürzungen streiten sollten.
Aber wenn Greifswald weiterhin mit den Argumenten ?kleine, familiäre Uni? und ?älteste Uni? oder ?Uni mit Tradition? Studenten aus allen Teilen Deutschlands anziehen will, sollte man meiner Meinung nach ab und zu mal in seiner Protestbegeisterung innehalten und sich den Sinn der Proteste vergegenwärtigen, anstatt blind der studentenbedingten Masse(ndemo) zu folgen: Erhalt der Greifswalder Uni – nicht nur hinsichtlich materieller Ausstattung und Personal, sondern mit allen damit verbundenen Bräuchen und Traditionen.

Geschrieben von Julia Mai