So wie viele Studenten mit dem Beginn der Semesterferien Greifswald den Rücken zukehren, verabschiedete auch ich mich letzten Sommer von der Stadt und ging für ein Praktikum nach Israel. Ich war dort (unklugerweise) von Juli bis September, während der heißen Phase des letzten Gaza-Konfliktes. Grenzerfahrungen waren also garantiert. Exemplarisch für diese Reise werde ich von meinen Erlebnissen an einem Tag in Bethlehem erzählen. Wöchentlich kann man einen neuen Teil davon im webmoritz. lesen.
Hier geht es zum ersten Teil – den man vorher unbedingt gelesen haben sollte.
„Ich mag Bratkartoffeln“
Ein Jugendlicher fragt mich auf Englisch woher ich komme, worauf ich ihm wahrheitsgemäß antworte. Ich habe mir in Israel angewöhnt auf diese Frage hin erst den Fragenden abzuschätzen, ob er mich in die Nazi-Schublade packen könnte und gegebenenfalls mein Geburtsland zu nennen. Ein weiterer Vorteil davon ist, dass nervigen Krämern zu Estland nichts einfällt, mit dem sie weiter auf mich einreden könnten, um etwas bei ihnen zu kaufen. Auch ist mir noch nie jemand begegnet, der daraufhin Estnisch mit mir sprach. „From Germany“, sage ich also. „Ah, Germany! Ich mag Bratkartoffeln!“ Ich muss lachen. Er hat nun doch meine Aufmerksamkeit geweckt und erst nach drei Fragen merke ich, dass wir mit den Bratkartoffeln an die Grenzen seiner Deutsch-, als auch Englischkenntnisse gelangt sind und ich lasse das Gespräch enttäuscht fallen. Im Grunde genommen sind die Menschen hier freundlich, die Kommunikation scheitert nur an ihrem Englisch und meiner Ignoranz ihre Sprache nicht zu lernen. Ein original „Star Bucks“ erweckt meine Erheiterung. Ich setze mich für einen Eiskaffee und studiere meine Karte, die den Besitzer dazu bringt zu fragen, wonach ich suche. Ich ahne bereits, dass der Schwager der Mutter eines Cousins seines Freundes ein Taxi hat und er mir gleich was verkaufen wollen wird. Dennoch antworte ich ehrlich, dass ich nach den Banksy-Grafitti Ausschau halte und das Wunder passiert: Er erklärt mir, wo ich vier Bilder finde und ich markiere diese auf der Karte. Zerknirscht muss ich feststellen, dass ich an zwei Bildern wie ein Hans Guck-in-die-Luft vorbeigelaufen bin. Ich bin dennoch froh über diese hilfreichen Hinweise, dass ich mit Gelassenheit seinen Ausführungen, es sei zu weit zum Laufen, folge und sein Angebot mich für 60 Schekel an die Stellen hinzubringen auf später vertröste.
„Die Leute mit den Fahnen sind von der Hamas“
Mittlerweile ist eine riesige Menschenmenge auf den Straßen. Es ist kurz nach eins und scheinbar Zeit für das Mittagsgebet. Die Parallelstraßen zur Moschee werden mit Teppichen ausgekleidet und jeder Zentimeter wird von knienden Menschen eingenommen. Fast jeder betet, oder hält zumindest in seinen Geschäften inne, wie mein Cafébesitzer. Fast beiläufig erklärt er mir die ungewöhnlich hohe Anzahl an Menschen und die Fahnenträger vor dem Eingang der Moschee. Die Leute mit den Fahnen seien von der Hamas, sagt er. Nach dem Gebet gehen die Leute zum Checkpoint, um zu demonstrieren. Die Demo sei sehenswert und auch dorthin könne er mich fahren, es sei heute der interessanteste Ort in Bethlehem. Nach dem Gebet zieht es auch ihn auf die Straße in Richtung der Menschenmenge, gleichzeitig signalisiert er mir hinter ihm zu bleiben, als ob der Mob jederzeit Lynchjustiz an Europäern verüben könnte. Ich habe Angst, dennoch habe ich das Gefühl, dass ich mir heute Abend in den Hintern beißen werde, wenn ich mir das jetzt nicht ansehe. Scheiß drauf.