150 Neonazis marschierten am gestrigen Tag in Begleitung von 700 Einsatzkräften durch Demmin. Etwa 550 Menschen zeigten vielfältigen Protest. Ein rückblickender Ablauf des Geschehens.

Auch am diesjährigen, internationalen Tag der Befreiung vom Faschismus, marschierten etwa 150 Neonazis durch die Hansestadt Demmin. Wie auch in den vergangenen Jahren sorgte ein Großaufgebot von 700 polizeilichen Einsatzkräften der Landespolizei M-V, der Landespolizeien Brandenburg sowie Niedersachsen und der Bundespolizei für die Durchführung des Gedenkaktes. Aus zahlreichen Städten Mecklenburg-Vorpommerns, aber auch aus Berlin, Hamburg und Lübeck, reisten etwa 550 Menschen per Bus und Auto an, um an zahlreichen Versammlungen, darunter auch zwei Demonstrationen, teilzunehmen. Nach Beendigung der Versammlungen vom Aktionsbündnis 8. Mai sowie der zweiten Demonstration unter dem Motto „Nicht-Wieder-Einzug der NPD in den Landtag MV“, begannen sich die Proteste in Richtung Aufzugsstrecke der Neonazis zu verlagern. Es kam zum vermehrten Einsatz von Schlagstock und Reizgas durch die Polizei, die immer wieder zahlreiche Gegendemonstranten von Hör- und Sichtweite des Aufzuges fernhielt. Mindestens eine Demonstrantin wurde bei dem Polizeieinsatz verletzt. Bereits zu Beginn und im Laufe der genannten zweiten Demonstration, nahm sich die eingesetzte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) erkennungsdienstlich einen Journalisten vor, mit der Begründung des Verdachts auf Anfertigung von Polizistenportraits. Letztlich konnten die Neonazis auch dieses Jahr ihren Gedenkmarsch in Demmin absolvieren. Doch der Reihe nach: ein rückblickender Ablauf des Geschehens.

Zwei Demonstrationen: über 400 Menschen setzten Zeichen gegen Neonazis; Journalist erkennungsdienstlich behandelt

17 Uhr: Nach und nach versammelten sich am Bahnhof zahlreiche Menschen, um unter dem Motto: „Nicht-Wieder-Einzug der NPD in den Landtag MV“ zu demonstrieren. Eine Sprecherin am Lautsprecherwagen erklärte jedoch, dass die Busse aus Rostock aufgrund von polizeilichen Kontrollen noch nicht da seien und die geplanten OrdnerInnen zu Beginn der Versammlung nicht zur Verfügung stünden. Kurzerhand sprangen Anwesende dafür ein. Nachdem gegen 17.30 Uhr erklärt wurde, dass die Busse in wenigen Minuten eintreffen würden, startete die Versammlung mit einer Kundgebung. Am Rande kam es zeitgleich durch die eingesetzte BFE zu einer erkennungsdienstlichen Maßnahme: ein Journalist wurde unter Verdacht gestellt, Portraitfotos von PolizistInnen anzufertigen. Während dieses Vorgangs wurde der Betroffene polizeilich gefilmt und einige anwesende, dokumentierende PressevertreterInnen, ebenfalls überprüft, darunter auch wir. Während die Demonstration des Aktionsbündnisses 8. Mai mit über Menschen am Markt startete, trafen nun auch die letzten Busse samt Polizeikonvoi am Hauptbahnhof ein. Die Demonstration begann gegen 17.47 Uhr mit über 300 Menschen, entlang der Bahnhofsstraße in Richtung Clara-Zetkin Straße.

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Lautstark bewegte sich die Demonstration in Richtung Marktplatz. Mit Chören wie „Wir wollen das Ene, Nazis in die Peene!“, „Nationalismus muss raus aus den Köpfen!“ und „Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht, überall!“ schallte es in den sonst so ruhigen Straßen Demmins. Begleitet von einem Großaufgebot der Polizei, die auch in sämtlichen Seitenstraßen postiert war, ging es inmitten der aufgestellten Hamburger Gitter an den bereits angemeldeten und besetzten Mahnwachen vorbei. Die Demonstration verlief bis in die Kahldenstraße störungsfrei.

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Gegen 18.20 Uhr bog die Demonstration in die Kahldenstraße ab und stoppte wenige Meter später. Der Grund: wieder wurde der zu Beginn betroffene Journalist von der BFE festgesetzt. Die Durchsage der Demosprecherin ließ nicht lange auf sich warten: „Lasst ihn seine Arbeit machen!“. Der Demonstrationsblock blieb solidarisch stehen. Nach etwa 20 Minuten wurde die erneute polizeiliche Maßnahme, unter Beobachtung der anwesenden DemobeobachterInnen und PressevertreterInnen, beendet und die Demonstration fortgesetzt. Aus der Pressemitteilung der Polizei ist zum derzeitigen Zeitpunkt keine strafrechtliche Verfolgung ersichtlich.

