Es ist Freitagabend und aus dem IKuWo rauschen stimmungsvolle Töne in einer Welle aus hellen Gitarrenriffs und schnell aufeinander folgenden Schlagzeugklängen heraus. “Alte Zachen“, was auf Deutsch übersetzt “Alte Sachen“ bedeutet, legen treten auf. Sie waren anlässlich des polenmARkTs in der Stadt.
Ohne jedwede Ansage, startet die Band vom Schlagzeug aus das Konzert. Man hört schnell die chassidismischen Klänge heraus, die durch die verzerrten Gitarrenriffs einen Antlitz der psychedelischen Rockmusik der 60ger Jahren verliehen bekommen. „Als ich 16 Jahre alt war, hat mir ein guter Freund eine John-Lee-Hooker-LP geschenkt, seitdem war mein Leben anders“, erzählt der Bandgründer Raphael Rogiński, der sich mit der goldenen Rock-n-Roll-Ära sehr verbunden fühlt. „Jew Surf“ nennt sich diese Mischung aus Tradition und Neuem.
Die stimmungsvollen Melodien bringen einen in das weite Russland des frühen 19. Jahrhundert zurück, wo man mitten in eine Familienfeier hineingeplatzt zu sein scheint und man umringt von chassidischen Juden das Tanzbein zu schwingen versucht. In Israel zogen im frühen 20. Jahrhundert russische Einwanderer auf Eselskarren durch die Straßen und riefen auf Jiddisch „Alte Sachen“ um den Sperrmüll einzusammeln, die Tradition wird heute von den Arabern fortgeführt, die ohne es wohl zu ahnen, im reinsten Jiddisch ihre Arbeit verrichten.
Mit seiner dezenten rauchigen Whiskeystimme erzählt Rogiński über seine Vergangenheit. Er ist in Frankfurt am Main geboren, seine Familie war damals vor den Repressionen der Diktatur aus Polen geflüchtet. „Mein Vater betrieb in Frankfurt einen Puff. Die Stadt hatte eine ähnliche Atmosphäre wie die New Yorks in den 20ger Jahre. Ich war umgeben von der Mafia, ich liebte es“, erzählt Rogiński. Er pendelt häufig zwischen Israel und Polen, die Sperrmüllsammler in Israel versprühten für ihn immer einen gewissen Charme, woraufhin er die Band „Alte Zachen“ taufen ließ.
Rogiński bezeichnet „Alte Zachen“ gerne als Garagenband, denn das Vierergespann aus ihm und Bartek Tyciński (Gitarre), Macio Moretti (Bass) und Ola Rzepka (Schlagzeug) nahm vor zwei Jahren ihre ersten Lieder an genau so einem Ort auf. Die Inspiration für ihr jetziges Album „Total Gimel“ bekam Rogiński bei einem Urlaub in Tel Aviv. Als er zu einem Strand hinüber blickte, der ausschließlich orthodoxen Juden vorbehalten war, konnte er mehrere von ihnen dabei beobachten, wie sie genüsslich auf die Wellen mit ihren Surfbrettern ritten. Die Locken und die langen Bärte der religiösen Männer gaben dem ganzen Spektakel einen skurrilen Anstrich und Rogiński den Einfall für das neue Album.
Die Musik ist gut, tanzen tut man dazu gerne, nur scheint da etwas zu fehlen. Vielleicht das Mitschwingen einer sonoren Stimme wie die Zach Condons? Nach einiger Zeit vernimmt man in den Liedern eine gewisse Redundanz, es fällt einem schwer, zwischen den einzelnen Stücken zu unterscheiden, vieles scheint sich zu wiederholen. Der Schluss kommt unerwartet, auch diesmal ohne Ansage verlassen die Bandmitglieder nacheinander die Bühne.
Rogiński mag es zu experimentieren. Oft probiert er, neue, außergewöhnliche Klänge in seine Lieder einzubringen. Lächelnd zeigt Rogiński auf ein buntes Mosaik, das neben ihm an der Wand hängt. „Ich sehe unsere Persönlichkeit als ein großes Mosaik an, das aus vielen Puzzleteilen besteht“. Für ihn ist es immer die Mystik, die sich in den Traditionen alter Kulturen verbirgt, die ihn oft inspiriert. „Vor einigen Jahren habe ich mich als Afrikaner gefühlt, also hab ich mich lange Zeit der afrikanischen Musik gewidmet“, so Rodiński, der gern von seinen unterschiedlichen Wurzeln erzählt. Außerdem inspiriert ihn seine Vergangenheit. „Sie formt meine Musik, ich mache sie für die Leute der alten Zeit und auch für mich“, sagt er zum Schluss.
Fotos: Artikelbild (Alte Zachen), Konzert (Mounir Zahran)
Ich will nicht schon wieder lästern, aber habt ihr das 4-Augen-Prinzip beim webMoritz abgeschafft? Wurde uns vor wenigen Tagen angekündigt, dass die in Polen sehr erfolgreiche Band Klezmer am vergangenen Freitag spielen würde — dieser Fehler wurde trotz Hinweis noch immer nicht behoben — geht es jetzt hier mit den Ungeauigkeiten heiter weiter. Gitarre (das ist dieses Saiteninstrument) schreibt man noch immer mit einem "t" und einem doppelten "r", eine Band spielt, musiziert, rockt, langweilt oder performt, wenn man es denglisch ausdrücken will, aber auflegen, dass ist in der Regel die Sache von DJs oder DJanes.
Und den Russland-Bezug habe ich nicht so deutlich wahrgenommen, aber das ist dann in Tat Sache der Rezipienten.
Danke, ist korrigiert 😉