Ein Essay

„Ich bin komplett im Arsch“ – pfeift ein Mitarbeiter des Innenministeriums gedankenlos vor sich hin. Er weiß nicht genau, wie er ausgerechnet auf dieses Lied kommt, aber es ist schon irgendwie grotesk. Es ist ein Lied der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“. Er war es, der die Verfassungsfeindlichkeit der Band konstruierte und auch das IKuWo, Cafè Median des AWIRO e.V. sowie das Peter-Weiss-Haus in Rostock im Verfassungsschutzbericht erwähnen ließ.

Es folgten zahlreiche Zeitungsberichte, Interviews, Kommentare, in denen sich über die Unausgewogenheit des Verfassungsschutzberichtes, die offensichtlich deutlichere Schwerpunktsetzung auf linke Gruppen und Vereine bei gleichzeitiger unzureichender Aufarbeitung der Tätigkeiten der rechtsradikalen Terrorzelle NSU beschwert worden war. Vor allem die Nennung der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ wurde als völlig übertrieben empfunden. In einem Gespräch mit dem Nordkurier weisen die Betroffenen den Vorwurf des Verfassungsschutzes, eine „explizit antistaatliche Haltung“ in ihren Texten einzunehmen, klar und deutlich zurück. Im Mittelpunkt stehe die Perspektivlosigkeit der Jugend in Mecklenburg-Vorpommern sowie die kritische Auseinandersetzung mit einer erstarkenden oder sich manifestierenden Neonaziszene im Land. Da der überwiegende Teil der Zeitungen und Magazine, die darüber berichteten, die Band mehr oder weniger in Schutz nahmen, sorgte das wiederum für einen Popularitätsschub, weshalb sie sich recht freundlich in Form eines schönen Präsentkorbes beim Innenministerium bedankte. Dies wurde auch im Video festgehalten:

Vereine und Initiativen klagen gegen Nennung im Bericht

Doch damit nicht genug. Weder die Band, noch das IKuWo, das vom AWIRO betriebene Cafè Median, noch das Peter-Weiss-Haus wollen weiterhin im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden. Sie fühlen sich stigmatisiert und gingen somit juristisch gegen die Nennung vor.

Vorübergehend nicht abrufbar: Der Verfassungsschutzbericht. (Screenshot, 09. Januar 2013)

Genau aus diesem Grund war der Bericht vorübergehend bis zum 24. Januar online nicht mehr abrufbar. Es fällt inzwischen schwer, festzustellen, wer zuerst die Nachricht vom erfolgreichen Ausgang des Prozesses – vorerst jedoch nur für das IKuWo, AWIRO und Peter-Weiss-Haus verbreitete. Als Eilmeldungen verbreiteten „Publikative.org“, das landesweite linke Nachrichtenportal „Kombinat Fortschritt“ sowie der „Fleischervorstadtblog“ recht dicht nacheinander die Nachricht, dass das Schweriner Verwaltungsgericht drei der vier Klagenden „vollumfänglich recht“ gegeben habe. Ganz konkret heißt es dazu in der Pressemitteilung des Gerichtes:

Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Schwerin ist zu dem Ergebnis gekommen,
dass die namentliche Nennung im Verfassungsschutzbericht wegen der damit
verbundenen negativen Stigmatisierungswirkung die subjektiven Rechte dieser
Vereine verletzt. Dem Innenministerium ist deshalb untersagt worden, den von ihm
herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 2011 in digitaler, schriftlicher oder
sonstiger Form zu verbreiten, verbreiten zu lassen oder sonst der Öffentlichkeit
zugänglich zu machen, soweit darin die Antragsteller bzw. deren Begegnungsstätten
erwähnt werden.

Inzwischen ist der Bericht wieder online zugänglich, wobei jene Passagen geschwärzt wurden, in denen die drei Vereine genannt worden sind. Auf Seite 84 des Verfassungsschutzberichtes ist inzwischen folgender Satz zu lesen: „Inhalte können zur Zeit aus Rechtsgründen nicht zugänglich gemacht werden.“ Hier befanden sich ursprünglich die Ausführungen zu „Feine Sahne Fischfilet“. Über deren Eilantrag wurde noch nicht befunden. Wann darüber entschieden werde, sei bislang noch offen.

Schlappe für den Verfassungsschutz

In einer vom IKuWo herausgegebenen Pressemitteilung wird hervorgehoben, dass das entscheidende Gericht in der Nennung einzelner Veranstaltungsorte im Bericht einen deutlichen „negativen Beigeschmack“ sehe, was keiner „wertfreien Sachverhaltsschilderung“ entspräche.

Das Internationale Kultur- und Wohnprojekt (IKuWo) spricht derweil von einer „Schlappe“ für den Verfassungsschutz. Nadja Tegtmeyer, Pressesprecherin des Vereines erinnert darüber hinaus daran, dass das IKuWo als interkultureller Begegnungsraum immer wieder ins Visier von Neonazis gerate. „Es ist empörend, dass der Verfassungsschutz unterdessen offenbar versucht, unsere Einrichtungen in Verruf zu bringen“, erklärte Tegtmeyer abschließend. AWIRO-Sprecherin Vera Wendt ergänzt dazu, dass es „sehr bedenklich“ sei, dass erst juristisch „gegen diese Diffamierung durch den Verfassungsschutz“ vorgegangen werden musste. Rechtsanwalt Peer Stolle, der das IKuWo in diesem Rechtsstreit vertrat, hebt hervor, dass die Entscheidung noch einmal verdeutliche, „dass auch der Verfassungsschutz in seiner Arbeit an Recht und Gesetz gebunden ist.“ Der Versuch, wertvolle und unverzichtbare zivilgesellschaftliche Arbeit von Jugendprojekten in Mecklenburg-Vorpommern zu diffamieren, sei gescheitert.

Verfassungsschutz handele oft verfassungswidrig

„Publikative.org“ stellt überdies heraus, dass der Verfassungsschutz streng genommen sogar verfassungswidrig gehandelt habe: „Laut Gesetz muss der VS-Bericht in verdächtige und erwiesene ‚extremistische‘ Bestrebungen von Vereinen oder Personenzusammenschlüssen unterscheiden.“ Eine im Artikel zitierte  Studie des Freiburger Wissenschaftlers Professor Dr. Dietrich Murswiek ergab derweil, dass nicht nur der Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, sondern fast alle andere Landesämter dieser Gesetzesgrundlage nicht nachkommen würden.

Foto: IKuWo e.V. (ohne CC-Lizenz), Screenshot Landesverfassungsschutz via blog14vier.de