Seit Wochen plagt sich ein Problem in Greifswald, in Vorpommern, ja eigentlich in ganz Deutschland und der Welt. Dieses Problem sind nicht etwa 44 Menschen in einer Turnhalle, sondern der Umgang, die gewählte Sprache und das fehlende Miteinander in der Bevölkerung, der Politik und jetzt auch in den Medien. Ein Kommentar auf Spurensuche.

Auf meinem Tisch liegt „Das Tagebuch der Anne Frank“. Das Mädchen musste sich über zwei Jahre vor den Nazis verbergen, ( … ). Das war unmenschlich.

– Andreas J. Penk, Berlin (Leserbrief, Ostsee Zeitung, 05.11.2015)

Ja ich weiß, es ist nicht die feine Englische Art mit einem Zitat in einen Kommentar einzusteigen, aber es hat sich so vortrefflich angeboten. Es beschreibt nämlich genau die momentane Lage und das in einer Urdeutschen Tugend – Geschichtsvergessenheit. Aber vielleicht für den Anfang etwas Kontext: Seit mittlerweile viel zu lange leben in der Feldstraße 44 geflüchtete Männer aus Syrien. webmoritz. hat [hier] und [da] über die Umstände und Situation berichtet. Diese Lage hat sich seitdem nur marginal und durch eine enge Zusammenarbeit von freiwilligen Helfern, der Volkssolidarität und irgendwie auch Mitarbeitern des Kreises gebessert. Es konnte jedoch nicht geändert werden, das immer noch 44 Menschen in einer Turnhalle nächtigen müssen, kaum Möglichkeiten auf Hygiene haben und theoretisch nur sehr bedingt zum Arzt gehen dürfen.  Um es ganz kurz zu machen: Die Lage ist mehr als angespannt und schwierig.

Kommen wir nun jedoch erstmal wieder auf das Zitat von oben zu sprechen. Dieses bezieht sich auf einen Artikel, der im Greifswalder Lokalteil der Ostsee Zeitung am Mittwoch, 04. November 2015 publiziert werden musste. Dort wurde von der Redakteurin Cornelia Meerkatz die Lage vor Ort in der Turnhalle ein wenig umrissen. Mit dem Ergebnis: Die undankbaren Flüchtlinge essen kein Couscous, weil das ist ja Marokkanisch und wollen Pommes. Aber ist das nicht genau der Grad an Integration, den sich die deutschen Stammtische so dringlich herbei gesehnt haben? Das einzige Zitat ist von dem Greifswalder Lokalpolitiker und Fraktionsvorsitzenden der CDU, Axel Hochschild:

„Jungen Männern, die vor Krieg, Tod und Gewalt fliehen, ist es doch wohl zuzumuten, einige Wochen  in einer beheizten Turnhalle mit täglich drei Mahlzeiten zu leben.“ 

Nein ist es nicht. Und die Antwort ist auch schon in der rhetorischen Frage: Eben weil sie vor Krieg und Tod geflohen sind, sollte ihnen das Leben nicht unnötig schwerer gemacht werden. Und in einer Turnhalle, eng an eng, zu schlafen und zu leben ist eben nicht zumutbar.

Bereits am Dienstag, dem 03. November ging diese Art der Hofberichterstattung los. Der Beitrag über die Protestaktion der Feldstraßenbewohner, auch von Frau Cornelia Meerkatz, wurden diese bereits als undankbar und fordernd dargestellt. Kulminiert ist dieses Schauspiel der Einseitigkeit in den Leserbriefen der heutigen Printausgabe der OZ Greifswald, womit wir wiederum bei dem oben genannten Zitat wären und ich mir die Frage stellen muss: Wer sucht diese Briefe aus und bewertet ob sie abgedruckt werden? Nachgewiesen werden kann es nur schwerlich, aber ich unterstelle der OZ bei der Auswahl der Leserbriefe tendenziös zu Handeln. Oder machen sich nur besorgte Wutbürger die Arbeit einen Leserbrief  zu verfassen, die einstimmig gegen Flüchtlinge sind, aber natürlich keine Nazis.

Wie kann so wenig Empathie von einer Zeitung kommen, die der Madsack Verlagsgesellschaft angehört? Größter Kommanditist der GmbH & Co. KG ist übrigens die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft. Die wiederum ist das Medienbeteiligungsunternehmen der, richtig, SPD. Es ist schon sehr demokratisch und sozial einen Brief zu drucken, Lesermeinung hin oder her, in dem die aktuelle Flüchtlingssituation mit der eines niederländischen Mädchens verglichen wird. Wie weit soll nach der Ansicht des Schreibers die Lage der Refugees noch getrieben werden? Bis nach Bergen-Belsen? Da endet ja auch die Geschichte von Anne!