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Demonstrationen beendet – Zwischen Katz- und Mausspiel, Protest und Polizeigewalt

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Nur wenige Minuten und einige hundert Meter später stoppte die Demonstration am Platz „Marienhain“ erneut. Schnell wurde klar: Hier geht keiner mehr weiter – viele Leute liefen los in Richtung Treptowerstraße und Schillerstraße. Manche rannten, manche gingen, die Situation wurde sehr unübersichtlich. Die BFE hatte Mühe und lief hinterher, während am Ende der Schillerstraße kein Durchkommen mehr war. Von dort aus drängte die Polizei nach und nach die Menschen zurück. Es kam zum Schlagstock- und Körpereinsatz. Das Katz- und Mausspiel begann. Viele Menschen orientierten sich ab 19 Uhr an den angemeldeten Mahnwachen entlang der Clara-Zetkin Straße sowie weiteren Möglichkeiten an den Seitenstraßen, die zunehmend durch das Großaufgebot der Polizei abgeriegelt wurden.

 

Gegen 19.45 Uhr begannen die Neonazis sich auf ihrer Demonstration zu sortieren und liefen schließlich wenige Minuten später mit einem Großaufgebot der Polizei los. Beginnend am Stadion der Jugend in der Jarmener Straße in Richtung Marktplatz auf der Clara-Zetkin Straße.

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Nur wenige Minuten später musste die Demonstration jedoch stoppen. Der Grund: Die Linke sowie eine Gruppe von Musizierenden blockierte die Strecke der Nazis. Die Polizei wies anschließend die auf der Straße befindenden Personen auf das Versammlungsrecht hin und gab ihnen eine Frist von „10 Minuten für die Öffentlich- und Medienwirksamkeit„, wonach polizeiliche Zwangsmaßnahmen folgen würden. Es schallte lautstark „Nazis raus!“ und minutenlang trillerten die Menschen, ehe die Frist der Polizei ablief.

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Während die VertreterInnen der Linken nach der 3. Durchsage die Aufzugsstrecke, wie auch im letzten Jahr, verließen, blieben die Musizierenden sitzen und spielten weiterhin einige Perlen der klassischen Musikgeschichte.

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Zunächst versuchten sogenannten „Konfliktmanager“ der Polizei auf die Musizierenden einzureden. Ein Polizist sprach im halblauten Ton: „Das ist unhöflich, was sie hier tun.“ Auch den Einsatz von polizeilichen Zwangsmaßnahmen „würde man Ihnen eigentlich nicht antun wollen.“ Trotz aller Überredungskünste besprachen sich nun die polizeilichen Einheiten über das weitere Vorgehen, auch die BFE traf mittlerweile ein. Die Androhung körperlicher Gewalt gegen friedliche Musizierende lies infolge nicht lange auf sich warten. Die letzte Karte sollte ausgespielt werden.

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Trotz alledem ließen sich die Musizierenden nicht von der exekutiven Gewalt beeinflussen. Kurz bevor die Räumung durch die BFE durchgeführt werden sollte, zeigten in etwa 100 Metern Entfernung einige Menschen lautstark ihren Unmut. Daraufhin lief ein Großteil der Einheit von dem geplanten Räumungsort in die Seitenstraße, woraufhin man sich für eine Vorbeileitung der NPD-Demonstration entschied. Währenddessen spielten die Musizierenden passende Töne.

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Zeitgleich wurde eine Blockade kurz vor dem Luisentor, bestehend aus sechs Gegendemonstranten von der BFE aufgelöst. Bei dem Eingreifen der Polizisten kam es zu mehreren Zwischenfällen, in deren Folge zwei Demonstranten verletzt wurden, woraufhin beide Personen notärztlich versorgt werden mussten. Über die sozialen Medien hieß es im weiteren Verlauf des Abends, dass beide aus anderen gesundheitlichen Problemen, welche nicht von der Polizei herbeigeführt wurden, versorgt werden mussten. Die Polizei griff bei der Auflösung der Blockade mehrfach in das Gesicht der Teilnehmer und machte Gebrauch vom Schmerzgriff. Mit teils vier Einsatzkräften gleichzeitig musste eine Person entfernt werden, was geschah, bevor die Nazis das Luisentor passierten. Hier wurden sie von einer Vielzahl an Gegendemonstranten, welche direkt am Streckenverlauf standen, begleitet. Die Darstellung in der Pressemeldung der Polizei, „dass die junge Frau aufgrund anderer gesundheitlicher Probleme durch Rettungskräfte betreut wurde“, ist schlicht und ergreifend falsch. Die Beobachtung und Dokumentation des Geschehens lassen sich eindeutig auf die angewendeten, gewaltsamen Maßnahmen der Polizei, vermehrt durch die BFE und Niedersachseneinheit zurückführen.

