Was junge Menschen brauchen? Jemanden, der an sie glaubt. Jemanden, der ihnen eine Richtung weist. Raum und Zeit zum Lernen, Lachen, Leben. All das bietet ihnen der Förderverein Jugendkunst e.V. in Stralsund. Ein etwas anderer Praktikumsbericht.

Mich erwarten der Geruch nach Leim und ein hoher Lärmpegel, als ich an diesem Morgen die Werkstatt im Speicher am Katharinenberg betrete. Das „arbeitende Museum“ ist voller Menschen: Kinder, Jugendliche, Besucher, Mitarbeiter und Praktikanten wirbeln kreuz und quer durch den historisch anmutenden Raum, und über all dem Trubel liegt das stete Rumoren des Stapelschneiders. Es wird so enthusiastisch gedruckt, gefalzt, gelocht, gebunden, gemalt, geleimt und gebastelt, dass es eine Freude ist, zuzusehen. Dabei behalte ich als Mitarbeiterin auf Zeit nicht immer den Überblick, wer wohin gehört. Das scheint aber auch gar nicht so wichtig zu sein: „Wir machen Volkskunst“, sagt Christian Klette vom Förderverein Jugendkunst e.V. – die Türen der Werkstatt stehen jedem offen.

Seit über 20 Jahren bietet der Verein jungen Menschen die Möglichkeit, sich künstlerisch zu entfalten. Mit der Neugründung der Spielkartenfabrik im Jahr 2009 entstand ein interdisziplinäres Projekt, das viel Anklang gefunden hat: in Zusammenarbeit mit Jugendlichen wurden im Speicher bereits mehrere firmeneigene Kartenspiele hergestellt, wie z.B. Rum & Rollmops oder Leg dein Leben. Beide erfreuen sich bei Alt und Jung großer Beliebtheit. Logisch, dass auch traditionelle Spielkarten zum Skat- und MauMau-Spielen hier produziert werden. Besonders in den letzten Wochen herrscht reges Treiben zwischen Setzmaschinen und Glättpressen, denn anlässlich des 250-jährigen Jubiläums der Stralsunder Spielkartenfabrik (VSS A.G.) findet ab Mitte Mai eine Ausstellung statt.

Tubentanz und Spendenfreude

Die Texte dafür zu korrigieren gehört zu meinen Aufgaben als Praktikantin im Lektorat. Weil Kunst zwar oft schön, aber – zumindest hier – selten leise in ihrer Entstehung ist, verziehe ich mich für die weitere Wortklauberei zwei Stockwerke höher.

In den Ateliers riecht es anders, nach Farbe. Dafür ist es ruhig.

„Jetzt noch“, warnt Robert Anderle, ebenfalls für den Jugendkunstverein tätig, mich vor und lacht. Denn hier finden regelmäßig Kurse für Kinder und Jugendliche bis 27 Jahre mit so lustigen Namen wie Tubentanz, Probierwerkstatt und Labor Infernale statt. Von Malerei über Collagen bis hin zu Holz-, Stein- und Tonbearbeitung ist fast alles erlaubt. Mit Kursgebühren von 5/10 Euro à 90 Minuten bietet das eine durchaus erschwingliche Nachmittagsbeschäftigung. Darüber hinaus können Bildungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit sozial schwache Teilnehmer finanziell unterstützen, so Anderle.

Neben größeren Arbeiten mit Erwachsenengruppen und Schulklassen in der Werkstatt betreibt der Verein Austauschprojekte mit Partnern in Frankreich und Polen. Dass so viel Engagement auch finanziert werden muss, versteht sich von selbst. Dazu tragen Kursgebühren, Mitgliedschaftsbeiträge sowie Sponsoren bei. Erst kürzlich erhielt der Jugendkunst e.V. eine Spende über 5.175 Euro von Stralsunder Unternehmen anlässlich des 12. Haerings-Hearings – die größte Summe, die dem Verein bisher zugutekam.

„Das ist eine große Ehre für uns, ziemlich coole Sache“, freut sich Anderle, besonders angesichts der Tatsache, dass die Förderung durch Stadt, Landkreis und Kultusministerium wegen bürokratischer Hindernisse eher schleppend vorangeht.

Wir drehen uns da im Kreise“, kommentiert Manja Graaf, Jugendsozialarbeiterin in der Spielkartenfabrik.

„Es geht um die Kinder.“

All meinen Erwartungen zum Trotz ist der überregionale Bekanntheitsgrad des Vereins eher gering. Woran liegt das – bleibt bei all der Arbeit keine Zeit mehr für PR? Nein, ganz und gar nicht. „Ich zitier mal meinen Kollegen Fred Lautsch: Wir machen stille Kunst“, erklärt mir Robert Anderle. Auf die Außenwirkung wird dabei wenig Fokus gelegt. „Uns geht es um die Kinder. Sie sollen hier einen Anlaufpunkt haben und wissen, dass sie herkommen können.“

Genau das tun sie, zahlreich und mit großer Begeisterung. Innerhalb kürzester Zeit ist das Atelier voller Leben und Geplapper. Als ich um 17 Uhr den roten Stift weglege, habe ich in anderthalb Stunden mal wieder genau sechs Seiten gelesen. Von wegen stille Kunst!

Bei der Ausstellung „250 Jahre Stralsunder Spielkartenfabrik“ kann man mit historischen Kartenspielen spielen und riesige Kartenhäuser bauen. Außerdem kann man noch sehen, wie die Karten hergestellt werden. Am 15. Mai um 16 Uhr wird die Ausstellung eröffnet.

 Fotos: Luise Fechner