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Neben der Tendenziösität dieser Berichterstattung über DAS Thema der letzten Wochen, sollte die OZ auch mal wieder einen Blick in den Pressekodex oder in §5 des LPrG werfen. Genauer den Punkt der publizistischen Sorgfaltspflicht in der Redaktionssitzung aufarbeiten. Fakt ist, das Pommes neben Käse und gekochten Eiern auf einer Wunschliste der Bewohner standen, die an die Küche der Volkssolidarität weitergeleitet wurde. Auch ist richtig, das die Bewohner das Couscous nicht unbedingt wollten, was jedoch an der ungenießbaren Zubereitung und nicht der traditionellen Herkunft lag. Zwischen diesen beiden Ereignissen liegen außerdem mehrere Tage (die Wunschliste wurde sogar vorher ausgearbeitet) und es besteht kein direkter Zusammenhang.

„Die Volkssolidarität habe vorige Woche extra Couscous gekocht, um den Flüchtlingen eine Freude zu bereiten. Dieses Essen wurde mit der Begründung, es sei marokkanisch, abgelehnt und stattdessen von ihnen Pommes Frites gefordert.“

Dieses Zitat aus dem OZ-Artikel vom Mittwoch ist schlicht und ergreifend falsch und hat eine bewusst hetzerische Wirkung. Das aus dieser Art der Berichterstattung Leserbriefe wie gezeigt resultieren ist nur logisch. Die Frage ist, wohin diese Art der einseitigen Berichterstattung führen soll, zu einer verbesserten Willkommenskultur, Weltoffenheit und Verständnis definitiv nicht!

Natürlich kann sich die OZ Berichterstattung mit verfehlter Ausrichtung nicht alleine auf die Fahnen schreiben. Auch die zweite der drei großen Publizistische Einheiten in Mecklenburg-Vorpommern, der Nordkurier, veröffentlichte am heutigen Donnerstag einen Beitrag in dessen Printausgabe. Darin wird starke Kritik an den Helfern durch Dirk Scheer, den verantwortlichen Dezernatsleiter, dargestellt, welche jedoch im weiteren Verlauf durch Stimmen des Leiters der Notunterkunft, Rafael Miklas und ehrenamtlichen Helfern wieder aufgehoben wird. Sollte das wirklich der Aufhänger für einen Artikel über die Notunterkunft und die vorherrschenden Zustände sein? Die Stammleserschaft, sowohl vom Nordkurier, als auch von der Ostseezeitung haben sicherlich eine andere Meinung von der Flüchtlingssituation als ich. Aber muss man diese Meinung stützen, den Hass schüren – um die Leserschaft nicht zu verlieren? Oder als Lügenpresse gebrandmarkt zu werden? Dies ist zumindest denkbar, wird das Gros der Kommentare auf Facebook und den jeweiligen Seiten, die in der Masse zustimmend gegenüber der kritischen Stimmen gegen Flüchtlinge und ehrenamtliche Helfer gehalten sind.

Das „schwierige“ ist zum Teil die Einstellung der Flüchtlinge. Es wird ja mitunter erwartet ein Haus und Auto zu bekommen…

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Gerade in einer solch angeheizten Stimmung vor Ort, wöchentlich mehreren Demonstrationen in Greifswald, Wolgast und Stralsund für und besonders gegen die aktuelle Lage um die aufzunehmenden Flüchtlinge, sollten sich die Lokalen Medien und Pressehäuser ihrer meinungsbildenden Lage bewusst sein. Wenn diese jedoch in der Aufarbeitung so stattfindet wie es momentan der Fall ist, kann es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis aus der Radikalisierung der Wortbeiträge Taten folgen. Es sollte jedoch im Interesse von niemandem sein, die Lage bis zu diesem Maß eskalieren zu lassen. Vielmehr muss ein offener Dialog durch differenzierte und investigative Berichterstattung herbei geführt und den besorgten Demonstranten von „FFDG“, „MV.Patrioten“ und „Greifswald wehrt sich“ argumentativ das Wasser gereicht werden. Wir steuern momentan auf eine Schlammschlacht zwischen Politik, Verwaltung und Ehrenamt zu und das auf dem Rücken von Menschen, die hier Zuflucht und Frieden vor Krieg und Gewalt suchen. Es muss oberste Priorität der Presse sein, dies zu kritisieren und nicht, wie geschehen, nur Ereignisse zu listen und das auch noch falsch.

Bilder: Auszug OZ-Greifswald, 05.11.2015/ Archiv