?Nach langer Zeit habe ich es gewagt, wieder zu malen, und die Freude gehabt, dass es gegen meine Erwartung gut angefangen hat. Ich bin begierig, wie das Bild vollendet erscheint.? Die Zeilen stammen aus einem Brief Friedrichs an seinen Petersburger Freund und Förderer Wassilij Shukowski.
Es ist das Jahr 1835. Der Arzt und Maler Carl Gustav Carus spricht von dem angesprochenen Werk als einer ?großen Landschaft mit Gewitterhimmel bei Nacht an der See?. Als ?Meeresufer im Mondschein? hängt das zwischen 1835/ 36 entstandene Werk in der Hamburger Kunsthalle.
Es ist ein Vermächtnis Friedrichs. Trotz seiner, vom einem Schlaganfall herrührenden rechtsseitigen Lähmung gelingt sein letztes Gemälde. Die Maße der Leinwand sind dabei von ungewöhnlicher Größe: 134 x 169,2 cm. Die auf dunkle Tonwerte beschränkte Palette erfüllt die Leinwand. Todesahnung erfüllt es.
?Caspar David Friedrich gilt als einer der bedeutendsten und typischsten deutschen Romantiker?, sagt Dr. Birgit Dahlenburg. In seinen Landschaftsbildern artikuliert sich symbolisch die Sehnsucht des endlichen Menschen nach der Unendlichkeit und der Freiheit, die in der wirklichen Welt nicht mehr erreichbar schien. Todesangst und Todessehnsucht sind im Werke vieler Romantiker untrennbar miteinander verbunden. ?Caspar David Friedrich hebt sich aber auch von den zeitgenössischen Künstlern ab: in der Prononciertheit, wie Tod und Vergänglichkeit eine künstlerische Umsetzung finden und in der Radikalität seiner Landschaftsdramaturgie. Wohl kaum ein Künstler hat es vermocht, emotionaler die Themen Einsamkeit, Tod und Isolation des Menschen in der Landschaftsmalerei darzustellen?, so die Kunstwissenschaftlerin und Kustodin unserer alma mater.
Aus der Sicht der Psychologie ist Friedrich ein eindeutiger Fall. ?Hinsichtlich vieler Aspekte kann der Verlauf von Friedrichs depressiver Störung geradezu als prototypisch bezeichnet werden?, konstatiert Dr. med. Carsten Spitzer, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ernst-Moritz-Arndt Universität im Hanseklinikum Stralsund. Die Anzeichen liegen für ihn klar auf der Hand: die Erstmanifestation liegt mit 25 Jahren innerhalb der Mitte bis zum Ende des dritten Lebensjahrzehnts, der Suizidversuch und die Wiederkehr von depressiven Phasen lässt sich innerhalb einer jeweils dazwischenliegenden Zeitspanne von 3 bis 10 Jahren ausmachen. Nicht unerheblich ist dabei der frühe Verlust der Mutter, seiner Schwester und Christoffers. Letztgenannter ertrank bei der Rettung des im Eis eingebrochenen Caspar David. Der Tod des Lieblingsbruder hinterließ lebenslange Selbstvorwürfe. Zudem sahen Zeitgenossen wie beispielsweise der Naturphilosoph G. H. Schubert im Maler den Prototyp eines Melancholikers.
Vor gut drei Jahren trafen die Kunstwissenschaftlerin und der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie auf wissenschaftlicher Ebene zusammen. Anregung für die gemeinsame Arbeit gab Prof. Kessler, der Direktor des Universitätsklinikums für Neurologie. Sein Wunsch bestand in einer interdisziplnären Untersuchung von Friedrichs ?Mondscheinlandschaft? aus dem Jahre 1836. ?Bei Literaturrecherchen zeigte sich allerdings, dass es schon frühzeitiger Hinweise auf eine psychische Erkrankung gab?, so Birgit Dahlenburg.
Archivalien, Briefe und zeitgenössische Literatur zogen beide heran, um Hinweisen auf depressive Anzeichen bei Friedrich zu finden und auszuwerten. In den angenommenen depressiven Phasen wurde zudem das künstlerische Werk näher untersucht. ?Eine zentrale These ist, dass Friedrich in seinem 25. Lebensjahr erstmalig manifest depressiv erkrankte und eine rezidivierende depressive Störung entwickelte?, so die beiden Greifswalder Forscher.
Ihre Position zeichnet sich durch die Feststellung einer seit 1799 bestehenden unipolaren Depression aus. Diese Krankheit verläuft oft im Abstand von mehreren Jahren in sog. depressiven Episoden, die zudem Niederschlag in Friedrichs künstlerischen Schaffen findet.
Anführbar sei dafür die Nutzung einfach ausführbarer malerischer Techniken (Sepia, Aquarell) und die häufige Darstellung bestimmter Todesmotive zu bestimmten Zeiten stehen unter dem Einfluss der Krankheit.
Ruhephasen und Besonderheiten in einigen anderen Schaffensperioden finden so eine Erklärung, die im Zusammenhang mit seinen Depressionen stehen. In der Literatur fand und finden sich immer Hinweise auf den melancholischen Charakter des Romantikers. Abgesehen von zwei medizinischen Aufsätzen seit den 1980-iger Jahren gab es bislang keine wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema.
Geschrieben von Uwe Roßner