Ein Stückchen weite Welt
Vom 13. bis 15 April veranstaltete das Institut für Anglistik/Amerikanistik ein Symposium zum Thema ?Aboriginal Peoples in Canada in the 21st Century?. Öffentliche Lesungen, Diskussionen und Filmvorführungen gewährten dem interessierten Greifswalder einen Einblick in das Leben und die Kultur der Ureinwohner Kanadas.
Rabe, Raubwal, Donnervogel
Zeitgenössische Kunst von Indianern der kanadischen Pazifikküste
Am 15. April wurde die Ausstellung ?Rabe, Raubwal, Donnervogel. Zeitgenössische Kunst von Indianern der kanadischen Pazifikküste? im Sankt Spiritus eröffnet. Dank der Unterstützung von Seiten der Kanadischen Botschaft in Berlin war es möglich, diese Sammlung indigener Künste nach Greifswald zu holen.
In den 60er Jahren erlebte die Kunst der Indianervölker der kanadischen Pazifikküste einen bemerkenswerten Aufschwung. Neben den traditionellen Kunstwerken wie Wappenpfählen, Tanzmasken und Silberschmuck gesellten sich neuere, modernere Methoden hinzu. So findet man heute Siebdruck auf Textilien und Papier beziehungsweise am Computer erstellte Kunstwerke. Die Künstler selbst sind unterschiedlichster Herkunft. Vom Autodidakten bis zum Kunsthochschüler ist alles vertreten.
Doch trotz Fortschritt und wachsendem Einfluss anderer Kunststile bleibt die indigene Kunst ihren Traditionen treu. Gerade die Spannung zwischen Moderne und Tradition machen ihren Reiz und ihre Lebendigkeit aus. Noch immer findet man die typisch abstrakte Formensprache und die Dominanz schwarzer Formlinien. Die dargestellten Motive stammen zumeist aus Erzählungen, Familienlegenden und Mythen. So zeigt der Siebdruck Through the Smokehole von Phil Janze (Tsimshian) ein Motiv des von vielen Westküsten Völkern vertretenen Rabenmythos.
Vor langer Zeit war die Erde dunkel und Armut beherrschte das Leben der Menschen. Ein alter Häuptling hatte die Sonne vom Himmel geholt und in einem Kästchen versteckt. Der Rabe, ein Vogel mit weißem Gefieder hörte von diesem Kästchen und schlich sich bei dem Häuptling ein. Er überlistete den alten Mann und brachte ihn dazu, mit dem Licht spielen zu dürfen. Er schnappte es sich und flog mit ihm durch das Rauchloch. Der nun vom Ruß schwarz gefärbte Rabe flog in den Himmel und von jenem Tag an sorgten Sonne, Mond und Sterne für Licht auf der Erde.
Ein großer Teil der erstellten Schnitzereien und Silberarbeiten wird auch heute noch für den Eigenbedarf gefertigt. Der Siebdruck hingegen lässt sich in Galerien, Museen und im Internet wiederfinden. Zurzeit beschränkt sich dies jedoch noch größten Teils auf Kanada und die Vereinigten Staaten. In Europa ist diese Kunst noch weitgehend unbekannt. Daher sollte man die Chance nutzen und sich die noch bis zum 27. Mai im Sankt Spiritus befindliche Ausstellung ?Rabe, Raubwal, Donnervogel. Zeitgenössische Kunst von Indianern der kanadischen Pazifikküste? anschauen.
„Tsawalk: A Nuu-chah-nulth Worldview“
Den krönenden Abschluss der Ausstellungseröffnung im Sankt Spiritus bildete die Lesung des Erbhäuptlings der Nuu-chah-nulth, Dr. E. Richard Atleo.
Umeek, so sein Nuu-chah-nulth Name, ist Professor der First Nation Studies und stellte im Sankt Spiritus sein 2004 erschienenes Buch ?Tsawalk: A Nuu-chah-nulth Worldview? vor. Mit Wortwitz und lebhaften Beschreibungen zog Dr. Atleo die Zuhörer schnell in seinen Bann. Eine kurze Demonstration seiner Muttersprache sorgte für Erstaunen, so ungewöhnlich und verschieden von den uns sonst vertrauten Lauten. Diese Sprache war es, die James Cook hörte, als er 1778 in Nootka Island an der kanadischen Westküste an Land ging.
Mit ?Tsawalk: A Nuu-chah Worldview? (?Eins: Eine Nuu-cha Weltanschauung?) entwickelt Atleo eine Theorie, die das Universum als etwas Ganzes, als eine Einheit von sowohl physikalischen als auch spirituellen Elementen ansieht.
Die Weltanschauung des ?Heshook-ish tsawalk? (?Alles ist eins?) basiert auf alten Erzählungen. Sie legen Grundsteine des Wissens und helfen, die Welt und das Dasein zu interpretieren. Atleo demonstriert, wie diese Ansichten westliche Wissenschaft komplettieren und erweitern. Seiner Meinung nach erhöht eine Verschmelzung indigener und westlicher Anschauungen unser Verständnis von der Welt und des Universums.
Die Betrachtung indianischer Kultur durch ein Mitglied eben dieser ist etwas Besonderes, denn nicht selten tendieren Außenstehende dazu, indigene Erzählungen nur auf das Offensichtliche zu beschränken. Atleo hingegen erzählt diese Geschichten nicht nur, sondern analysiert die Traditionen und Werte seines Volkes. So beschreibt er die Zeremonie Tloo-qua-nah (?Wir erinnern uns an die Wirklichkeit?). In einer Art von Schauspiel werden hier Kinder von Wölfen entführt. Über Generationen hinweg wurden indianische Kinder ihren Familien entrissen und Lehren und Traditionen ihrer Völker gingen verloren. Doch das Zurückbringen der Kinder am Ende der Zeremonie verkörpert die Hoffnung, dass diese Kinder gerettet werden können.
?Tsawalk: A Nuu-chah Worldview? ist eine Bereicherung für einen Großteil der Geisteswissenschaften, von der Philosophie bis zur Literatur. Es ist sowohl unterhaltsam als auch tiefgründig und verknüpft alte Erzählungen mit Problemen der heutigen Zeit.
Geschrieben von Anne Schult