Ende Januar hat das Verfassungsgericht das Verbot von Studiengebühren gekippt. Am 26. Januar 2005 um kurz nach zehn waren die Würfel gefallen. An diesem grauen Wintermorgen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe entschieden, dass das Verbot von Studiengebühren, wie es seit dem Jahr 2000 im Hochschulrahmengesetz des Bundes vorgesehen war, verfassungswidrig ist. Der Artikel 1 Nr. 3 und 4 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) sei nichtig, da dem Bundesgesetzgeber das dazu notwendige Gesetzgebungsrecht fehle. Das hieß allerdings nicht, was viele vermuteten, nämlich die Verfassungsmäßigkeit von Studiengebühren im Allgemeinen.
Wie der Vorsitzende Richter Winfried Hassemer in einer für das BVerfG recht untypischen Deutlichkeit in der Urteilsverkündung bemerkte: ?Wir hatten nicht darüber zu entscheiden, ob Studiengebühren politisch vernünftig sind.? Ebenso sei eben nicht geklärt worden, ob Studiengebühren die Grundrechte der Wissenschafts- und Studienfreiheit sowie des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes in verfassungswidriger Weise beeinträchtigten. ?Wir hatten nur zu entscheiden, ob der Bund zu dem Verbot befugt war und die Antwort lautet nein?, so Hassemer weiter. Das Urteil wurde damit begründet, dass ein einheitliches, bundesweites Verbot von Studiengebühren nicht notwendig sei, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen oder die Wirtschaftseinheit zu wahren.
Was bleibt, ist die Gewissheit, dass die sicherlich folgenden politischen sowie juristischen Auseinandersetzungen sich von der Bundesebene auf die Länderebene verlagern werden. Einige Auffassungen des BVerfG muten teilweise auch fast realitätsfern an. Da ist zum Beispiel die Begründung, dass in den zu erwartenden 500 Euro Studiengebühr pro Semester kein Ausnahmefall vorliege, der von Artikel 75 Absatz 2 Grundgesetz für eine Bundesgesetzgebungskompetenz verlangt wird, da sie keine so schwere Beeinträchtigung bedeuteten, dass große Wanderungsbewegungen zwischen den Bundesländern zu erwarten seien. Dies war einer der Punkte, die der Bund als Gründe für eine ihm eigene Gesetzgebungskompetenz vorgetragen hatte. Wie die Karlsruher Richter aber den jetzt schon äußerst fragwürdigen Satz von 500 Euro als feste Größe annehmen konnten, wie sie die Wanderungsbewegungen überhaupt als Begründung anführen konnten, würde doch selbst eine massive Wanderbewegung keine Kompetenz des Bundes in dieser Frage begründen können, macht deutlich, dass dieses Urteil sehr wohl hinterfragt werden darf.
Weiterhin ist eine der denkbaren Konsequenzen aus diesem Urteil, dass auch gegen Studiengebühren Klagen vor Bundes- oder EU-Gerichten durchaus möglich und wahrscheinlich sind; die letzten Worte sind hier noch lange nicht gesprochen.
In Greifswald hatten im Mensaclub etwa 20 Studierende der Entscheidung auf einer Großbildleinwand beigewohnt. Kurz nach der Entscheidung ein Demonstrationszug durch die Greifswalder Innenstadt. Nur 300 Menschen waren dem Aufruf des AStA gefolgt – im Vergleich zu den übrigen Hochschulstandorten im Land sogar noch eine riesige Zahl. ?Das Studium in Mecklenburg-Vorpommern muss gebührenfrei bleiben?, hob der hochschulpolitische Referent des AStA, Simon Sieweke, als Kernforderung des Studierendenausschusses hervor. Gestützt wurde er dabei von einer großen Mehrheit der Greifswalder Studierenden. Achtzig Prozent von ihnen hatten sich während der Vollversammlung am 12. Januar für einen Antrag ausgesprochen, in dem ?ein umfassendes Verbot von Gebühren? gefordert wurde.
Im Gegenantrag, eingebracht vom ?Ring Christlich-Demokratischer Studenten? (RCDS), wurde die Landesregierung hingegen aufgefordert, die Einführung von Studiengebühren vorzubereiten, unter der Voraussetzung, dass die Beiträge erst nach Abschluss des Studiums erhoben werden und den Hochschulen ?allein und direkt? zugute kommen. Hierbei handelt es sich um ein Modell, das von vielen Befürwortern als ausgereift betrachtet wird. Formuliert wurde es als erstes von der ?Kreditanstalt für Wiederaufbau? (KfW). Alle Studierenden haben hier das Recht auf einen Kredit. Sozial Bedürftige erhalten zusätzlich ein Stipendium. Abgewickelt werden die Kredite über normale Banken, finanziert von der KfW. Die Rückzahlung beginnt spätestens zwei Jahre nach dem Abschluss, sie kann jedoch bei finanziellen Engpässen durch Arbeitslosigkeit oder Familiengründung unterbrochen werden. Nur wenn nach 25 Jahren immer noch Forderungen offen sind, springt der Staat ein. Daneben gibt es Modelle, bei denen Studiengebühren nur von den Studierenden gezahlt werden müssen, die nicht mit erstem Wohnsitz in dem Bundesland gemeldet sind, in dem sie studieren (?Hamburger Modell?) oder so genannte Studienkonten, von denen pro Semester ein pauschaler Betrag abgebucht wird. Hier bezahlt der Student erst, wenn sein Konto leer ist. Maßnahmen wie die ?Landeskinderregelung? hat das BVerfG im Zusammenhang mit dem numerus clausus schon 1972 zwar nicht grundsätzlich abgelehnt, jedoch sehr problematisierend behandelt. (AZ 1 BvL 25/71)
Für die Gebühren-Gegner jedoch sind all diese Modelle gleich – und zwar gleich schlecht. ?Studentensteuern oder Intelligenzabgaben – das macht keinen Unterschied?, ist Jörg Tauss, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion überzeugt. Als Abgeordneter hatte er die Novelle des Hochschulrahmengesetzes mit auf den Weg gebracht, die Studiengebühren verbot. ?Ich war nie so stolz, verfassungswidrig zu sein?, sagt er heute.
Unterdessen basteln die Befürworter bereits fleißig an der Einführung. Bayerns Wissenschaftsminister Thomas Goppel hätte am liebsten bereits zum kommenden Semester Gebühren erhoben, musste jedoch nach massivem Druck zurückrudern. Nun wird es wohl zum Sommersemester 2006 soweit sein. Baden-Württemberg peilt als Termin das Wintersemester 2006/2007 an. Auch Hamburg, dessen Wissenschaftssenator Jörg Dräger einer der Wortführer der Befürworter ist, wird vor 2006 nichts unternehmen. Es bleibt also noch ein wenig Zeit. Doch was passiert danach? Viele sind davon überzeugt, dass es zu ?Studentenwanderungen? aus den Gebühren – Ländern kommen wird. Auf diese Weise wäre auch Mecklenburg-Vorpommern, wo Gebühren (noch) laut Koalitionsvertrag verboten sind, betroffen. Ob es jedoch hier im Land beim Gebührenverbot bleibt, muss erst abgewartet werden. Ministerpräsident Harald Ringstorff hat jedenfalls im Februar bereits angedeutet, er sei bei dem Thema ?nicht völlig vernagelt?. Schließlich gelte die Koalitionsvereinbarung nur bis 2006.
Geschrieben von Stephan Kosa und Kai Doering