 

 

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Für die Neonazis ging es im kleineren Polizeispalier weiter in Richtung Luisentor, entlang der Mahnwache der Grünen. Kurz davor wurde auch Protest von oben gezeigt. Nicht von der Landesregierung, sondern von einem Gegendemonstranten auf einer Straßenlaterne. Er wies lautstark auf die rechte Ideologie der vorbeimarschierenden Neonazis hin, woraufhin er von ihnen abgefilmt wurde. Dabei traf sie gelegentlich ein Teil seiner feuchten Aussprache. Die Polizei bat ihn daraufhin, dies zu unterlassen, man ließ ihm jedoch den wohl gefährlichsten Ausblick auf der Route gewähren.

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Etwa 150 Neonazis auf dem Weg in Richtung Peene, kurz vor dem Marktplatz.

 

Um 20.38 Uhr liefen die Neonazis dann am Markt vorbei, während in über 50 Metern Entfernung, hinter den Hamburger Gittern, zahlreiche Menschen ihren Unmut äußerten und sich fortlaufend parallel zur Aufzugsstrecke bewegten. Entlang der Loitzer Straße ging es dann in Richtung Peenestraße. Doch zuvor lief die Polizei im Schnelltempo voraus, um an der Peene Stellung zu beziehen.

Kurz vor 21 Uhr trafen die Neonazis nun an der Penne ein, um ihren Gedenkakt zu vollziehen. In einigen hundert Metern Entfernung standen, hermetisch abgeriegelt, die Gegendemonstranten, die alljährlich auch mit Schäferhunden, Hamburger Gittern und einem Großaufgebot der Polizei von der rechten Veranstaltung ferngehalten wurden.

Nach etwa 20 Minuten war die Trauerveranstaltung der Neonazis beendet. Die Kränze wurden in die Peene geworfen. Nicht weit davon entfernt schwammen ein paar Gummipuppen. Mit einem tiefroten Sonnenuntergang im Hintergrund marschierten die Neonazis wieder entlang derselben Strecke zum Ausgangspunkt zurück. Währenddessen wurden die Menschen auf der anderen Seite von der Polizei im großen Stil eingekesselt. Dieser Zustand dauerte solange an, bis die Rechten ihre Versammlung beendeten, etwa eine Stunde. Angesichts der Vollsperrung an der Brücke hatten wir bereits auf twitter die Frage gestellt, wie man die medizinische Notversorgung hätte gewährleisten können, denn ein Durchkommen war absolut nicht möglich. Wie auch abschließend für den gesamten Tag. Trotz eines Rückgangs der Teilnehmer des Gedenkmarsches konnte mit einem Großaufgebot der Polizei ein weitesgehend störungsfreier Ablauf gewährleistet werden. Viele Menschen zeigten ihren Protest gegen Rechts. Doch mit welchen Mitteln abermals die demokratischen Grundwerte wie zB. Versammlungs- und Meinungsfreiheit angegriffen wurden, bleibt weiterhin zu klären.

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Bevor wir uns aus Demmin verabschiedeten, sprachen wir mit zwei anwesenden Demonstranten, die uns ihre Sicht der Dinge schilderten.

Die selbst beobachtete Gewaltbereitschaft der Polizei am 8. Mai in Demmin hat uns erschreckt und führt uns erneut die Notwendigkeit einer Kennzeichnungspflicht vor Augen. Jeglicher Versuch, die Nazis an ihrem lächerlichen Trauerschauspiel zu hindern, wurde von der Polizei zerschlagen. Grundrechtlich gesicherter Protest in Hör- und Sichweite wurde ebenso verhindert. Für den skandalösen Polizeieinsatz und, in letzter Konsequenz, für den unbehelligten menschenverachtenden Geschichtrevisionismus der Nazis ist Lorenz Caffier als Innenminister und Dienstherr mitverantwortlich. Einzige Lichtblicke waren die zahlenmäßig dünne Aufstellung der Faschist*innen und die gut besuchte, engagierte und lautstarke antifaschistische Demonstration am frühen Abend.

(Hannes Thoms, Mitglied der Linksjugend [SDS] Greifswald)

Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit war die Polizei unnötig aggressiv und gewalttätig. Anstatt zu deeskalieren wurden alle Gegendemonstrat*innen unter Generalverdacht gestellt. Die Ereignisse zeigen entweder hat Caffier die Polizei nicht mehr unter Kontrolle oder er hat die Lage bewusst eskalieren lassen.“

 

(Johannes Barsch, Juso Vorsitzender Vorpommern-Greifswald)

 

Beitragsbild: Philipp Schulz; Fotos: Philipp Schulz und Paul Zimansky