„No Exit“ in unserer Stadt
Wenn es im öffentlichen Diskurs mal wieder um das Thema Rechtsextremismus geht, scheinen die Fallbeispiele immer furchtbar weit weg, unbedeutend, irgendwie banal und teilweise sogar lächerlich. Aber leider trügt der Schein. Rechtsextreme Gruppierungen sind oft gut organisiert und auf dem Vormarsch. ?Salonfähig? geworden, treten sie als Kameradschaften und Bürgerinitiativen auf oder übernehmen bei Volksfesten die Ordnerfunktion.
In den ländlichen Gegenden Vorpommerns gehören sie dabei vielfach schon zur Gemeinschaft und zum Straßenbild. Bei ihren Auftritten machen sich die Rechtsextremisten häufig aktuelle Themen zunutze und versuchen auf teils plumpe, teils subtile Weise, aus den Ängsten der Menschen vor Arbeitslosigkeit, Altersarmut oder der omnipräsenten Europäisierung politisches Kapital zu schlagen.
Kay Bolick von der Organisation LOBBI (Landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern) weist in seinen Vorträgen auf diese alarmierenden Strategien hin. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern von LOBBI und berät seit drei Jahren Opfer rechter Gewalt. In seiner Präsentation im IKUWO am 5. November illustrierte er deutlich, dass sich längst rechte Strukturen etabliert haben, welche sich aus Kameradschaften, nationalistischen Bündnissen und Parteien zusammensetzen, die erstere politisch ergänzen. Obwohl verboten, arbeiten diese Netzwerke sehr effizient: Es gibt gut funktionierende Verbindungen zwischen Gruppierungen in Nord-, Süd-, Ost- und Westdeutschland und darüber hinaus den ?Nationalen Medienverbund?, der deutschlandweit rechte Schriften herausgibt. Die ?Stimme der Heimat?, die vom ?Heimatbund Pommern? am 6. November auf dem Greifswalder Markt verteilt wurde, ist eines seiner Produkte. In ihm werden umstrittene Personalien wie General Erich von Ludendorff als ?Große Deutsche Männer? (Ausgabe 08/04) vorgestellt, politische Themen wie die Agenda 2010, das Zuwanderungsgesetz oder die EU-Osterweiterung populistisch bearbeitet und schwülstige nationalistische Lyrik zum Besten gegeben. Hintergründe und sachliche Information lässt das Blatt hingegen vermissen.
Auch sonst machen die Neonazis keinen Hehl aus ihren Ansichten: Positive Bezüge zur NS-Zeit, die Zelebration von Persönlichkeiten wie Hitlersekretär und -stellvertreter Rudolf Heß als Helden sowie die Darstellung des ?deutschen Volkes? als Opfer sind, neben der bekannten antisemitischen und rassistischen Hetze, nur zwei Beispiele ihrer Propaganda.
Doch beim Verbalen lässt es die rechte Szene nicht bewenden, sie schreckt vor Gewalt nicht zurück. Meist sind Ausländer, Obdachlose, Sinti und Roma sowie Menschen mit anderen politischen Überzeugungen die Opfer ihrer Übergriffe. In der ersten Novemberwoche versuchte LOBBI, als Beratungsstelle für Betroffene im vergangenen Jahr selbst 60mal Anschlagsziel, mit Rebecca Forners Ausstellung ?Opfer rechter Gewalt in Deutschland? in der Mensa auf diese Tatsache aufmerksam zu machen. Zahlreiche Bilder zeigten Menschen, die ihr Abweichen von den Vorstellungen der Neonazis mit dem Leben bezahlt haben. Neben jedem Foto prangte zynisch eine idyllische Ansichtskarte, zudem gab es ein paar Informationen zu den Toten. Dass viele Studierende dennoch an der Ausstellung vorbeigingen, lag sicherlich nicht an ihrem Desinteresse sondern daran, dass Thema und Intention auf den ersten Blick nicht klar erkennbar waren.
Auch GrIStuF e.V. nahm sich des Sujets Rechtsextremismus an und lud, unterstützt von der Friedrich-Ebert-Stiftung, gemeinsam mit dem Filmclub Casablanca zum Filmabend, in dessen Rahmen Franziska Tenners ?No Exit? gezeigt wurde. Die Regisseurin und ihr Team begleiten darin eine ?freie Kameradschaft? aus Frankfurt/Oder über ein Jahr und zeichnen das Leben der jungen Mitglieder nach, ihre Kindheit, ihren Alltag, ihre ?politischen Schulungen? und ihr soziales Engagement in Altersheimen oder gegen Kinderschänder. Auffällig ist, dass alle vorgestellten Akteure aus zerrütteten Verhältnissen kommen und, neben wenig Bildung, nur sehr triste Zukunftsaussichten haben. Nachdem mit dem 19jährigen Bibi, der wegen Körperverletzung zu 16 Monaten Jugendstrafe verurteilt wird, ein bedeutender Kamerad wegfällt, löst sich das Bündnis schließlich auf.
Tenners nüchterne Darstellungsweise fand bei den Zuschauern ein geteiltes Echo. Es wurde Lob geäußert, aber vielfach auch die Befürchtung, dass der Film Mitleid und Verständnis auslösen könnte. Dieser Meinung schloss sich auch Podiumsgast Günter Hoffmann an, der in seiner Funktion als Opferbetreuer die rechte Jugend als aktiver und weniger plump erlebt. Mittlerweile habe sich eine eigene Infrastruktur etabliert, die Bündnisse seien nicht mehr von einer fernen Zentrale gesteuert und verfügten über eigene ökonomische Ressourcen. Auch Michael Toß vom ?Mobilen Beratungsteam für demokratische Kultur? sah die Gefahr, dass der Film von der älteren Generation als einfaches Erklärungsmuster für jugendlichen Rechtsextremismus verstanden, das Phänomen unterschätzt und lächelnd abgetan werden könnte. Die Regisseurin jedoch wehrt sich gegen die Versehung des Films mit einem Kommentar, die einer ?Entmündigung des Publikums? gleichkäme.
Dass auf das Thema Rechtsextremismus aufmerksam gemacht werden muss, steht außer Frage. Allerdings ist gerade hier nicht egal, wie dies geschieht. Informationen müssen unausweichlich, sachlich, klar und für alle unmissverständlich in die Öffentlichkeit gestellt werden. Die hier beschriebenen Institutionen bieten mit ihrer Arbeit einen Einstieg an, nicht mehr und nicht weniger. Wem es nicht egal ist, dass die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg vielfach, so auch von Vertretern des ?Heimatbundes Pommern?, noch immer negiert und, je nach Belieben, auf Polen oder die USA abgewälzt wird, der sollte an dieser Stelle selbst aktiv werden.
Geschrieben von Katja Staack