Vor 60 Jahren wurde Greifswald kampflos übergeben

Das Ende des zweiten Weltkrieges hat sich gerade zum 60. Mal gejährt. Wie jedes Jahr hatten denn auch wieder Gedenkfeiern, Ausstellungen und sonstige kulturelle Veranstaltungen Hochkonjunktur. Das war auch in Greifswald nicht anders. Doch wie hat der Krieg hier sein Ende gefunden?

Dass Greifswald nicht verstört wurde, ist dem umsichtigen Verhalten des Stadtkommandanten Rudolf Petershagen zu verdanken. Zum Jahreswechsel 1944/45 war von einer Kapitulation noch nicht die Rede. Es wurden trotz der Aussichtslosigkeit der Lage im Januar 1945 in Greifswald Appelle zur Erfassung aller Jugendlichen angeordnet. Sie dienten der Sicherstellung ?des totalen Kriegseinsatzes? und ?der Wehrhaftmachung der gesamten deutschen Jugend?. Frauen wurden zum Dienst als Wehrmachtshelferinnen aufgefordert und alle Männer unter 60 Jahren zum Volkssturm gerufen. In den folgenden Monaten mussten Strom, Gas und Lebensmittel rationiert werden. Ende März wurden Schanzarbeiten am Wall befohlen. Der Eisenbahndamm wurde vermint. Wichtige Betriebe und Einrichtungen waren zur Zerstörung vorbereitet worden.
Alle diese Mobilisierungs-, und Sicherungsmaßnahmen wurden trotz der Tatsache durchgeführt, dass sich neben Evakuierten aus Gebieten mit permanenten Bombenangriffen, alte Menschen, Mütter mit ihren Kleinkindern, Verwundete und Verletzte in Kliniken, Lazaretten und Schulen aufhielten. Um die Zerstörung zu verhindern, wurde das Gerücht verbreitet, dass Greifswald zur offenen Lazarettstadt erklärt werden würde und der Stadtkommandant darum gebeten werden sollte nicht zu kämpfen. Der Theologe Ernst Lohmeyer konnte den Historiker Carl Engel für ein Treffen mit Rudolf Petershagen gewinnen. Entgegen dem Befehl vom 26. April 1945, nach dem die Verbindungsaufnahme mit feindlichen Truppen verboten war, erlaubte der Stadtkommandant die Entsendung von Professor Katsch und Oberst Wurmbach an die nahe Front in Richtung Anklam in der Nacht vom 29. auf den 30.April um über die kampflose Übergabe zu verhandeln. In der Zwischenzeit gelang es aus Anklam abziehende Verbände an Greifswald vorbeizuführen. Die Parlamentäre konnten mit Glück versprengten Verbänden auszuweichen und trafen auf eine Vorhut sowjetischer Truppen. In Anklam wurde kurz darauf die Kapitulation von russischer Seite entgegengenommen. Die Verhandlungen wurden ?kurz, sachlich und ohne jede Schärfe? geführt. Doch blieb nur noch eine halbe Stunde um den bereits befohlenen Angriff aufzuhalten. Auf der Rückfahrt kam es zu einem Gefecht mit dem Kreisleiter der NSDAP und einigen Begleitern. Die offizielle Übergabe erfolgte um 11 Uhr. Rudolf Petershagen wurde später Ehrenbürger.
Und doch zeigt sich auch hier wieder die Ironie der Geschichte. Ernst Lohmeyer wurde 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Carl Engel starb im Internierungslager Fünfeichen.

Geschrieben von Melchior Jordan