Eine Videospiel-Rezension
Seit dem sich das Videospiel „Pong“ im Jahr 1972 zu einem populären Zeitvertreib entwickelte, ist viel Zeit vergangen. Spiele befinden sich in einer Odyssee, einer niemals endenden Metamorphose. Entwickler begannen zu verstehen, dass in diesem Medium weit mehr als Unterhaltung steckt. „The Stanley Parable“ hat das Medium Videospiel nun schwungvoll in die nächste Etappe der Erzählkunst gehievt.
In einem kleinen Bürozimmer verrichtet Stanley als Angestellter Nummer 432 seine Arbeit. Die Ansprüche, die Stanley dabei stellt, sind nicht hoch. Jahrelang sitzt er vor einem Monitor und erhält von diesem Befehle auf bestimmte Tasten zu drücken. Jeden Tag, ununterbrochen, ohne überhaupt den Sinn hinter dieser Tätigkeit zu hinterfragen. Er sei mit seiner Arbeit glücklich, behauptet die Erzählerstimme in der Eröffnungssequenz. Doch eines Tages ist der Bildschirm schwarz und die Befehle erscheinen nicht mehr. Stanley wartet, aber es kommt nichts. Er beschließt, sich umzuschauen, um den Grund zu erfahren. Überrascht stellt Stanley fest, dass seine Kollegen spurlos verschwunden sind. Die Perspektive wechselt, der Spieler nimmt die Sicht des Angestellten Nummer 432 ein, das Spiel beginnt.
Was ist geschehen? Wo sind die Mitarbeiter verschwunden? Und was soll diese Stimme im Off, die in einem süffisanten Britisch ihr bestes gibt, Stanley zu verhöhnen? Stanley möchte im Konferenzraum, nach Hinweisen vom Verschwinden seiner Mitarbeiter suchen. Der Büroangestellte gelangt in einem Raum mit zwei Türen, die Stimme ertönt und sagt, dass sich Stanley beim Erblicken der zwei Türen für die linke von ihnen entschieden hat, da diese direkt zum angepeilten Raum führt. Der Sprecher scheint den Weg vorzugeben.
Betritt der Spieler anstelle der linken die rechte Tür, zeigt sich die Stimme irritiert und versucht den Angestellten wieder auf dem Pfad zu lenken, den die Geschichte, jedenfalls laut dem Erzähler, vorsieht. Es ist jedem selbst überlassen, der Handlung geradlinig zu folgen oder nicht, die Möglichkeit, diese zu verlassen, wird einem oft geboten.
Hier kommt der wesentliche Aspekt des Spiels zum Tragen. Je nach Handeln und Situation, reagiert der Sprecher anders. Vom streng väterlichen Wohlwollen bis zum verärgerten Zynismus, hat die begleitende Stimme so einiges im Repertoire. Fast jedes Tun des Spielers wird kommentiert und beschrieben. Diese bestimmt oftmals wie es mit der Handlung weitergeht, scheint sie aber, in manchen Situation zu verlieren. Neue Räume und Wege tauchen auf, die es bei dem vorherigen Durchlauf nicht gab. Das verwirrt den Erzähler oftmals, denn Teil des Drehbuchs sollen diese Vorkommnisse nicht sein.
Das Spiel lebt von diesen magischen Momenten und den Entscheidungsmöglichkeiten. Es ist jedem selbst überlassen, den Anweisungen der Stimme zu folgen oder zu ignorieren – die zwei Türen am Anfang, stellen nur die Spitze des Eisberges da. Hinter jeder Spielweise verbirgt sich ein anderes Ende, und davon gibt es viele.
Das Spiel ist schwer zu beschreiben
Es werden keine Gegner bekämpft, keine Rätsel gelöst und Hüpfeinlangen werden auch nicht absolviert. Es wird nur Stanley durch die Bürokomplexe gesteuert – mehr nicht. Um eines Vorweg zu nehmen: das ist auf keine Weise monoton. Im Gegenteil: die gelungene Vermischung von Erzählung und Interaktion machen das Spiel zu einem Genuss.
Davey Wreden, der Entwickler von “Stanley“, übermittelt im Spiel seine Gedanken und Gefühle. Dies sei bei einem anderen Medium nicht möglich gewesen, erzählte er in einem Interview. Darum sei es selbst für den Macher schwer, dass Spiel in Worten zu fassen.
„The Stanley Parable“ ist Streich und Kritik zugleich. Ein Streich, weil es dem Spieler am Anfang vorgaukelt immer die Kontrolle zu besitzen, nur um diese ihn später zu entreißen. Eine Kritik, weil es die banale Linearität der gegenwärtigen Spiele raffiniert enttarnt. Diese versuchen oft, eine geradlinige Handlung in einer riesigen begehbaren Welt zu verstecken, die dem Spieler den Anschein von freier Wahl gibt. Am Ende aber bestimmt der Entwickler selbst, wie weit der Spieler gehen kann.
Zuviel über “Stanley“ zu verraten, wäre an dieser Stelle aber falsch. Wer sich über das Spiel mit Hilfe von Walkthroughs oder Trailern schon vorab informiert hat, dem sei gesagt, dass dies ein Fehler gewesen sein könnte. Erstaunen wird es einen zwar immer noch – aber das große „Aha“ könnte ausbleiben.
Um genau zu verstehen was dieses Werk ist, oder sein möchte, ist es letztlich nötig, es selbst zu erleben. Dies sei jedem zu empfehlen, denn das Spielen von „The Stanley Parable“ fühlt sich wie der erste Schluck einer eiskalten Cola an einem hitzigen Sommertag an: total erfrischend.
Das Spiel ist auf Steam für 11,99 Euro zum Download erhältlich. (Nur auf Englisch)
Screenshots: Mounir Zahran